Geldpolitik Der EZB geht die Munition nicht aus

Christoph Kind ist Investmentchef beim Family Office Marcard, Stein & Co.

Christoph Kind ist Investmentchef beim Family Office Marcard, Stein & Co. Foto: Marcard, Stein & Co

Der negative Einlagenzins der Europäischen Zentralbank (EZB) belastet die Gewinne vieler Banken im Euroraum. EZB-Präsident Mario Draghi hat kürzlich angedeutet, dass eine Staffelung des Einlagensatzes nach japanischem oder schweizerischem Vorbild denkbar wäre, um die Banken zu entlasten. Eine solche Maßnahme würde zwar nur einigen wenigen Banken größere Entlastungen bringen, zugleich aber ein deutliches geldpolitisches Signal senden. Eine Wiederaufnahme der Anleiheankäufe oder weitere Zinssenkungen sind leichter zu implementieren, wenn die negativen Folgen für Geschäftsbanken begrenzt sind. Am Kapitalmarkt hat die Diskussion einen weiteren Rückgang der langfristigen Zinsen und eine Schwäche des Euro ausgelöst.

In unserem Jahresausblick hatten wir eine Leitzinserhöhung der EZB in 2019 ausgeschlossen, aber die Möglichkeit angedeutet, dass der negative Einlagensatz leicht angehoben wird, um den Bankensektor zu entlasten. Die EZB hat Anfang März 2019 offiziell verkündet, dass sie im laufenden Jahr tatsächlich von einer Leitzinserhöhung absieht. Eine Anhebung des Einlagensatzes scheint damit ebenfalls vom Tisch zu sein. Am 27. März zog EZB-Präsident Draghi jedoch ein neues Kaninchen aus dem Hut. Die EZB denkt demnach darüber nach, den Einlagensatz zu staffeln, um so die Folgen dauerhaft negativer Einlagenzinsen für den Bankensektor zu mildern.

Schon jetzt sind nicht alle Reserven bei der EZB vom Negativzins betroffen. Ausgenommen sind die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestreserven. Von den gesamten Reserven der Geschäftsbanken bei der EZB unterliegen jedoch aktuell 94 Prozent dem negativen Zins. In anderen Ländern, in denen der Einlagenzins ebenfalls negativ ist, liegt dieser Wert bei fünf Prozent (Japan) und 39 Prozent (Schweiz). Grund sind Staffelsysteme, mit denen ein Teil der Reserven von der Negativverzinsung ausgenommen wird. In der Schweiz gibt es Freigrenzen, die als Vielfaches der Mindestreserveanforderung definiert sind. In Japan werden die Reserven sachlich untergliedert und mit unterschiedlichen Sätzen verzinst.

Die Überschussliquidität, also jene Einlagen bei der EZB, die über den Mindestanforderungen liegen, macht im Euroraum knapp 1,9 Billionen Euro aus, das sind rund 16 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Euroraum. Da der Einlagensatz derzeit minus 0,4 Prozent beträgt, zahlen die Geschäftsbanken rund 7,4 Milliarden Euro jährlich an die EZB. Der starke Anstieg der Überschussreserven seit 2015 ist die Folge des inzwischen eingestellten Anleiheankaufprogramms der EZB. Durch die Anleihekäufe wurde direkt Liquidität bei den Banken geschaffen. Da die Nachfrage der Nicht-Banken nach Liquidität weniger stark gestiegen ist, verblieb der Überschuss als Guthaben der Geschäftsbanken bei der EZB.

 Quelle: Marcard, Stein & Co 

Die Verteilung der Überschussliquidität innerhalb des Euroraums ist sehr ungleich. Rund 90 Prozent halten einige wenige größere Banken in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Luxemburg und Finnland. Sie bilden zu einem Teil den Gegenpol zu den hohen Target-2-Verbindlichkeiten von Italien und anderen Peripheriestaaten. Die Belastung der Bankenprofitabilität durch den negativen Einlagensatz ist vor allem in Deutschland hoch, wo sie nach den Schätzungen einer vom Europaparlament in Auftrag gegebenen Studie rund ein Viertel der Gewinne ausmacht.