Nötiger Strukturwandel „Jede Implosion setzt Energie frei“

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20 Abweichler konnten Merkel zwischen 2009 und 2013 in größte machtpolitische Bedrängnis bringen, wenn die Opposition die Bundeskanzlerin vor die Wand laufen lassen wollte. Die Kanzlermehrheit betrug 19 Stimmen. Die über 60 Abweichler im Sommer 2015 waren für Merkel zwar ärgerlich, machtpolitisch aber irrelevant.

Auffällig ist, dass es bislang weder in Deutschland und Europa noch in den USA gelungen ist, ein ökonomisches Bereinigungsprogramm im Rahmen einer freiheitlichen Gesellschaftspolitik so zu formulieren, dass das Knüpfen tragfähiger, gesellschaftlich breiter Netzwerke zum Aufbau von Gegenmacht möglich wird. Nur so dürfte eine Chance bestehen, Polarisierungen und Politikblockaden zu überwinden.

In Deutschland und Europa fehlt eine europaweite, kampagnenfähige Bewegung aus glaubwürdigen Pro-Europäern, die sich gegen Planwirtschaft und Zentralismus in der EU einsetzen. In den USA ignorieren sowohl Hillary Clinton als auch Bernie Sanders die grundlegende Reformbedürftigkeit des fiskalischen und geldpolitischen Systems, obwohl gerade in diesen reformbedürftigen Systemen die Hauptursachen für die steigende Ungleichheit in den USA zu finden sind, die sowohl Sanders als auch Clinton bekämpfen wollen.

Auf republikanischer Seite gibt es mit einigen Vertretern der Tea-Party-Bewegung und insbesondere bei Rand Paul, der die Kampagne abgebrochen hat, zwar Ansätze eines Verständnisses für diesen systemischen Zusammenhang, aber noch längst keine Mehrheiten für durchgreifende Reformen. Rand Paul spielt im Kampf um die republikanische Präsidentschaftskandidatur keine Rolle mehr.

Ob es Ted Cruz gelingen wird, aus seiner Freund-Feind-Polemik auszusteigen und Mehrheiten sowohl innerhalb der Republikanischen Partei als auch im Kongress für durchgreifende Strukturreformen zu organisieren, ist fraglich. Donald Trump ist ohnehin ein Protektionist, dem man mit grundlegenden Strukturreformen des fiskalischen und geldpolitischen Systems erst gar nicht zu kommen braucht. Die USA dürften deshalb vorerst weiterhin in Polarisierung und Politikblockaden gefangen sein.

Mittel- bis langfristig könnten die USA aber politische Bewegungen und Politiker hervorbringen, die den Mut, die Kompetenz und die Ausdauer besitzen, die Reform des fiskalischen und geldpolitischen Systems als überparteiliches Projekt zu formulieren und zu organisieren, so dass die derzeitigen Politikblockaden überwunden werden.

Jede Implosion setzt Energie frei

Selbst George Packer, der in seinem Bestseller „Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika“ die desolate Lage der USA anschaulich beschreibt, versinkt nicht in Fatalismus, denn: „Jeder Zusammenbruch hat eine Erneuerung hervorgebracht, jede Implosion hat Energie freigesetzt, jede Abwicklung hat zu neuem Zusammenhalt geführt.“

Festzuhalten bleibt, dass sowohl in den USA als auch in Europa derzeit die Stellen der politischen Führer noch zu vergeben sind, die den Mut, die Kompetenz und die Ausdauer haben, jenseits von Polarisierungen politische Programme zu formulieren, welche die breite Zustimmung der Bevölkerung für schmerzhafte ökonomische Bereinigungsprogramme gewinnen. Die große Depression im politisch-gesellschaftlichen Bereich bricht sich sonst weiter Bahn und die verschleppten Probleme erweitern sich zur Gesellschaftskrise des Westens.

„Doch die moderne Kultur wird nicht untergehen, wenn sie sich nicht selbst aufgibt. Kein auswärtiger Feind kann sie zerstören. Nur innere Feinde können ihr gefährlich werden; sie kann nur sterben, wenn die gesellschaftsfeindliche antiliberale Ideologie die liberalen Ideen verdrängt“ schreibt bereits 1927 Ludwig von Mises. Und mit Hölderlin ist hinzuzufügen: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch!“


Über den Autor:
Norbert F. Tofall arbeitet seit 2014 als Senior Research Analyst für das Flossbach von Storch Research Institute in Köln. Von 2004 bis 2011 war er Lehrbeauftragter der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder im Studiengang „Master im Internationalen Management” in Minsk (Belarus) und hat von 2008 bis 2013 als wissenschaftlicher Mitarbeiter für den FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler gearbeitet.


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