Portfolio-Inventur Stiftungen benötigen eine zeitgemäße Vermögensallokation

Einzelhändler füllt Inventurliste aus

Einzelhändler füllt Inventurliste aus: Auch im Stiftungswesen sollte eine Bestandsaufnahme des Vermögensportfolios nach einem festen Turnus erfolgen. Foto: IMAGO / Westend61

Sicher und gewinnbringend: So soll eine Stiftung das ihr übertragene Vermögen anlegen. Die erwirtschafteten Überschüsse fließen in gemeinnützige Projekte, der Stiftungszweck wird erfüllt – soweit die Theorie. Die Praxis sieht für viele Stiftungen mittlerweile anders aus. Dem Bundesverband Deutscher Stiftungen zufolge, der regelmäßig seine Mitglieder zur Ertragssituation befragt, erwartete zuletzt ein Fünftel der Stiftungen bei ihrer Vermögensanlage eine Rendite unterhalb der Inflationsrate.

Besonders betroffen sind kleinere Institutionen mit einem Kapital von bis zu einer Million Euro. In dieser Gruppe geben knapp 30 Prozent an, dass ihre Rendite nach Abzug aller Kosten voraussichtlich nicht über der Teuerungsrate liegen wird. Noch nicht eingeflossen ist in die aktuellste Befragung die Corona-Krise. Die Erhebung für das jährliche Stiftungspanel fand vorher statt.

Geändert haben dürfte sich die Lage aber nicht. Viele Stiftungen halten auch in der andauernden Niedrigzinsphase an sicheren Staatspapieren wie Bundesanleihen fest – trotz teils negativer Renditen. Häufig werden nach wie vor 70 Prozent des Kapitals in Anleihen angelegt, nur maximal 30 Prozent fließen in Aktien. Die Inflation sei zwar weiterhin niedrig, aber dennoch: „Für Stiftungen bedeutet das eine Vermögensentwertung“, sagt Karsten Behr, Geschäftsführer der Niedersächsischen Bingo-Umweltstiftung, die über etwa 23 Millionen Euro Kapital verfügt. Er sieht dringenden Handlungsbedarf: „Wir müssen davon ausgehen, dass die jetzige Situation noch mindestens zehn Jahre anhält“, so Behr. Auch in den kommenden Jahren werde sich über Anleihen kaum Geld verdienen lassen. „Stiftungsgremien, die das aussitzen wollen, handeln mindestens fahrlässig.“

Dass viele Stiftungen es über ihre Vermögensanlage nicht mehr schaffen, ihren Stiftungszweck zu erfüllen, beobachtet auch LMM. Das Unternehmen ist im Investment-Controlling tätig und berät unter anderem Stiftungen bei der Anlagestrategie. „Unser Eindruck ist, dass die Stiftungen noch an der 70/30-Regel festhalten“, sagt Geschäftsführerin Melanie Kühlborn-Ebach. Viele Portfolios seien mit 80 Prozent in Rentenpapieren und nur 20 Prozent Aktien sogar noch konservativer aufgestellt. „Bei den Stiftungen, mit denen wir zusammenarbeiten, sehen wir noch keine starke Umschichtung.“

Anders der Eindruck der BW-Bank, die mehr als 1.000 Stiftungen unterschiedlicher Größe bei der Vermögensallokation berät. In den vergangenen zwei bis drei Jahren hätten viele Institutionen die Grenze für Aktien in ihren Portfolios auf 50 Prozent heraufgesetzt, so Mirjam Schwink, Leiterin des Stiftungsmanagements. Das Institut, das zur Landesbank Baden-Württemberg gehört, berate seine Stiftungskunden im Einklang mit den jeweiligen Anlagerichtlinien auch entsprechend. „So einen langen Anlagehorizont für das Ewigkeitsvermögen wie eine Stiftung hat keine andere juristische Person“, stellt Schwink klar. Auf Ewigkeit angelegt und außer durch die Satzung kaum reguliert seien Stiftungen prädestiniert, Aktien mit ins Portfolio zu nehmen.

Zinsen um jeden Preis

Warum scheuen sich viele dennoch? „In Deutschland herrscht generell eine große Aktienskepsis – auch bei Stiftungen“, erklärt Dieter Lehmann, für die Vermögensanlage der Volkswagen-Stiftung zuständig und Leiter des Arbeitskreises Stiftungsvermögen beim Bundesverband Deutscher Stiftungen. Auf der festverzinslichen Seite würden Gefahren dagegen häufig ausgeklammert: „Viele Investoren handeln in der gefährlichen Annahme, dass Anleihen per se sichere Anlagen sind.“

Das gelte auch für Stiftungen, die ihre Mindest-Ratings herabsetzen und teilweise sogar in Hochzinspapiere investieren, um weiter Zinsen zu erwirtschaften. Das Bonitätsrisiko, also die Gefahr eines Ausfalls, werde unterschätzt. Vor Wertschwankungen einer Anlage, wie sie bei Aktien vorkommen, schrecken viele dagegen zurück. „Das Volatilitätsrisiko ist aber für eine Stiftung erheblich leichter auszuhalten“, so Lehmann.

Wertsicherungskonzepte, mit denen Stiftungen Verluste am Aktienmarkt begrenzen wollen, sieht er kritisch: „Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich Kurse immer wieder erholen.“ Jüngstes Beispiel: Der Corona-Crash im vergangenen Frühjahr. Mit einer Absicherung laufen Investoren der Entwicklung oft hinterher, Stiftungen können viel Geld verlieren. „Mit langfristigem Anlagehorizont lassen sich Wertschwankungen aushalten.“

Dividenden sind kein Allheilmittel

Grundsätzlich müssen Stiftungen Erträge für ihren Stiftungszweck erzielen. Nur auf Dividendenaktien zu setzen, halten Experten aber für zu kurz gedacht. „Das richtige Timing bei Dividendentiteln zu finden, ist schwierig“, sagt Achim Lange, Finanz-Vorstand der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Die Werte seien oft hoch bewertet oder es herrsche gerade Unsicherheit an den Kapitalmärkten wie im ersten Quartal 2020. Er rät dazu, bei Aktieninvestitionen nicht nur nach Europa zu schauen. Wer die größten Unternehmen, etwa aus den USA, außen vor lasse, könne fast nur auf kleine und mittlere Firmen setzen – damit erhöhe sich auch das Risiko der Aktienanlage.

„Dividendentitel liefern einen ordentlichen Ertrag für den Stiftungszweck“, sagt Stiftungsexpertin Schwink. Allerdings steigen diese Aktien meist nicht so stark im Wert. „Zum Beispiel: Im amerikanischen Raum werden kaum Dividenden gezahlt, aber unheimlich hohe Wertzuwächse generiert.“ Soll mehr Ertrag erwirtschaftet werden oder der Fokus auf dem Erhalt des Stiftungsvermögens liegen? Das sei für Stiftungen die Gretchenfrage und eine wichtige Grundlage für Anlage-Entscheidungen.