Decentralized Finance Ist die Blockchain eine Chance für das Wealth Management?

Stefan R. Haake (li.), Ferenc von Kacsóh (re.) und Alexander Rennig

Stefan R. Haake (li.), Ferenc von Kacsóh (re.) und Alexander Rennig: Was bedeutet Decentralized Finance für vermögende Kunden und Stiftungen und was folgt daraus für das Private Banking? Foto: Kerstin Keysers Photography, München, 2021 (Foto: Ferenc von Kacsóh)

Im ersten Teil unseres Gastbeitrages – erschienen am 3. September 2020 – haben wir beschrieben, was diese Technologie leisten kann und erste Hinweise auf die Anwendungsmöglichkeiten aufgezeigt.

In den vergangenen 12 Monaten gab es auf dem Markt der Krypto-Zahlungsmittel sehr viel Bewegung – unter anderem mit der Verabschiedung des eWPG, den großen Ausschlägen bei Bitcoin, Ether & Co. Da genügte schon ein einziger Tweet, um Kursschwankungen auszulösen. Doch auch die „Revolte der Kleinanleger“ mit der Manipulation und Gegenmanipulation der Gamestop-Aktie und weiterer sogenannter Meme-Aktien haben gezeigt, dass auch konventionelle Aktien vor solchen Markteingriffen keineswegs so gefeit sind wie manche geglaubt haben mögen.

Aktuell ist etwas Ruhe eingekehrt. Daher wollen wir diese Ruhephase dafür nutzen, um an drei konkreten Fallbeispielen die Vorteile, die Chancen, aber auch die Risiken der „Tokenized Real Assets“ aufzuzeigen.

First Mover und die Economy of Scale

Natürlich gehen First Mover bei der Nutzung neuer Technologien – wie bei jeder Innovation oder Invention – immer höhere Risiken ein als Investoren in bewährte Technologien. Das wird am Beispiel der Firmengeschichte von Elon Musks Tesla sehr anschaulich: All die Erkenntnisse und Erfahrungen, die Tesla als Vorreiter während der Entwicklung des ersten vollelektrischen Fahrzeuges machte, trugen dazu bei, dass die Einstiegsbarrieren für die alteingesessenen Automobilhersteller, sogenannte Incumbents, dramatisch stiegen. Ihnen fehlte schlicht diese Erfahrungen. Es dauerte folglich mehrere Jahre, den Vorsprung von Tesla Stück für Stück wettzumachen. Erst 2021 kam mit dem Mercedes-Benz EQS ein technologisch vergleichbar gutes Modell auf den Markt.

Das erhöht also einerseits die Einstiegsschwellen, gleichzeitig ist eine neue Technologie wegen (noch) fehlender Skalierungseffekte auch vergleichsweise teuer, weil die fehlende Stückkostendegression die Preise hoch hält: nachzulesen in der Theorie der „Economy of Scale“.

Folgerichtig war auch das erste Auto, das erste Elektroauto, das erste Mobiltelefon et cetera immer sehr hochpreisig, und damit meist Wohlhabenden vorbehalten. Ähnlich gelagert könnte es bei tokenisierten Kapitalanlagen sein. Doch dieser ersten Phase folgt meist die Nutzung durch die breite Masse. Umfragen unter vermögenden jungen Menschen und Millionären unter 25 Jahren fördern immer mehr zu Tage, dass diese sich im bisherigen Private Banking eher wenig heimisch fühlen. Dieses Gefühl eines latenten Unwohlseins, eines Fremdelns mit der tradierten Bankenwelt der Eltern wird durch die feinfühligeren der Private Wealth Manager auch bestätigt.

Einerseits werden Berater eher als „Schalterbeamte“ wahrgenommen, während sich die Nextgen zeitgleich wie auf dem Präsentierteller fühlt – nach dem Motto: „Sehen Sie mal, welche tolle, hippe Kundschaft wir haben, und das als Traditionsbank!“. Das verspielt Vertrauen und macht den Besuch eher zur Pflicht als zur spannenden Begegnung auf Augenhöhe.

Doch warum ist das so? Ketzerisch könnte man fragen, ob es daran liegen könnte, dass eben diese Traditionshäuser aus dem 18. Jahrhundert Ihre eigene Tradition mehr als Ballast denn als bewahrenswerte Attribute empfinden? Die Positionen zwischen Nextgen und Private Banking scheinen – durch den breiter werdenden Graben des „New Normal“ – immer weiter und unversöhnlicher auseinander zu driften.

Die Nextgen wird ihre Vermögensnachfolge im Umfeld des „New Normal“ als Early Adopter der tokenisierten Wertpapiere mit hohem Digitalanteil absolvieren – oft allein durch den in der Generation sehr verbreiteten, und durch das Dynamikempfinden des „New Normal“ beschleunigten, Fear-of-missing-out-Effekt. Wir wissen schon, dass es durchaus Leser geben wird, die uns jetzt einen inflationären Gebrauch von „Buzz Words“ vorwerfen werden.

Doch zunächst auch hier wieder eine kurze Begriffsklärung: Was sind „Token“?

Wörtlich übersetzt sind Token schlicht und ergreifend Wertmarken. Wir kennen diese von früher, auf dem Jahrmarkt, für die Fahrt mit dem Auto-Scooter, oder heute noch für die Ballmaschine auf der Driving Range des Golfplatzes. In der Blockchain-Ökonomie sind Token ebenfalls Wertmarken. Und auch hier bilden sie – digital, verschlüsselt und dezentral protokolliert – einen klar definierten (Gegen-)Wert ab: zum Beispiel einen Anteil von 1.000 Euro je Token an einer Sache, einer Immobilie, einem Unternehmen. In einem dezentralisierten Finanzsystem, auf Basis der Blockchain, haben diese Wertmarken ein hohes Potential alteingeschliffene, unbewegliche Prozesse zu beschleunigen und sogar sicherer zu machen.

Leichtere Diversifizierung

Stiftungen und gemeinnützige Organisationen haben in der Vermögenssphäre heute die Herausforderung, dass sie – trotz Niedrig- oder sogar Negativzinsen – ihre Tätigkeiten mittel- bis langfristig finanzieren müssen. Tokenized Real Assets, kurz TRAs, bieten hier eine niederschwellige Einstiegsmöglichkeit in lukrative Anlageklassen, die ihnen bisher wegen der Mindestanlageschwelle oft verschlossen blieben.

Der wichtigste Aspekt ist hier die leicht zugängliche Diversifizierung der Kapitalanlage bei geringstem Verwaltungsaufwand: Handelt es sich bei den Token doch um nichts weiter als digitalisierte Wertpapiere. Ein Mehrfamilienhaus in der Vermögenssphäre muss verwaltet, instand gehalten und bewirtschaftet werden. Das erfordert Besuche vor Ort, die Durchführung von Mieterversammlungen, Hausmeister muss bestellt und beaufsichtigt werden, Haftungsthemen müssen geklärt werden, und es bindet gegebenenfalls einen Großteil des Stiftungskapitals, das durch ein einziges Feuer vernichtet werden könnte.

Als TRA ist es unnötig alle Eier in einen Korb zu legen. Die Stiftung muss nicht einmal eine ganze Eigentumswohnung kaufen, sondern lediglich die korrekte Ausschüttung der Gewinne und den Kursverlauf des Tokens beobachten. Zudem kann sie jederzeit ihre Token einfach wieder verkaufen. Die Tokenisierung macht somit ehemals illiquide Assets liquide und damit fungibel.

Wenn die Kapitalanlage (wie Kunst oder bezahlbarer Wohnraum) dann noch mit der Zweckerfüllung übereinstimmt, könnte man sogar von transformativem Kapital sprechen, weil die Zweckerfüllung schon in der Vermögenssphäre verwirklicht wird, und die in der Stiftungssatzung definierte und angestrebte Transformation bewirkt. In der Finanzsprache würde man das, im übertragenen Sinne, ein „Hebelprodukt“ nennen.

Und die Risiken?

Wie bei jedem anderen Investment auch, müssen Stiftungsverantwortliche zunächst sehr genau hinschauen, ob sich das angestrebte Investment mit den Anlagerichtlinien vereinbaren lässt. Sollte keine vorhanden sein, sollte – schon aus Eigenschutz vor Haftungsthemen – eine erstellt werden. Zudem ist es hilfreich, diese im weiteren Verlauf mindestens alle 24 Monate zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren.

Wie bei jedem neuen Anlageprodukt, wird es – gerade in der Anfangszeit – seriöse und weniger seriöse Anbieter geben. Es ist also eine Notwendigkeit, vor einer Anlageentscheidung sehr genau hinzuschauen, wer das TRA anbietet, und was es genau beinhaltet. Ehrenamtliche Stiftungsverantwortliche werden das regelmäßig kaum leisten können; da ist professionelle Beratung gefragt. Denn „gute Beratung kostet sicher ein Honorar – keine Beratung meist das Vermögen“.

Je diversifizierter das Portfolio ist, umso stringenter sollte das Monitoring sein. Mittlerweile gibt es dafür aber Tools, mit denen Stiftungsverantwortliche das Portfolio auf dem Smartphone überwachen können.