Kommentare zur EZB-Sitzung „Ein Hauch von Tapering“

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Angesichts der gestiegenen Risiken im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Delta-Variante gehen wir inzwischen davon aus, dass das PEPP-Volumen von 1.850 Milliarden Euro voll ausgeschöpft wird. Nach dem voraussichtlichen Ende des PEPP im März 2022 werden die Anleihenkäufe wahrscheinlich in einer anderen Form in reduziertem Umfang fortgesetzt. Vor dem Hintergrund einer zu erwartenden robusten Konjunkturentwicklung im nächsten Jahr sowie unserer Einschätzung eines stärkeren Inflationsanstiegs als von der EZB unterstellt, gehen wir davon aus, dass die Anleihenkäufe im Verlauf des 2. Halbjahres 2022 spürbar zurückgefahren werden. Eine erste Zinsanhebung im Jahr 2023 ist nach wie vor möglich, wenn die EZB ihre langfristigen Inflationsprognosen anhebt. Davon gehen wir im nächsten Jahr aus.

Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW Mannheim:

In der heutigen Entscheidung des EZB-Rats zeigt sich, dass die veränderte geldpolitische Strategie nicht nur eine neue Rhetorik, sondern auch eine Veränderung in der Sache bringt. Mit dem überarbeiteten zinspolitischen Ausblick immunisiert die EZB ihre Negativzinsen und die Anleihekäufe auf lange Zeit gegen einen überraschend starken Inflationsanstieg. Es ist auffällig, wie selektiv die EZB aktuelle Entwicklungen wahrnimmt. Während die Risiken neuer Infektionswellen offenbar stark beachtet werden, ist das Interesse für die unverkennbaren Signale einer beginnenden Überhitzung von Teilen der Wirtschaft gering. Geldpolitisch sollte eigentlich der fast schon dramatische Anstieg der Produzentenpreise genauso sorgfältig beachtet werden wie die Pandemieentwicklung. All das sind Anzeichen dafür, dass die Inflation in der Zielfunktion der EZB mit der neuen Strategie an Gewicht verloren hat. In der praktischen Konsequenz bedeutet all dies die Fortdauer der Null- und Negativzinsen bis mindestens 2023.

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der V-Bank:

Die Europäische Zentralbank (EZB) behält ihre Geldpolitik bei. Sie ändert zwar ihre „Forward Guidance“, ihre Wegbeschreibung, doch in der Sache bleibt alles beim Alten.

Die heutige Zinssitzung war von EZB-Chefin Christine Lagarde als bedeutend angekündigt worden. Die Änderungen fallen aber bescheiden aus. Die Werbung klang vielversprechender, als sich nun das Produkt präsentiert. Zwar mag sich der Pressetext in seinem Aufbau verändert haben, doch in der Sache ändert sich nichts. Die EZB bleibt eine expansive Notenbank, also alter Wein in neuen Schläuchen.

Aber der Reihe nach: Heute stand der erste reguläre Zinsentscheid nach der Überarbeitung der geldpolitischen Strategie an. Mit den neuen Zielen musste sich auch die Kommunikation ändern, weil die europäischen Währungshüter nun die Preisstabilität neu auslegen.