Kommentare zur EZB-Sitzung „Ein Hauch von Tapering“

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Die EZB kann nun ein zeitweiliges Überschießen der Inflationsrate über die Zielmarke von 2 Prozent hinaus tolerieren. Deshalb wurde die „Forward Guidance“ angepasst. Die EZB streckte den Zeitraum, in der die Leitzinsen bei null bleiben. Die Rede ist nun von einer Übergangszeit, in der die Inflationsrate auch über 2 Prozent liegen kann, ohne dass sich dadurch die Notwendigkeit für höhere Leitzinsen ergibt.

Die EZB geht davon aus, dass das Bruttoinlandprodukt im ersten Quartal 2022 wieder das Vorkrisenniveau erreichen wird. Die Schäden der Pandemie werden aber noch länger sichtbar bleiben. Dies betrifft unter anderem den Arbeitsmarkt.

Risiko bleibt weiterhin die Virus-Entwicklung, insbesondere vor dem Hintergrund der sich ausbreitenden Delta-Variante. Der Inflationsanstieg wird weiterhin als ein vorübergehendes Phänomen deklariert. Der schwache Lohndruck und die Euro-Aufwertungen dämpfen die übergeordnete Preisentwicklung.

Die EZB möchte mit der neuen Forward Guidance auch vermeiden, dass der Eindruck eines verfrühten Ausstiegs aus der expansiven Geldpolitik entsteht. Klar ist, erst mit einer Inflationsrate von nachhaltigen 2 Prozent wird die EZB restriktiver werden.

Da die gewünschte Inflationsrate von 2 Prozent laut den Projektionen der EZB mittelfristig nicht erreicht wird, dürfte auf absehbare Zeit keine nennenswerte Änderung des grundlegenden geldpolitischen Kurses anstehen. Die lockere Geldpolitik wird also immer mehr zur Normalität. Die EZB könnte zwar im März 2022 das Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP) einstellen, gleichzeitig aber den bestehenden Ankaufprogrammen wieder ein höheres Gewicht zukommen lassen. Das bereits im Vorquartal erhöhte Ankaufvolumen des PEPP setzt sich auch im dritten Quartal fort.

Wer auf höhere Leitzinsen hofft, wird enttäuscht. Die EZB wird ihre ultra-expansive Geldpolitik vermutlich auch die kommenden Jahre über fortsetzen. Damit wächst die Gefahr von Blasen an den Vermögensmärkten.

Thorsten Polleit, Chefvolkswirt Degussa-Goldhandel:

Der EZB-Rat hat auf seiner heutigen Sitzung die Leitzinsen wie erwartet unverändert gelassen. Gleichzeitig hat er jedoch unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass die Zinsen noch lange, lange Zeit auf (beziehungsweise) unter der Nulllinie verharren werden. Die Zinsen sollen nämlich erst dann angehoben werden, wenn sie innerhalb des zweijährigen EZB-Prognosehorizontes merklich und nachhaltig über der 2-Prozentmarke liegen.