Das deutsche Steuerwesen, Teil 1 Es reicht – eine Bestandsaufnahme

Seite 3 / 3


Die Verwechslungsgefahr

Eindeutig zeigen diese Listen auch: Dem Staat geht es dabei nicht um eine gerechte, sondern um eine effiziente Steuererhebung. Lediglich knapp 300 Milliarden Euro werden als Ertragsteuern (Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer) erhoben; alles andere sind ‒ von wenigen Verkehrssteuern wie der Grunderwerbsteuer einmal abgesehen ‒ Verbrauchssteuern.

Diese haben das Gerechtigkeitsproblem, dass jeder auf seinen Verbrauch die gleiche Steuer zahlt, egal wie arm oder reich er ist. Dabei dürfte es wenig trösten, dass in vermögenden Haushalten öfter der Schaumweinkorken knallt als in armen Haushalten – schuldet doch auch der Obdachlose immer noch seiner Gemeinde die Hundesteuer für seinen tierischen Bettelgefährten. Bei den Ertragsteuern ist die Hälfte (knapp 150 Milliarden Euro) wiederum Lohnsteuer, die von Gehältern durch den Arbeitgeber gleich einbehalten und abgeführt wird und nur wenig Möglichkeit des Entkommens bietet.

Da muss einen keine Staatsverdrossenheit plagen, sondern nur die Erkenntnis des klaren Blickes: Der Staat nimmt, wo er es nur kriegen kann. Die Gerechtigkeitsdebatte, die er selbst so gerne führt, wenn es ihm nützt, ist ihm bei der Erhebung der Steuern letztlich völlig wurscht.

Dies wird an der langen Liste der Bund-, Länder- und Gemeindesteuern besonders deutlich, die genüsslich die „Laster und kleinen Sünden“ der Menschen besteuern, also jede Form von Alkohol, Tabak, Kaffee, Wetten, sowie überhaupt jede Form des Vergnügens und jede Form weiteren (vermeintlichen) Luxus‘, also den Hund, das Jagen und Angeln, den Energieverbrauch, die Zweitwohnung. Da der Mensch immer sündigen und immer das Bedürfnis nach ein paar Vergnügungen haben wird, dürfte dem Staat diese Bemessungsgrundlage nie ausgehen.

Kein Anspruch auf Gegenleistung

Und schon greift ein zweites Urgesetz: Eine einmal eingeführte Steuer bleibt bestehen, auch wenn der Anlass sich längst erledigt hat. Bestes Beispiel dafür ist der Solidaritätszuschlag, der übrigens bundesweit erhoben wird und der keineswegs nur für die östlichen Bundesländer verwendet wird. Sein Erlös in Höhe von rund 14 Milliarden Euro pro Jahr fließt in den Bundeshaushalt – einfach so. Wie heißt es im Paragrafen 3 der Abgabenordnung: „Steuern begründen keinen Anspruch auf Gegenleistung.“ Wohl wahr, da muss der Name wohl ein Täuschungsmanöver gewesen sein.

Bitte verabschieden Sie sich von der Illusion, Steuern hätten irgendeinen nachvollziehbaren Grund, quasi eine innere Logik, eine höhere Gerechtigkeit oder auch nur einen rechtfertigenden Daseinszweck außer dem, unserem Staat genügend Geld zur Verfügung zu stellen – und zwar möglichst geräuschlos, zuverlässig und mit möglichst wenig Gegenwehr.

Ein Beispiel? Eine Prostituierte und ihr Freier in Köln, die dort einem der ältesten Gewerbe der Welt und einem der grundlegendsten Bedürfnisse der Menschheit nachgehen, begründen an einem einzigen Abend zusammen eine mehrfache Steuerpflicht: in der Einkommen-, Gewerbe-, Umsatz- und Vergnügungssteuer plus Solidaritätszuschlag (die die Prostituierte auf ihren Gewinn und Umsatz schuldet), Energiesteuer (die der Freier im Spritpreis entrichtet hat, den er auf der Fahrt mit dem Auto zum Bordell verbraucht), Schaumwein- und Tabaksteuer (stecken im Preis der konsumierten Waren beim Kennenlernen).

Ganz nebenbei zahlt der Bordellbetreiber eine Schanklizenzabgabe und eine Getränkesteuer (neben den Ertrag- und Umsatzsteuern nebst Solidaritätszuschlag, die auf seine Geschäftstätigkeit entfallen) sowie Stromsteuer für das rote Licht, das auf seinen Betrieb hinweist, und Versicherungssteuer auf die Haftpflichtversicherung, die er für seinen Betrieb abgeschlossen hat.

In diesem Sinne liegt das größte Vergnügen eines solchen Abends wohl ganz beim Fiskus.

Die weiteren Artikel der Serie erscheinen in Kürze.


Über den Autor:
Dr. Peter Lüdemann ist Gründer der Wirtschaftskanzlei Lüdemann Wildfeuer und Partner in München. Der Rechtsanwalt und Steuerberater ist Experte für internationales Steuerrecht und Referent bei Verlagen und Kammern. Zudem ist der 51-Jährige Honorarprofessor an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 2015 erschien Lüdemanns Buch: „Abgezockt und Kaltgestellt – wie der deutsche Steuerzahler systematisch ausgeplündert wird“ im Finanzbuchverlag.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen