Unzeitgemäße Wirtschaftsstruktur Der Sommer der Staatsbankrotte

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Puerto Rico: die Nebenwirkungen eines Steuersparmodells

Die Karibikinsel Puerto Rico ist als „nicht inkorporiertes Gebiet der Vereinigten Staaten“ formal betrachtet eine seltsame, halbsouveräne Nation. Denn einerseits ist das Land Teil der Vereinigten Staaten: Währung ist der US-Dollar und es gibt keine eigene Außenpolitik. Alle Puerto Ricaner haben die US-Staatsbürgerschaft und müssen Bundessteuern zahlen. Für sie gelten diverse US-Sozialleistungen, unter anderem die Mindestlohnvorschriften.

Andererseits stehen den Bürgern nicht sämtliche Rechte zu, die in der US-Verfassung festgeschrieben sind, sondern nur die Grundrechte. Bei den Präsidentenwahlen sind sie ohne eigenes Stimmrecht. Dafür gibt es eine Selbstverwaltung, die alle inneren Angelegenheiten regelt. Für seine Staatsschulden in Höhe von 73 Milliarden Dollar st das Land alleine verantwortlich.

Die Wirtschaftsstruktur sieht auf den ersten Blick relativ modern aus, Handel, Industrie und Tourismus dominieren. Die Karibikinsel ist weltweit einer der größten Standorte für die Produktion von Medikamenten. Hauptgrund hierfür ist aber, dass multinationale Konzerne in Puerto Rico praktisch keine Steuern zahlen müssen. Aufgrund seines laxen Fiskalrechts gilt die Insel weithin als einer der Hauptstandorte für Konstruktionen zur legalen Steuervermeidung.

Hauptverlierer war in den vergangenen Jahrzehnten die Landwirtschaft, die angesichts von Mindestlöhnen trotz geografischer Vorteile in Vergleich mit den Nachbarinseln und -nationen nicht konkurrenzfähig ist. Dies führt groteskerweise dazu, dass 85 Prozent der Nahrungsmittel importiert werden.

Weitere Konsequenz ist eine sehr hohe Arbeitslosigkeit. Die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei 12,4 Prozent, nach ökonomischen Analysen sind aber wohl nur 40 Prozent der erwachsenen Bevölkerung regulär beschäftigt oder auf Jobsuche. Sozialtransferzahlungen machten 2012 zirka 30 Prozent des BIP aus.

Viel stärker noch als in Griechenland ist der „Brain Drain“: Alleine 2014 sind fast ein Prozent der Bevölkerung ausgewandert. Viele hoch qualifizierte junge Leute verlassen frustriert das Land und suchen ihre Chance woanders.

Es gibt eine gewaltige Schattenökonomie. Das Verständnis bei den Bürgern, dass man einen Staat durch Steuern finanzieren muss, ist dementsprechend gering ausgeprägt. Hinzu kommt, dass die Hauptarbeitgeber – multinationale Konzerne – auch wenig Neigung haben, Steuern zu zahlen, weil sie ja genau aus dem Grund der Steuervermeidung auf die Insel gekommen sind.

Dies alles ist schon lange bekannt, genauer gesagt seit 2006. In diesem Jahr stand die Inselregierung das erste Mal vor der Pleite und wurde zum ersten Mal gerettet: durch einen von Washington administrierten Schulden-Deal, dessen Fokus im Nachhinein fatal an die späteren Rettungsprogramme der EU erinnerte: Sparen und höhere Steuern anstatt von richtigen Strukturreformen. Seitdem befindet sich das Puerto Rico im schleichenden Niedergang, seit neun Jahren geht das BIP zurück.

Wie in Griechenland vor 2008 hat sich in Puerto Rico während der fetten Jahre vor 2006 eine parasitäre Bürokratie entwickelt, die es danach nicht schaffte, von ihren Privilegien zu lassen. Staatsausgaben wurden bevorzugt über Schulden finanziert, ohne sich über Zins- und Tilgungszahlungen Gedanken zu machen. Die öffentliche Verwaltung und die Staatsunternehmen sind chronisch ineffizient geworden.

Sinnbild hierfür ist das Energieversorgungsmonopol, dessen Preise doppelt so hoch sind wie in den USA, das aber trotzdem kurz vor dem Bankrott steht. Die Verhinderung von echten Reformen steht im Vordergrund der Politik, nicht Anpassung an notwendige Veränderungen.

Parallelen zu Griechenland

Die grundlegenden Probleme sind denen Griechenlands nicht unähnlich. In Puerto Rico sind sie aber nicht das Ergebnis überkommener Gesellschaftsvorstellungen, sondern eines durch durch Fehlanreize ad absurdum geführten Marktliberalismus. Die scheinbare Modernität ist eine artifizielle Konstruktion, die auf Fehlsteuerung beruht.

Speziell die USA spielen hier eine zwielichtige Rolle: Ihre Industrie- und Steuerpolitik hat dazu geführt, dass auf Puerto Rico eine den Bedürfnissen des Landes entgegengesetzte Wirtschaftsstruktur entstand, die vor allem Steuervermeidern und Regierungsbeamten nützt. An den negativen Nebenwirkungen war Washington bisher auffällig desinteressiert.

Diese kapitalistische Doppelmoral hat das Entstehen einer parasitären Business-Kultur begünstigt. Sie generiert Wohlstand nicht durch Produktivität, sondern durch Tricksereien in einer Grauzone zwischen Legalität und Kriminalität. In unserer heutigen Welt mit wettbewerbsintensiven globalen Märkten und hoher Transparenz (zunehmend gerade in Steuerfragen) erscheint eine solche Wirtschaftsweise aber zunehmend anachronistisch. Puerto Rico muss sich umstellen, was jedoch Viele, die bisher von dem System profitierten, solange wie möglich vermeiden wollen.