Es fließt nicht genug Geld in nachhaltige Finanzanlagen. „Aus Sicht der EU-Kommission reicht das derzeitige Investitionsvolumen nicht aus, um ein ökologisch nachhaltiges Wirtschaftssystem zu stützen, das dem Klimawandel und der Ressourcenverknappung entgegenwirkt“, sagt Kai Lehmann. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat sich im vergangenen Jahr eine Expertengruppe mit dem Thema auseinandergesetzt. Die Ergebnisse daraus stellte die EU-Kommission dann Anfang März dieses Jahres in ihrem Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen vor. Dieser umfasst vier Kernpunkte.
Erstens soll ein EU-weit einheitliches Klassifikationssystem geschaffen werden. Anhand harmonisierter Kriterien soll sich beurteilen lassen, welche Tätigkeiten als ökologisch nachhaltig gelten. Zweitens enthält der Plan Empfehlungen, wie institutionelle Anleger Nachhaltigkeitsfaktoren in ihre Entscheidungen einfließen lassen. Zudem sollen sie ebenso wie Vermögenverwalter nachweisen, inwieweit ihre Investitionen an Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet sind und offenlegen, wie sie diesen Pflichten nachkommen. Drittens sollen Anleger besser über den CO2-Fußabdruck von Unternehmen beziehungsweise ihrer Anlageportfolios informiert werden, und diesen anhand von Referenzwerten einschätzen können. Viertens strebt die EU an, sich die Kundenberatung in Sachen Nachhaltigkeit verbessern.
Die Schwierigkeit der Begriffsdefinition
Gleich der erste Punkt stellte eine enorme Herausforderung dar. Schließlich hat die Vergangenheit gelehrt – nachhaltiges Investieren ist ja nicht neu –, dass es kein einheitliches Verständnis von nachhaltigem Investieren gibt, nicht einmal innerhalb eines Landes, geschweige denn in Europa oder gar weltweit. „Im Kontext der Geldanlage wird der Begriff Nachhaltigkeit durch das Akronym ESG, konkretisiert, kurz für Environmental, Social und Governance“, erklärt Lehmann. Investieren nach ESG-Kriterien zielt also nicht nur darauf ab, die Umwelt besser zu schützen, sondern berücksichtigt auch soziale Aspekte wie Menschen- und Arbeitnehmerrechte oder Chancengleichheit. Daneben wird ebenfalls auf die Unternehmensführung geblickt, ob etwa die Unabhängigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat gewahrt sind und ein transparentes Reporting vorliegt.
Doch auch diese Kriterien sind vielschichtig und ihre Anwendung bei Strategien und Produkten zur nachhaltigen Geldanlage mannigfaltig. „Die Ansätze, nach denen nachhaltige Fonds ihre Investitionen auswählen reichen von einfachen Ausschlüssen über die Integration von Nachhaltigkeitskriterien in die klassische Finanzanalyse bis hin zur gezielten Ausübung von Stimmrechten auf der Hauptversammlung“, erläutert Lehmann.
Die mit Abstand am häufigsten verwendete Strategie ist die Definition von Ausschlusskriterien – als alleinige Strategie oder im Rahmen einer breiter gefassten Nachhaltigkeitsstrategie. Ebenfalls gern genutzt ist der Best-in-Class-Ansatz. Hier werden die Unternehmen mit dem besten ESG-Score jeder Branche gesucht. So lassen sich sektorausgewogene Portfolios darstellen. „Doch scheint man auch bei der Verwendung dieses Ansatz nicht vor groben Fehlgriffen gefeit, landeten bei so manchem Best-in-Class-Rating Unternehmen wie VW und BP als Klassenprimi ganz oben auf den Bestenlisten und damit in vielen ESG-Portfolios“, gibt Lehmann zu bedenken. Zielgerichteter erscheint ihm die Positivauslese, die bei den weniger verbreiteten nachhaltigen Themenfonds angewendet wird. Hier wird direkt in Branchen und Unternehmen investiert, die sich mit Themen beschäftigen, die als nachhaltig angesehen werden, etwa erneuerbare Energien.
Vorsicht vor Greenwashing
Da die Finanzindustrie durchaus registriert, dass Investoren dem Thema Nachhaltigkeit zunehmend Wert beimessen, spielen ESG-Kriterien nicht nur auf Produktebene eine Rolle, sondern sie werden immer häufiger auf Unternehmensebene verankert und portfolioübergreifend angewendet. „Große Popularität bei der ESG-Umsetzung hat die Strategie des normenbasierten Screenings erlangt“, sagt Lehmann. Hier verpflichtet sich der Investor zur Implementierung allgemein anerkannter Investmentstandards in den Prozess der Unternehmensanalyse. So steigt die Zahl der Unterzeichner der Principles for Responsible Investments der Vereinten Nationen (UNPRI) stetig an und liegt mittlerweile bei rund 2.000.
Lehmann weist jedoch darauf hin, dass die Prinzipien recht allgemein formuliert sind und den Unterzeichnern große Freiheiten bei Umfang und Geschwindigkeit der Umsetzung gelassen werden. Nicht die reine Überzeugung, sondern vor allem der Marketingeffekt könnte bei einigen im Fokus stehen, das räumte sogar UNPRI-Geschäftsführerin Fiona Reynolds im vergangenen Herbst in ihrer Rede auf dem Global Invest Forum ein. Ein solches „Greenwashing“ droht Anlegern jedoch in allen Bereichen der nachhaltigen Geldanlage. „Als mündiger Anleger kommt man somit nicht umhin, in Eigenregie zu prüfen, ob die konkrete Umsetzung der Geldanlage zu den eigenen Vorstellungen passt“, so Lehmann. Daran wird wohl auch der Aktionsplan der EU kaum etwas ändern.