Aus der Naturkatastrophenforschung Wie man Ausreißer am Finanzmarkt besser bewertet

Paul Skiba ist Leiter Risikomanagement beim Vermögensverwalter BPM – Berlin Portfolio Management

Paul Skiba ist Leiter Risikomanagement beim Vermögensverwalter BPM – Berlin Portfolio Management

Der Gastbeitrag erschien bereits als Artikel „Extremrisiken an den Finanzmärkten: Im Blick behalten, was wirklich zählt“ in der aktuellen Ausgabe der „Hansawelt“, einem Kundenmagazin der Kapitalverwaltungsgesellschaft Hansainvest.

Seltene und extreme Ereignisse fachgerecht zu adressieren, ist ein Grundpfeiler professionellen Risikomanagements. Standardmethoden versagen jedoch im entscheidenden Moment. Die Schuld wird dann bei „Schwarzen Schwänen“ gesucht. Extremwertmodelle erlauben hingegen das extreme Verlustrisiko einzuschätzen, und entlarven viele vermeintlich Schwarze Schwäne als kalkulierbares Risiko.

Wie viele Tage haben Ihr Leben nachhaltig beeinflusst? Jeder zweite? Einer pro Woche? Wohl kaum. Entscheidende Ereignisse, wie der Schulabschluss, die Hochzeit oder die Geburt der Kinder, sind vor allem durch Seltenheit geprägt. Im täglichen Leben würden Sie wohl kaum auf die Idee kommen, Ereignissen aufgrund ihrer Seltenheit weniger Aufmerksamkeit zu schenken.

Die Bewertung von Portfoliorisiken erfolgt dagegen häufig auf Basis von Durchschnittswerten. Diese sind für die Messung von Extremrisiken aber irrelevant. Kennzahlen, wie die Volatilität und der Value-at-Risk, werden als Synonym für Risiko akzeptiert, obwohl sie extreme Verluste konstruktionsbedingt ausblenden.

Bildlich gesprochen durchquert ein auf Volatilität aufbauendes Risikomanagement täglich einen durchschnittlich einen Meter tiefen Fluss ohne Schwimmweste. Und geht dann alle paar Schritte – oder alle paar Jahre im Zuge einer drastischen Marktkorrektur – böse baden.

Nun hat der Markt die Volatilität tatsächlich als „Schönwettermaß“ enttarnt und ein Maß für extreme Verluste (sogenannte Tail-Risiken) eingeführt: den Value-at-Risk (VaR). Für dessen Berechnung griff man dann in die Statistik-Trickkiste und zog ausgerechnet die Normalverteilung hervor. Eine fragwürdige Herangehensweise, ist doch auch diese Methode für das Erfassen von Extremrisiken schlichtweg ungeeignet. Die entscheidenden Tail-Risiken gelten hier als Ding der Unmöglichkeit.

Als betroffener Investor hört man dann nach Eintreten dieser „unerwartet“ extremen Verluste häufig Begriffe wie „10-Sigma Event“ und „Schwarzer Schwan“. Diese stehen sinnbildlich für ein nicht mehr kalkulierbares extremes Risiko. Hinter den Kulissen ist auch der normalverteilte VaR nichts anderes als die Multiplikation der Volatilität mit einer Konstanten, in der Regel ein Wert um die 2. Doppelt falsch ist damit also vermeintlich richtig, und alles darüber hinaus ist der gefürchtete Schwarze Schwan.

Extremwerttheorie kommt mit wenigen Datenpunkten aus

Anders als in der Finanzwelt ist das Bewerten von möglichen Schäden durch extrem seltene Ereignisse in der Naturkatastrophenforschung bestens erprobt. Versicherungen, die den „Worst-Case“ akkurat beschreiben müssen, kalkulieren mögliche Schadensfälle so, dass sie auch bei einem „10-Sigma Event“ nicht auf dem falschen Fuß erwischt werden.

Fundament dieser Kalkulation ist die sogenannte Extremwerttheorie. Sie ist eine statistische Disziplin, deren einziger Fokus auf der akkuraten Modellierung von extremen Ausreißern liegt. Man darf sich wundern, dass dieses bewährte Konzept erst in jüngster Vergangenheit Einzug in die Bewertung von Finanzmarktrisiken gefunden hat. Die Gründe sind in der komplexen Berechnung und notwendigen Sorgfalt bei der Validierung der Ergebnisse zu finden. Wegen der extremen Seltenheit wichtiger Datenpunkte, muss die Methodik schließlich auch mit wenigen Beobachtungen robust arbeiten können.

Komplexe Berechenbarkeit darf jedoch in unserem digitalisierten Zeitalter kein Grund zur Vernachlässigung signifikanter Verlustrisiken sein. Im Gegenteil: die fachgerechte und adäquate Messung von Verlustrisiken ist im aktuellen Marktumfeld essentiell. Zahlreiche Investoren müssen heute deutlich risikoreichere Anlagen akzeptieren, um überhaupt noch Erträge erwirtschaften zu können.

Der sich aufdrängende, logische Schritt besteht also darin, die Verfahren der Extremwerttheorie auf den Prozess der Marktrisikomessung zu übertragen. Dies wurde in den letzten Jahren durch Dr. Frank Schmielewski von der RC Banken Gruppe in Form des Extreme Value-at-Risk (eVaR) intensiv vorangetrieben. Gemeinsam mit Professor Stoyan Stoyanov von der Stony Brook University New York wurde nachgewiesen, dass ein naives Portfolio aus Wertpapieren mit geringen Extremrisiken bereits zu einer signifikanten Verbesserung von Rendite und Risiko im Vergleich zu volatilitäts-minimierenden Ansätzen führt.

Gleichzeitig belegt Professor Didier Sornette (ETH Zürich) eindrucksvoll, dass großen Strukturbrüchen und Marktkrisen extreme Ereignisse als messbare Vorbeben vorangehen. 

Fazit

Es lohnt sich, den Blick auf die Extrema zu richten, um nicht nur ein realistisches Bild der historischen Wertpapier- und Portfoliorisiken zu erhalten. Sondern auch, um sich aufbauende Extremrisiken frühzeitig zu erkennen und das Portfolio sturmfest zu machen, bevor die Deiche brechen.


Über den Autor:

Paul Skiba verantwortet beim Vermögensverwalter BPM – Berlin Portfolio Management die Bewertung von Portfoliorisiken und Absicherungsstrategien. Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und am University College Dublin sowie Finanzmathematik an der Cass Business School in London.

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