Malte Dreher: Herr Viebig, nach Corona ist jetzt Krieg und Inflation. Was passiert gerade? Ordnen Sie uns doch diese globale Krise einmal ein und brechen Sie sie uns etwas herunter auf unseren Alltag.
Professor Dr. Jan Viebig: Momentan erleben wir eigentlich zwei Krisen, die sehr dicht aufeinander folgen. Als erstes hatten wir einen Nachfrageschock. Er hat dazu geführt, dass das Bruttoinlandsprodukt während der Covid-Krise stark eingebrochen ist. Aber gleichzeitig sind die Preise gefallen. Jetzt haben wir eine schwerwiegendere Krise, einen Angebotsschock. Dabei geht das Bruttoinlandsprodukt zurück, und gleichzeitig steigen die Preise sehr stark. Gegen den Nachfrageschock kann man politisch relativ schnell etwas tun: Man druckt Geld und stimuliert die Wirtschaft durch große Finanzpakete. Beim Angebotsschock funktioniert das nicht. Wenn man das machen würde, würde man die Inflation noch verschlimmern.
Malte Dreher: In einem aktuellen Marktkommentar sprechen Sie von einer zweistelligen Inflation, wahrscheinlich schon jetzt im Herbst. Mein tägliches Frühstück ist gut 40 % teurer als noch im Vorjahr. Der Einkaufswagen wird zum Luxuswagen, möchte man fast sagen. Wie ist diese Steigerung einzuordnen?
Professor Dr. Jan Viebig: Schon vor dem Krieg haben wir hohe Inflationsraten gesehen. In Europa hatten wir zum Beispiel 5 % Inflation im Dezember des vergangenen Jahres. In den USA gab es sogar eine Inflation von 7 %. Dann kam der Krieg dazu. Der Angebotsschock des Krieges hat Energie knapp werden lassen. Und das wiederum hat dazu geführt, dass wir einen sehr hohen zusätzlichen Schock bekommen haben und die Preise stark gestiegen sind. Jetzt kann man relativ gut vorhersagen, was passiert: Die Inflation wird breiter, sie dehnt sich aus. Was Ihr Frühstück betrifft: Momentan bezahlen Sie 78 Prozent mehr für Ihre Butter, Sie bezahlen 35 Prozent mehr für Ihre Milch und 32 Prozent mehr für Kaffee. Das ist ein typisches Beispiel dafür, dass die Inflation sich verbreitert. Die Zinserhöhung der Zentralbanken kam viel zu spät.
Malte Dreher: Was hätte denn aus Ihrer Sicht geholfen? Würden wir damit nicht nur Effekte weiter nach vorne extrapolieren, wenn die Zinsen schon früher erhöht worden wären?
Professor Dr. Jan Viebig: Es ist relativ einfach, wie sich Zentralbanken verhalten sollen. Typischerweise nimmt man die Taylor-Regel, um zu schauen, wann eine Zentralbank handeln muss. Vereinfacht gesagt, muss sie handeln, wenn die Inflation viel höher ist als das Inflationsziel. Das Inflationsziel liegt bei 2 %. Die Inflation in Europa liegt momentan bei 9,1 %. Das zeigt, dass die EZB sehr lange mit ihrer Reaktion gewartet hat. Hinzu kommt noch ein zweiter Faktor: Man schaut sich die Auslastung der Wirtschaft an. In den USA haben wir eine Arbeitslosenquote von 3,7 %. Der Arbeitsmarkt ist also sehr stark ausgelastet, und auch das ist ein Indiz dafür, dass die amerikanische Zentralbank viel schneller hätten handeln müssen. Aber sie hat sich geirrt. Sie hat gedacht, das ist transitorisch, also vorübergehend, und das war falsch.
Malte Dreher: Wieviel Psychologie und Self-fulfilling Prophecy stecken in Inflationserwartungen?
Professor Dr. Jan Viebig: Es gibt verschiedene Gründe für eine Inflation. Inflationserwartungen sind ein Punkt, aber sicher nicht der Entscheidende. Ausschlaggebend momentan sind eine sehr große Nachfragesog-Inflation und eine Kostendruck-Inflation. Das sind die typischen Faktoren, die zu einer Inflation führen. Zudem sehen wir aktuell sehr große monetäre Effekte. Die Zentralbank hat die Geldmenge seit 1999 verfünfzehnfacht. Auch das führt dazu, dass bei den Bürgerinnen und Bürgern Inflationserwartungen geweckt werden. Der nächste Punkt ist sicherlich, dass auch die Staatsausgaben ausgeufert sind. Denken Sie etwa an Italien. Auch das führt dazu, dass die Menschen Angst vor Inflation haben. Wenn alle diese Faktoren zusammenkommen, dann steigen die Inflationserwartungen und verfestigen sich. Und das ist genau der Grund, warum Zentralbanken möglichst frühzeitig, also schon beim Entstehen einer Inflation, reagieren sollen. Leider haben sie das nicht getan.
Malte Dreher: Was erwarten Sie künftig von den Zentralbanken, und wie wird man dieser Inflation irgendwann Herr werden?
Professor Dr. Jan Viebig: In der EZB gibt es zwei verschiedene Lager: Auf der einen Seite das Lager um Philip Lane und Fabio Panetta, wo immer die Auffassung vertreten wurde, dass die Inflation schnell vorübergeht. Doch das andere Lager um den Bundesbeamten und Bankpräsidenten Nagel, Herrn Holzmann und andere Mitglieder des EZB-Rats setzt sich momentan durch. Sie verfolgen eine härtere Linie und wollen die Zinsen jetzt anheben. Diese Sichtweise setzt sich sowohl in Frankfurt bei der EZB als auch in den USA durch. In den USA offensichtlich früher, denn dort wurden die Zinsen schon am 16.03. erhöht. In Europa hat man erst zum 21.07. die erste Zinserhöhung vorgenommen. Ich denke, dass die Zinsen deutlich steigen müssen, um diese enorme Inflation, die auch ein enormes soziales Problem bedeutet, zurückzudrängen.
Malte Dreher: Aber was heißt das für die Südländer? In den vergangenen Jahren wurde immer wieder gesagt, wir können uns nicht mal die kleinste Zinserhöhung leisten, ohne dass etwa Italien unter der Schuldenlast implodiert. Ist das auf einmal nicht mehr Mainstream?
Professor Dr. Jan Viebig: In Europa haben wir eine Währungsunion, das ist das große Problem. Man hat sehr heterogenen Ländern eine gemeinsame Währung gegeben. In der Vergangenheit konnte man auf nationaler Ebene abwerten, diese Möglichkeit besteht nicht mehr. Leider hat man eine Währungsunion ohne einen Anpassungsmechanismus geschaffen. Aus diesem Grund ist die EZB gezwungen, die Zinsen nicht zu stark zu erhöhen, um die hoch verschuldeten Länder nicht in zu große Schwierigkeiten zu bringen. Natürlich werden die Zinsen auch in Europa steigen, aber nicht so stark wie es eigentlich notwendig ist, um die Inflation zu einzudämmen. Hinzu kommt, dass die EZB sich darauf versteift, dass sie nicht nur für die Inflation und die Preisstabilität zuständig ist – das ist das eigentliche Mandat im Vertrag von Maastricht und in den Folgeverträgen –, sondern sie glaubt, dass sie auch die Zins-Spreads stärker begrenzen muss. Wofür sie aber eigentlich gar nicht zuständig ist. Deshalb hat sie das Transmission Protection Instrument (TPI) eingeführt. Verkürzt bedeutet das nichts anderes, als dass die EZB bereit ist, verstärkt italienische Anleihen zu kaufen. Meines Erachtens gerät sie damit in einen Zielkonflikt, weil sie ihre eigentliche Aufgabe, die Preisstabilität zu wahren, nicht vollumfänglich erfüllen wird.
Malte Dreher: Verlagern wir dadurch erneut ein Problem und schieben eine gewisse Handlungsgewalt in die Zukunft?
Professor Dr. Jan Viebig: Unser momentanes Problem besteht darin, dass die gesamte Verantwortung bei der EZB liegt. Eigentlich müsste sie bei den Mitgliedsstaaten liegen. Wir sind in eine Währungsunion eingetreten und haben uns eine klare Grenze von 60 % Verschuldung zum Bruttoinlandsprodukt gesetzt. Aber diese Grenze wurde nicht eingehalten. In Frankreich z.B. sind die Schulden von 60 Prozent auf 114 Prozent gestiegen, in Italien lagen sie Ende 2021 bei 151 Prozent. Leider haben sich die einzelnen Länder nicht an die fiskalpolitischen Vorgaben gehalten.
Malte Dreher: Kann die Währungsunion gleichermaßen aber auch froh über die verhältnismäßig hohe Inflation sein? Schließlich bauen sich die Schulden so besser ab …
Professor Dr. Jan Viebig: Für sehr stark verschuldete Länder besteht tatsächlich ein Anreiz, mehr Inflation hinzunehmen. Die Länder mit einer geringen Verschuldung wünschen das offensichtlich nicht, z.B. Deutschland und andere nordeuropäische Länder. Man darf dabei aber auch nicht vergessen: Natürlich werten sich dann die Schulden ab – das Verhältnis Verschuldung zu Bruttoinlandsprodukt sinkt –, aber auf der anderen Seite bedeutet das für viele Bevölkerungsgruppen eine enorme Last. Stellen Sie sich einmal eine ganz normale Familie vor: Wie soll die jetzt ihre Rechnungen für Gas und Strom und Benzin bezahlen? Viele Güter des täglichen Konsums haben sich schmerzlich verteuert. Und darunter leiden typischerweise die Menschen, die weniger Geld in der Tasche haben.
Malte Dreher: Wird es den Euro in 10 Jahren noch in der Form geben, wie wir ihn heute als Zahlungsmittel haben?
Professor Dr. Jan Viebig: Natürlich kann ich in keine Glaskugel schauen. Aber ich denke, es wird vom Verhalten der Politiker abhängen. Wenn sie die Schuldenlast begrenzen und zu einer größeren fiskalpolitischen Integration übergehen, wenn insgesamt die Europäische Union gestärkt wird, dann wird es den Euro in 10 Jahren noch geben. Ich hoffe nicht, dass diejenigen Kräfte die Oberhand gewinnen, die das nicht wünschen.
Malte Dreher: Vielen Dank für unseren ersten Teil, Herr Professor Viebig. Ich würde gern im zweiten Teil unseres Gesprächs über Ihre Rolle im Private Wealth Management, aber auch im Asset Management sprechen und im Besonderen auf Ihre Aktien-Selektion eingehen. Wie schwierig ist es angesichts des aktuellen inflationären Umfelds, Unternehmen zu finden, die dem Preisdruck und speziell dem Energiepreisdruck standhalten und gleichzeitig ihre Marge oder ihren Umsatz noch ausbauen?
Professor Dr. Jan Viebig: Ich denke, in jedem Umfeld lassen sich attraktive Aktien finden, wenn man sie langfristig hält. Und das sind unsere Prinzipien: Wir halten Aktien sehr langfristig. Wir sind Qualitätsinvestoren. Das heißt, wir selektieren nur solche Unternehmen, die eine hohe Kapitaleffizienz haben, die einen hohen Return on Equity haben und Kennzahlen, die für Kapiteleffizienz sprechen. Dann suchen wir Unternehmen, die einen Wettbewerbsvorteil haben, damit ihre Kapitaleffizienz auch in der Zukunft hoch ist. Unternehmen, in die wir investieren, müssen strukturell wachsen, nachhaltig sein und zudem noch zu einem für uns angemessenen Preis gehandelt werden. Warum ist es aktuell sinnvoll, so vorzugehen? Erstens: Bei jeder Aktie, die wir im Portfolio haben, sind wir sehr sicher, dass sie über 3, 5 oder 10 Jahre höher stehen wird als heute, relativ unabhängig davon, wie sich das konjunkturelle Umfeld entwickelt. Der zweite Punkt: Unternehmen mit Wettbewerbsvorteilen können typischerweise auch Kostensteigerungen einfacher weitergeben. Dieser Qualitätsansatz führt dazu, dass wir mit den Polaris-Fonds derzeit sehr gut über längere Perioden abschneiden.
Malte Dreher: Sie sagten eben, dass konjunkturelle Besonderheiten gar nicht so den Ausschlag geben. Aber gleichwohl ist doch sicherlich ihr Universum aus attraktiven Unternehmen heute deutlich geringer, als es das etwa vor 3 oder 5 Jahren war.
Professor Dr. Jan Viebig: Das Umfeld hat sich schlicht geändert. Wenn die Zinsen sehr stark steigen, dann leiden darunter Anleihen, die eine lange Duration haben, und gleichzeitig leiden auch Aktien, die eine lange Duration haben. Bei Aktien spricht man eigentlich nicht von der Duration, aber man fragt sich, wann die Gewinne eintreten. Unternehmen, deren Gewinne weit in der Zukunft liegen, sind momentan weniger attraktiv. Warum? Wenn man sie länger zu einem höheren Zinssatz abzinst, dann sinkt der intrinsische Wert dieser Unternehmen. Und deshalb musste man einfach den Shift vollziehen von teuren zu moderat bewerteten Unternehmen. Von Unternehmen, die das Wachstum sehr weit in der Zukunft hatten, zu Unternehmen, die schon heute stabile Gewinne erzielen.
Malte Dreher: Sie haben mit der Polaris-Familie eine Investmentfonds-Lösung auf Multi-Asset-Basis. Und sie zeigen damit auch, dass Sie es mit den, wenn man so sagen darf, Vorreitern der Branche – etwa Flossbach von Storch – durchaus aufnehmen können. Was eint sie mit den Kollegen aus Köln?
Professor Dr. Jan Viebig: Uns verbindet derselbe langfristige Investment-Horizont. Wir sind beide Qualitätsinvestoren. Wir selektieren typischerweise Aktien nach bestimmten Kriterien, auch wenn die Kriterien sicherlich unterschiedlich sind. Aber in jedem Fall handelt es sich um Unternehmen, von denen wir denken, dass sie über lange Perioden den Markt outperformen werden.
Malte Dreher: Welche Kriterien sind denn unterschiedlich?
Professor Dr. Jan Viebig: Ich kann Ihnen gern sagen, was wir machen – Mitbewerber kommentieren wir generell nicht. Wir setzen auf die Kapitaleffizienz. Und achten darauf, dass wir nur in Unternehmen investieren, die auch strukturell wachsen. Diese beiden Gründe führen dazu, dass der ökonomische Profit eines Unternehmens steigt. Und nur wenn dieser langfristig steigt, steigt auch der Aktienkurs. Das ist unsere Grundüberzeugung, und die Praxis bestätigt uns.
Malte Dreher: Jetzt liegt der Polaris Flexible auf 3-Jahres-Sicht vor dem großen Multiple Opportunities aus Köln. Beobachten Sie das, und freuen sich auch manchmal ein bisschen?
Professor Dr. Jan Viebig: Wir freuen uns immer, wenn wir Mehrwert für unsere Kunden schaffen. Und diesen Mehrwert schafft man durch zwei Dinge: Einmal durch eine kluge Selektion von Einzeltiteln, und zudem – was sehr schwierig ist – durch ein vernünftiges Timing in schwierigen Märkten. Wenn man beides richtig macht, dann kann man auch große Fonds von Wettbewerbern outperformen.
Malte Dreher: Gibt es Ihrer Ansicht nach gerade in diesem hochinflationären Umfeld treffliche Alternativen zur Aktie? Oder braucht man eigentlich jetzt ein bisschen Ruhe und Geduld und muss die Krise aussitzen?
Professor Dr. Jan Viebig: Gerade Privatkunden sollten sich gegenwärtig eine strategische Asset Allocation-Quote setzen. Für Kunden, die schon etwas älter sind, liegt die vielleicht bei 20 Prozent, sehr junge Kundinnen und Kunden, die noch ihr Berufsleben vor sich haben, können 90 bis 100 Prozent investiert sein. Und dann gilt es, in Krisen nicht zu verkaufen. Das ist der größte Fehler, den man oftmals macht. Die Nachrichtenlage verändert sich, wird düsterer, und dann reduziert man genau in der Krise seine strategische Aktien-Allokation. Man sollte einen langfristigen Investmenthorizont halten und eine nach seinem Alter und seinen Risikopräferenzen bestimmte Asset Allokationen wählen und durchhalten. Und hoffen, dass der Vermögensverwalter, den man gewählt hat, eine vernünftige, nachvollziehbare Strategie verfolgt – wie unseren Qualitätsansatz, der dazu führt, dass man auf lange Sicht einen Zusatzertrag zur allgemeinen Aktienrendite erwirtschaftet.
Malte Dreher: Sie sprachen eingangs über den Charakter der aktuellen Krise und über deren Dauer. Gibt es den optimalen Zeitpunkt, an den Markt zu gehen und Aktien zu kaufen?
Professor Dr. Jan Viebig: Die erste Frage ist: Wann endet diese Krise voraussichtlich? Die zweite Frage: Wann sollte man wieder stärker in Aktien investieren? Fangen wir mit der ersten Frage an. Typischerweise endet ein Angebotsschock dann, wenn die Core-Inflation höher ist als die allgemeine Inflation. Oder mit anderen Worten: Wenn die Energiepreise und Nahrungsmittel nicht mehr stärker steigen als die breiten Preise, dann endet der Angebotsschock. Vermutlich werden wir im Februar oder März erste Anzeichen eines Nachlassens der Inflation sehen. Vergleicht man die Energiepreise von Jahr zu Jahr, dann sieht man, dass die Future-Preise ab Februar tiefer sind als im Vorjahr. Das sind Signale für eine nachlassende Inflation. Die zweite Frage war, wann man in Aktien investiert. Die Zinserhöhungen werden dazu führen, dass wir mit einer immer größeren Wahrscheinlichkeit eine Rezession sehen werden. Also einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts über einen längeren Zeitraum, in dem das Angebot zurückgeht, die Nachfrage zurückgeht und die Einkommen vermutlich auch sinken. Wenn man sich in einer Rezession befindet, sollte man nicht warten, bis die Krise vorbei ist. Typischerweise hat sich gezeigt, dass man zum Ende der Rezession langsam anfangen sollte, die Aktienquote zu erhöhen. In den USA gab es seit 1965 acht Rezessionen, in sieben Rezessionen war es richtig, zum Ende die Aktienquote wieder aufzustocken.
Malte Dreher: Zum Schluss möchte ich mit Ihnen noch einmal über die USA und Europa sprechen. Die USA hat deutlich niedrigere Energiepreise als wir in Europa. Der Dollar ist unglaublich stark geworden, wir importieren uns Inflation. Kann man daraus ableiten, lieber eine Pepsi als eine Daimler ins Depot zu legen?
Professor Dr. Jan Viebig: Der erste Grundsatz: Wenn sie international investieren, dann sollten sie diversifizieren. Sie sollten nicht nur auf die USA oder nur auf Europa achten. Der zweite Grundsatz ist, dass man sich die Makrofaktoren anschaut. Da sehen Sie momentan, dass der Druck in Europa viel größer ist, weil die Energiekrise hier viel stärker wirkt. Damit steigt auch das Risiko. Studien zeigen, dass das Bruttoinlandsprodukt nochmal um 2,2 % zurückgehen würde, wenn wir einen richtigen Energiepreisschock erlebten. Die Bundesbank hat von 5 % gesprochen. Andere sprechen sogar von einem noch höheren Rückgang. Hinzu kommt, dass der US-Dollar sehr stark geworden ist. Das liegt daran, dass die Amerikaner die Zinsen früher erhöht haben. Ich denke, wenn die Krise enden wird, dann werden diese Sonderfaktoren – die Flucht in den Dollar und nach Amerika – wieder abklingen. Deshalb ist es sinnvoll, aktuell auch auf Europa zu setzen. Wenn man sich die Bewertung von Aktien anschaut, sind die Aktien in den USA im Vergleich zu ihrer eigenen Historie teuer, in Europa sind sie jedoch unter den langfristigen Durchschnitten. In Europa ist also schon sehr viel in den Kursen enthalten.