ESM-Urteil Rechtsexperte zum ESM-Urteil: Geld verliert seinen Vertrauensvorschuss

Konstantin Mettenheimer hält seinen Vortrag auf dem Private Banking Kongress.

Konstantin Mettenheimer hält seinen Vortrag auf dem Private Banking Kongress.

In seiner Rede beim private banking kongress 2012 in Hamburg sprach Rechts- und Steuerexperte Konstantin Mettenheimer über die wichtigsten Aussagen des ESM-Urteils und deren Bedeutung für die Investoren. Als Medienpartner präsentiert das Private Banking Magazin die Rede in voller Länge.

Das BVerfG hat entschieden, dass der ESM Bestand hat. Die Haftung darf jedoch über die festgelegten 190 Milliarden Euro nicht hinausgehen. Außerdem bedürfen derartige Entscheidungen der parlamentarischen Zustimmung; die Verschwiegenheitsregelung des ESM gegenüber Bundestag und Bundesrat gilt nicht. Es handelt sich um eine vorläufige Entscheidung, die endgültige folgt im Dezember. Es sind allerdings keine substantiellen Änderungen zu erwarten.

Im Einzelnen gehen die Aussagen aber viel weiter. Zwölf Pflöcke haben die Richter eingeschlagen, innerhalb derer sich Deutschland und Europa wirtschaftlich und politisch in den kommenden Jahren entwickeln werden:

1. Deutschland darf dem ESM beitreten.

2. Die Haftung muss auf die nominal festgelegten 190.024.800.000 Euro beschränkt bleiben.

3. Diese und ähnliche Regelungen müssen eindeutig sein. Hintertüren darf es nicht geben, damit die Parlamente über eindeutige Beträge beschließen; denn …

4. ... Bundestag und Bundesrat dürfen anderen EU Staaten oder der EU in Haushaltsfragen keine unbeschränkte Vollmacht geben.

5. Deutschland muss ein Mitspracherecht bei der Mittelverwendung haben.

6. Die Schweigepflicht der ESM Organmitglieder gilt nicht gegenüber dem Bundestag und Bundesrat.

ESM ist keine Bank

7. Der ESM darf kein Geld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) ausleihen; er ist keine Bank und die EZB darf über den Umweg des ESM keine Staatsfinanzierung übernehmen.

8. Bei der Ratifikation müssen die Punkte 2., 3. und 6. festgehalten werden. Dies ist ein vornehmer Hinweis an den Bundespräsidenten für die Unterzeichnung des ESM.

9. Ein einseitiger Austritt Deutschlands aus dem ESM ist bei grundlegender Veränderung der bei Beitritt maßgeblichen Umstände völkerrechtlich möglich. Eine bemerkenswerte Feststellung, weil das BVerfG nicht gezwungen war, dies klarzustellen.

10. Eine weitere Integration der EU ist nicht ausgeschlossen.

11. Der Stabilitätspakt ist zulässig, weil er nur ein Rahmen ist, der noch ausgefüllt werden muss.

12. Ob die EZB Staatsanleihen kaufen darf, ist ungeklärt. Auch dies eine sehr auffällige Feststellung, die Zweifel erkennen lässt. Hierzu will sich das BVerfG im endgültigen Urteil äußern.

Eine hervorragende Entscheidung - mit Nebenwirkungen

Insgesamt halte ich das Urteil für eine hervorragende Entscheidung, die Klarheit und parlamentarische - also demokratische - Verantwortung verlangt und Blankoschecks verbietet. Es bleibt allerdings dabei, dass Politiker zur Stützung des Euro –und in ihren Augen daher Europas- und aus Furcht vor den Risiken eines Auseinanderbrechens der Eurozone auch weiterhin gewaltige Summen zur Verfügung stellen werden.

Daraus und als Folge der Entscheidung der EZB vom 6.Juni, Staatsanleihen zu kaufen, ergeben sich acht Zeichen für die Zukunft und für die Märkte, deren Konturen nun immer klarer werden:

1. Zunächst tritt kurzfristig Erleichterung ein, weil viele Marktteilnehmer in Wartestellung waren und weil Schuldnern aller Couleur kurzfristig Erleichterung verschafft wird.

2. Doch gleich wie es weitergeht: Es wird teuer für den deutschen Steuerzahler. Die Schulden und Eventualverbindlichkeiten Deutschlands aus der Eurorettung betragen in Summe über 800 Milliarden Euro. Am 21.9. wollen die SPD geführten Länder im Bundesrat die Vermögensteuer einbringen.

3. Statistiken besagen, dass den Wettstreit zwischen Gläubiger und Schuldner meistens die Gläubiger gewinnen: Nur bei Staats- und Bankkrisen läuft es in der Mehrzahl der Fälle andersherum.

4. Nach den bisherigen Regeln hat ESM als Gläubiger Vorrang vor privaten Gläubigern. Sein Eintritt als Gläubiger für bestimmte Staatsanleihen macht die Privatinvestoren also zu nachrangigen Gläubigern.

5. Der Euro wird tendenziell eine weiche Währung. Das kann, muss sich aber nicht in Inflation ausdrücken. Es entstehen aber Blasen. Der Wechselkurs gegenüber starken Währungen (also nicht gegenüber dem Dollar) wird schwächer, Importe aus diesen Ländern wirken inflationär, Geld verliert seinen Vertrauensvorschuss als "Vermögensspeicher", andere Wertspeicher wie Gold, Silber, Rohstoffe werden ihn ersetzen. Das Zinsniveau bleibt niedrig, die Sparquote wird sich verringern, Unternehmern fehlen die Investitionsmittel. Der Geldumlauf verlangsamt sich.

6. Das Rating Deutschlands wird schwächer.

Ich bin fürs Führen

7. Wir sollten aber nicht zu pessimistisch sein, denn wenn alles richtig gemacht wird, können die kurzfristige Erhöhung der Geldmenge kombiniert mit langfristigen Strukturreformen große Fortschritte für Europa und die Weltwirtschaft bringen. Trotzdem ist hier Skepsis angebracht, weil leichtes Geld weniger Mühe bereitet als harte Reformpolitik. An dieser Stelle sollten wir George Soros' hochinteressantem Aufruf folgen: "Deutschland führe oder tritt aus." Ich bin für das Führen.

8. Die Geldpolitik zwingt den Investor tendenziell aus den Rentenpapieren in Aktien, Immobilien und unternehmerische Investitionen, bei denen man sich aber vor Blasen bereits hüten muss. Da die Märkte angesichts der verfügbaren Geldmenge politisch und volatil bleiben werden, lohnt es sich, über ausreichend Liquidität zu verfügen, um in Schwächemomenten der Märkte, die kommen werden, zu kaufen.

Fazit: Der Wiener Volksschriftsteller Johann Nepomuk Nestroy, der vor 150 Jahren starb, schrieb "Die Phönizier haben das Geld erfunden – warum bloß so wenig?" EZB und auch die Federal Reserve der USA sind auf dem besten Weg, dem abzuhelfen.



Zur Person: Konstantin Mettenheimer ist Rechtsanwalt, Betriebswirt, Steuerberater und Partner der internationalen Anwaltssozietät Freshfields Bruckhaus Deringer in Frankfurt

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