FvS-Denkfabrikleiter Thomas Mayer „Die Auslegung des EZB-Mandats ist problematisch – ökonomisch und rechtlich“

Thomas Mayer, Flossbach von Storch Research Institute

Thomas Mayer, Flossbach von Storch Research Institute

Das in ihren Statuten verankerte vorrangige Mandat der EZB ist die Wahrung der Preisstabilität. Wie diese genau definiert ist, lassen die Statuten offen. Aus diesem Grund hat die EZB ihr Mandat selbst präzisiert: Sie strebt auf mittlere Sicht einen Anstieg des harmonisierten Konsumentenpreisindex für die Eurozone von unter, aber nahe an 2 Prozent an. Erreichen will sie dieses Ziel, indem sie die Kreditvergabe des Finanzsektors so steuert, dass die realwirtschaftliche und monetäre Entwicklung den gewünschten Anstieg der Konsumentenpreise hervorbringen.

Die Auslegung des Mandats wirft mehrere Fragen auf, unter anderem:

  1. Ist es sinnvoll, einen Preisindex für Konsumgüter als Zielvariable zu wählen?
  2. Warum bedeutet Preisstabilität steigende Preise?
  3. Kann die EZB ihr Ziel erreichen?
  4. Hat die Verfolgung des Ziels Nebenwirkungen? Folgt aus dem Mandat die Verpflichtung, alles zu tun, um den Euro zu erhalten?

Im Folgenden wollen wir diese Fragen diskutieren. Dabei kommen wir zu dem Schluss, dass die Auslegung des Mandats durch die EZB aus ökonomischer und rechtlicher Sicht problematisch ist.

Stabile Konsumentenpreise sind nicht gleich Preisstabilität

Hinter dem Mandat der Preisstabilität steht die Vorstellung, dass die Kaufkraft des Geldes bewahrt werden sollte. Geld ist bekanntlich ein Mittel zum Tausch und zur Aufbewahrung von Werten, die den Tausch zu einem späteren Zeitpunkt ermöglichen. Es behält seine Kaufkraft, wenn man es in der Gegenwart oder Zukunft ohne Verlust in die gewünschten Güter oder Dienstleistungen eintauschen kann.

Auf den ersten Blick scheint es, dass das Mandat erfüllt ist, wenn das Niveau der Konsumentenpreise insgesamt stabil ist. Denn dann kann das Geld in der Gegenwart oder Zukunft ohne Verlust an Kaufkraft gegen Konsumgüter eingetauscht werden. Manche Preise können wegen höherer Nachfrage steigen, aber wenn das Niveau der Preise im Durchschnitt stabil ist, werden andere gleichzeitig fallen, so dass die Kosten eines für den durchschnittlichen Verbraucher typischen Warenkorbs gleich bleiben.

Auf den zweiten Blick stellt sich aber die Frage, warum nur die Konsumentenpreise betrachtet werden sollen. Schließlich wird Geld auch gegen Kapitalgüter getauscht.

Die Erwerber von Kapitalgütern verzichten zeitweilig auf Konsumgüter, weil sie sich von der Kombination dieser Kapitalgüter mit ihrer Arbeitskraft künftig höhere Geldeinnahmen und damit mehr Konsum erhoffen, als es ihnen aus dem Verkauf ihrer Arbeitsleistungen allein möglich gewesen wäre. Da für wirtschaftliches Handeln der Tausch von Geld gegen Kapitalgüter nicht weniger wichtig ist als der Tausch gegen Konsumgüter, wäre es nur folgerichtig, wenn Kapitalgüter in der Zielvariablen zur Wahrung der Kaufkraft des Geldes berücksichtigt würden.

Allerdings ist nicht jeder dazu in der Lage, seinen künftigen Konsum über den Erwerb eines Kapitalguts zu erhöhen. Alternativ dazu kann er sich mit Eigen- oder Fremdkapital an einer Unternehmung beteiligen, die Kapitalgüter mit Arbeit kombiniert, und die den Besitzern von Eigen- oder Fremdkapital aus ihren Gewinnen Dividenden oder Zinsen zahlt. Der Erwerb solcher Beteiligungen – nennen wir sie Vermögenswerte – ist insbesondere für jene interessant, die während ihrer Erwerbstätigkeit einen Teil ihres Erwerbseinkommens sparen, um sich Vermögenswerte zu erwerben, die ihnen Einkommen während des Altersruhestands versprechen.

Für diesen Personenkreis schließt Preisstabilität die Stabilität der Preise für Vermögenswerte ein, denn ein inflationärer Anstieg der Preise für Vermögenswerte in der Gegenwart vermindert ihre Konsummöglichkeit in der Zukunft. Daher sollte die Zentralbank die Preise für Vermögenswerte ebenfalls in ihre Zielvariable aufnehmen.

Die Stabilisierung des gesamten Preisniveaus für Konsum- und Kapitalgüter sowie Vermögenswerte durch die Zentralbank muss jedoch daran scheitern, dass es den repräsentativen Wirtschaftsakteur nicht gibt, der kontinuierlich einen stabilen Korb von Konsumgütern, Kapitalgütern und Vermögenswerten erwerben würde. Wenn schon der repräsentative Konsument, der den dem Konsumentenpreisindex unterliegenden Warenkorb kauft, eher Fiktion als Wirklichkeit ist, so ist der alle Güter und Vermögenswerte kaufende Akteur ein völlig unrealistisches Konstrukt.

Doch folgt daraus nicht, dass die Zentralbank deshalb auf die im Konsumentenpreisindex enthaltene Teilmenge aller Preise abzielen sollte, um die Kaufkraft des Geldes zu erhalten. Die logische Konsequenz der Unmöglichkeit, für Preisstabilität im weiteren Sinne zu sorgen, ist, die Kaufkraft des Geldes dadurch zu sichern, dass sein Angebot strikt begrenzt wird. Denn dann wird der Tauschwert des Geldes dadurch erhalten, dass sich die Preise dem Angebot an Tauschmitteln anpassen.

Die Begrenzung des Geldangebots kann auf vielfache Weise erfolgen. Denkbar ist die Koppelung an Edelmetalle, die Ausweitung nach einer bestimmten Regel (zum Beispiel Milton Friedmans K-Prozent Regel) oder ein komplexer Computeralgorithmus wie bei Bitcoin.

Wichtig ist allerdings, dass die Begrenzung auch wirklich greift. Deshalb wäre ein System der Geldmengenbegrenzung nicht mit der gegenwärtig praktizierten Teilreservehaltung der Banken vereinbar, da diese es den Banken erlaubt, das Geldangebot in eigener Regie auszuweiten.

Was als Tauschmittel am besten geeignet ist, sollte im Wettbewerb verschiedener Geldanbieter ermittelt werden. Weil die Begrenzung der umlaufenden Menge an Tauschmitteln für deren Kaufkraft essentiell ist, könnte der Wettbewerb um das beste Tauschmittel ein Wettbewerb um den besten Algorithmus für die Ausweitung des Angebots sein.

Wie erwähnt sind viele Algorithmen denkbar und ein echter Wettbewerb der Algorithmen mit dem Aufkommen von Kryptowährungen möglich. Die EZB hätte es in der Hand, mit einem überzeugenden Algorithmus für die Ausweitung des Angebots an Euro die Popularität der europäischen Gemeinschaftswährung zu sichern.