Griechenland Welchen Weg wählt Griechenland?

Nikolaus Görg

Nikolaus Görg

Europa – und wahrscheinlich die ganze Welt – wird am 17. Juni nicht nur nach Paris, sondern vor allem nach Athen blicken. Im zweiten Versuch, doch noch eine stabile Regierung in Griechenland zu bilden, sehen viele auch eine Weichenstellung für die weitere Zukunft Europas.

Aber selbst eine das Memorandum ablehnende Regierung bedeutet noch nicht notwendigerweise den Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Es liegt dann bei der Troika (IWF, EZB und EU-Kommission) und letzten Endes bei der EZB, darüber zu befinden.  

Die Märkte fiebern dem 17. Juni entgegen. Die Ausgangslage zu den griechischen Parlamentswahlen ist relativ einfach: Keine Partei kann allein die Mandatsmehrheit erzielen, jeder vermeintliche Gewinner ist also in irgendeiner Form auf die Bildung einer Koalition angewiesen. Letztendlich wird jedoch aufgrund der Wahlarithmetik ohne die stimmenstärkste Fraktion kaum eine Regierungsbildung möglich sein.

Nach jüngsten Umfragen könnte die konservative Partei „Neue Demokratie“, die das Memorandum – also alle zwischen der EU-Kommission und der griechischen Regierung vereinbarten Maßnahmen, welche die Wiederherstellung sowohl des langfristig tragbaren Verschuldungsniveaus als auch der Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands zum Ziel haben – befürwortet, eine Stimmenmehrheit erzielen. Auch eine Koalitionsbildung sollte unter der „Neuen Demokratie“ leichter möglich sein.

Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit eines Wahlsiegs der sogenannten radikalen Linken „Syriza“ hoch. Erst nach dem Wahlergebnis wird man wieder mehr Klarheit haben. 

  1. Es gibt derzeit drei entscheidende Kräfte und Institutionen, die über den Verbleib Griechenlands in der Eurozone befinden: Allen voran die Griechen selbst: Mit dem zweiten Durchgang der Parlamentswahlen können die Griechen ein klares Votum für oder gegen das Memorandum und damit letzten Endes auch über ihr Schicksal in der Eurozone setzen. Zwar ist die griechische Bevölkerung mehrheitlich für einen Verbleib in der Eurozone. Allerdings zeigt sich die Troika nur bedingt zu neuen Verhandlungen der mit dem Memorandum einhergehenden Auflagen bereit.

  2. Die Troika: Ende Juni 2012 entscheidet die Troika, ob weitere Gelder nach Athen fließen werden. Dabei geht es nicht nur um die Treuhandkonten, die vor allem zur Zahlung der Verbindlichkeiten gegenüber den ausländischen, großteils öffentlich-rechtlichen Institutionen geschaffen wurden, sondern auch und vor allem um die Finanzierung des Primärdefizits. Das bedeutet, diese Gelder sind auch für die Zahlungen an den griechischen öffentlichen Sektor bestimmt. 

  3. Die EZB: Schlussendlich liegt es an der EZB. Sie muss bei einer das Memorandum ablehnenden Regierung in Griechenland darüber befinden, ob den griechischen Banken noch Liquidität zur Verfügung gestellt wird, die sie dann zweifellos benötigen würden. Stellt die EZB die Liquiditätsoperationen für den griechischen Bankensektor – in welcher Form auch immer – ein, so wäre wohl die „Nabelschnur“ zur Eurozone endgültig durchtrennt.

Es ist allerdings möglich, dass die EZB diese hochgradig politische Entscheidung nicht treffen möchte und sie wieder an die Politik zurückspielt. Man stelle sich das Ganze wie einen Optionenbaum vor, den man von Punkt 1 bis 3 abarbeiten kann.

  1. Kommt es in Griechenland in den Tagen nach dem 17. Juni zur Bildung einer stabilen Regierung, die zu den Auflagen des Memorandums steht, dann wird seitens der Troika und der Eurozone weiterhin alles unternommen werden, die Bedingungen ebenfalls einzuhalten und Griechenland unverändert wie ein Mitglied der Eurozone zu behandeln. (An dieser Stelle sei erwähnt, dass dennoch gewisse Nachverhandlungen über das Memorandum zunehmend notwendig scheinen.)

    Kommt es allerdings zu einer Regierungsbildung, die das Memorandum ablehnt und/oder zumindest neu verhandeln möchte, so liegt der Ball zunächst bei der Troika.

  2. Im Fall einer Anti-Memorandum-Regierungsbildung muss die Troika darüber entscheiden, ob sie die neuerlichen Tranchen überweist. Nachdem neben Griechenland auch Irland und Portugal Troika-Programme laufen haben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Troika „hart“ bleibt, groß.

    Dies auch deshalb, weil das Verhalten des IWF regelgebunden ist. Besonderes Gewicht hat hier die Finanzierung des Primärdefizits sowie die Rekapitalisierung des Bankenapparats. Sollten diese Zahlungen ausbleiben, dann müsste die griechische Regierung entweder Zahlungen aus Verbindlichkeiten einstellen (also in weiterer Folge auch gegenüber öffentlich Bediensteten) oder durch Ausgabe von Schuldscheinen ihre Verbindlichkeiten bedienen.

    Inhalt dieser Schuldscheine wäre wahrscheinlich das Versprechen der Regierung, den Wert in Euro zu einem späteren Zeitpunkt zu bezahlen. Der Wert dieser Schuldscheine ist dann eine Funktion der Glaubwürdigkeit der Fiskalpolitik. Es ist sehr wahrscheinlich, dass – im Umfeld der für Griechenland weiterhin geschlossenen Kapitalmärkte – der Rückgriff auf die griechische Notenbank zur Finanzierung des Defizits kaum das Vertrauen der Marktteilnehmer besitzen wird. Dies noch viel weniger, wenn in diesem Fall Inflationserwartungen sprunghaft ansteigen.

    Die griechische Regierung kann aber in Erwartung eines solchen Szenarios das Memorandum doch noch akzeptieren. Wenn das nach wie vor nicht der Fall ist, dann ist die EZB am Zug.

  3. Kommt es trotz allem nicht zu einer Einigung mit der Troika bezüglich des Memorandums, dann entscheidet letztendlich die EZB, ob sie im Rahmen ihrer Liquiditätsoperationen – Refinanzierungsgeschäfte beziehungsweise Emergency Lending Assistance (ELA) über die nationalen Notenbanken mit Billigung des EZB-Direktoriums – die griechischen Geschäftsbanken weiterhin mit EUR-Liquidität versorgt.

    Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre der Bedarf der griechischen Banken an EUR-Liquidität enorm hoch. Für die ELA gibt es allerdings strenge Voraussetzungen, vor allem hinsichtlich der Solvabilität des Bankensektors. Sollten also keine Troika/EFSF-Gelder zur Rekapitalisierung des griechischen Bankensektors mehr fließen, dann könnte auch die EZB die ELA kaum mehr durchführen.

    Aber auch in dieser Phase besteht für die griechische Regierung immer noch die Möglichkeit, einzulenken. Tut sie das nicht, dann würde die EZB wohl ihre Operationen einstellen oder die EU-Politik um eine endgültige Entscheidung ersuchen. Eine solche Entscheidung würde dann den endgültigen Austritt Griechenlands aus der Eurozone bedeuten und Griechenland müsste sich dem Thema „neue Währung“ widmen. Dies wäre alles andere als banal und nicht nur für die Eurozone, sondern vor allem auch für Griechenland mit enormen Kosten verbunden.

Siehe hierzu den Exkurs: Griechenland führt eine neue Währung ein

Egal wie die Regierung in Griechenland aussehen wird: Die Wahrscheinlichkeit, dass bald wieder Verhandlungen mit der Troika aufgenommen werden müssen, steigt. Gründe dafür sind der lähmende fiskalische Anpassungsprozess, eine Wirtschaft, die stärker schrumpft als erwartet, sowie verzögerte Privatisierungserlöse. Eine Regierung, die das Memorandum befürwortet und grundsätzlich zu den Auflagen steht, ist hierfür allerdings Voraussetzung.   

Fazit und Allokationsentscheidung: Nach wie vor ist ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion nicht in unserem Kernszenario enthalten. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist allerdings nach dem ersten Wahlgang wieder abrupt gestiegen.

Ein Wahlsieg von „Syriza“ würde zwar keinen Automatismus eines Austrittsszenarios in Gang setzen – die Wahrscheinlichkeit eines Exits wäre damit aber jedenfalls erhöht.

Darüber hinaus richtet sich der Fokus der Marktteilnehmer bereits wieder vermehrt auf Spanien. In diesem Umfeld haben wir die Aktienallokation leicht reduziert. Nach dem Wahlergebnis vom 17. Juni werden wir wissen, ob die Troika betreffend Griechenland Handlungsbedarf sieht oder nicht.

Im schlimmsten Fall blieben die Mittel zur Finanzierung des Haushaltsdefizits und zur Rekapitalisierung des griechischen Bankensektors aus. Seitens der EZB muss dann die Entscheidung fallen, ob die Banken noch mit Euro-Liquidität versorgt werden sollen.

Die Marktentwicklung in einem etwaigen Exit-Szenario ist dann eine Funktion der Reaktionen der entscheidenden Institutionen und kann im besten Fall sogar zu einer Beschleunigung des Integrationsprozesses führen.

Dies oder ein starkes Votum der Griechen für das Memorandum könnten erneute Einstiegspunkte in die Aktienmärkte darstellen. Eine Regierungsbildung der das Memorandum ablehnenden Kräfte wäre kurzfristig sicherlich negativ – ebenso wie die etwaige Notwendigkeit eines dritten Wahlgangs.

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