Euro-Krise Unhappy Birthday, Krise!

Holger Sandte

Holger Sandte

Wenn man von der langen Vorlaufphase absieht, gilt der 9. August 2007 als Startpunkt der Finanzkrise, die damit gestern ihren fünften Geburtstag "feierte". Damals pumpte die Europäische Zentralbank (EZB) 95 Milliarden Euro in den Geldmarkt und reagierte damit auf den Vertrauensverlust unter Banken, der durch Schieflagen von Immobilien-Investments entstanden war. Später taumelten dann Banken, Konjunktur, Staaten und so manches Denkgebäude. Mal so zur Erinnerung an diese ferne Zeit: Am 9. August 2007 stand der Hauptrefinanzierungssatz der EZB bei 4 Prozent, die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen bei 4,39 Prozent, der DAX schloss bei 7.454 Punkten gar nicht so viel höher als er heute steht, der EuroStoxx 50 bei 4.275 Punkten dagegen schon.

Zurück in die Gegenwart. Die völlig unbegründete Hoffnung, dass sich die Euro-Krise während des Sommerurlaubs irgendwie von selbst verzieht, wenn man sie nur mal eine Zeitlang in Ruhe lässt, hat sich nicht erfüllt. Nein, es ist alles noch da, was vor dem Urlaub auch da war.

Wo stehen wir in Sachen europäischer Konjunktur und Krisenbewältigung?

Konjunktur: Die Rezessionssignale verfestigen sich. In Italien, Spanien und Belgien schrumpfte die Wirtschaft im zweiten Quartal deutlich. Daraus und aus erwarteten Quartalsveränderungen von +0,2 im Vergleich zum voran gegangenem Quartal für Deutschland und -0,1 Prozent im Vergleich zum voran gegangenem Quartal für Frankreich ergäbe sich für den Euroraum ein Brutto-Inlands-Produkt-Rückgang um 0,2 Prozent; die Zahlen für Deutschland, Frankreich und den Euroraum werden am kommenden Dienstag veröffentlicht.

Für das laufende Quartal sieht es ausweislich der Stimmungsindikatoren nicht besser aus. Viele davon sind zuletzt weiter abgebröckelt. Immerhin deutet für den Euroraum insgesamt nichts auf eine scharfe Rezession wie Ende 2008 / Anfang 2009 hin. Dazu fehlt ein Lehman-ähnlicher Schock als Auslöser.

Viel kritischer sieht es in einigen Euro-Ländern aus: In Italien ist die Wirtschaftsleistung seit Mitte vergangenen Jahres bereits um 2,5 Prozent gesunken und damit deutlich stärker als in Spanien. Das italienische Verbrauchervertrauen ist aktuell tiefer als im Tiefpunkt der Rezession Anfang 2009. Für Deutschland sprechen Ifo-Erwartungen unter einem Wert von 100 (letzter verfügbarer Wert: 95,6) für eine im dritten Quartal schrumpfende Wirtschaftsleistung. Konjunktur-Fazit: Die Aussichten sind bescheiden, auch für die Kernländer der Währungsunion.

Krisenbewältigung: Mir gefällt gut, dass immer mehr Schreiber Anführungszeichen setzen, wenn sie von "Lösung" der Krise schreiben. Es kann nicht um "Lösung" gehen, sondern um das jahrelange, mühsame Abarbeiten zahlreicher Baustellen. Der Weg ist noch weit, aber die Voraussetzungen dafür haben sich zuletzt etwas gebessert.

Zwar befinden sich die langfristigen Renditen spanischer und italienischer Staatsanleihen weiter auf einem Niveau, das mit Wirtschaftswachstum und langfristiger Solvenz der Staaten unvereinbar ist. Die kurzfristigen Renditen sind aber deutlich gesunken, ein gutes Zeichen, das in engem Zusammenhang mit dem Kurswechsel der EZB steht. Deren Ankündigung, bei Bedarf in großem Stil Anleihen von Ländern zu kaufen, die Hilfe bei EFSF/ESM (gegen Bedingungen) beantragen, hat auf den Finanzmärkten Vertrauen geschaffen.

Vertrauen ist der Schlüssel sowohl für eine Belebung der Konjunktur als auch für die Bewältigung der Krise. Ohne Vertrauen in den Fortbestand der Währungsunion können sich Konsum und Investitionen nicht festigen, denn ein Bruch der Währungsunion wäre - jedenfalls wenn er über Griechenland hinaus ginge - als "Mutter aller Finanzkrisen" mit einer tiefen Rezession verbunden.

Ohne Vertrauen in die Solvenz wird die Investorenbasis für Krisenländer weiter bröckeln. Ohne Vertrauen in den Reformwillen und die Reformfähigkeit der Krisenländer wird aber auch die Neigung der Geberländer zu weiteren Hilfen nachlassen. Insofern müssen alle beteiligten Länder und Institutionen Beiträge zur Vertrauensbildung leisten, wenn der Euro-GAU vermieden werden soll.

Spätestens im September werden die Entschlossenheit und der Zusammenhalt der "Euro-Fighter" auf die Probe gestellt werden. Zu den bereits sichtbaren Klippen gehören

  1. der Troika-Bericht zu Griechenland mit der möglichen Konsequenz eines Stopps der Kredite an das Land;
  2. die Parlamentswahl in den zunehmend bailout-müden Niederlanden am 12. September;
  3. die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum ESM am gleichen Tag;
  4. die nicht unwahrscheinliche Herabstufung des spanischen Staates auf Ramsch-Niveau durch Moody's und
  5. der absehbare Hilfsantrag Spaniens an EFSF/ESM.

Wer sich vor fünf Jahren diese Agenda für den Herbst 2012 ungefähr hat vorstellen können, den bitte ich höflich, sich zu melden und mir eine Scheibe seiner Prognosegabe zuzusenden.

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