Folgen des Preissturzes Öl spaltet die Schwellenländer

„50 Dollar sind möglich und plausibel“, sagte der Aktienfondsmanager Hendrik Leber über den Ölpreis. Und zwar nicht vor ein paar Wochen, sondern im Sommer 2008 – als Öl fast das Dreifache kostete. Damals hatte das Finanzmagazin Das Investment zwei Experten nach der Richtung des Ölpreises gefragt. Leber senkte den Daumen. Sein Gegner, der Fondsmanager Nicolas Komilikis von Gestion Admiral, hielt dagegen – und erklärte 250 Dollar pro Barrel (159 Liter) für möglich.

Heute kostet ein Fass Öl um die 50 Dollar – abhängig davon, welche Ölsorte man betrachtet. Dieser beispiellose Preisverfall trifft einen bestimmten Markt ganz besonders: Anleihen aus den Schwellenländern. Dort unterscheiden die Akteure nun zwischen Ölförderländern und Öl-importierenden Ländern. Erstere leiden unter dem Ölpreis, Staatseinnahmen brechen ein. Letztere zahlen weniger für Importe und kriegen quasi ein Gratis-Konjunkturprogramm.

Die Profiteure

Diese Gruppe ist mitnichten so klein, wie man zunächst meinen mag. „Rund 75 Prozent aller Schwellenländer profitieren vom gesunkenen Ölpreis“, sagt Pierre-Yves Bareau, Investmentchef für Schwellenländeranleihen bei J.P. Morgan Asset Management. Nicht nur er klamüsert den Markt nun nach Ölgewinnern und -verlierern auseinander. So gab der Chefstratege von Pictet, Luca Paolini, ein Papier mit dem Titel „Fallende Ölpreise: Mehr Segen als Fluch“ heraus, in dem er die Philippinen, Malaysia und Indien als Hauptprofiteure ausmacht.

Ebenso sollten aber auch Taiwan und Südkorea wirtschaftlichen Rückenwind spüren. Hinzu kommt noch ein weiterer Vorgang: „Interessanterweise nutzen viele Schwellenländer wie Indonesien und Indien den gesunkenen Ölpreis, um Strukturreformen voranzutreiben, indem sie Energiesubventionen abschaffen“, schreibt Paolini. Künstlich verbilligtes Öl ist Anleihe-Investoren ein Dorn im Auge, weil es den Staat viel Geld kostet und damit die Bonität belastet.

Wer genau wie viele Vorteile durch das Öl gewinnt, an der Frage scheiden sich die Geister. In einem Punkt sind sich aber alle einig: Hauptverlierer ist Russland. Die dortige Industrie fußt fast ausschließlich auf Öl- und Gasexporten. Jetzt leidet der Staat unter einbrechenden Einnahmen und unter dem Wirtschaftsboykott, den er durch seinen Konflikt mit der Ukraine auslöste. Nach einem heftigen Abstieg rentiert die fünfjährige Rubel-Anleihe derzeit mit fast 15 Prozent, die Dollar-Anleihe mit über 7 Prozent. Allein das zeigt, wie viel Vertrauen der Rubel eingebüßt hat.

Doch es ist nicht alles schlecht. „Die aktuelle Krise wird sich auf kurze bis mittlere Sicht wohl nicht wesentlich auf den russischen Staatshaushalt auswirken. Mit 0,3 Prozent im 2. Quartal 2014 ist das Haushaltsdefizit recht gering, und auch die öffentliche Schuldenquote liegt unter 10 Prozent“, sagt Marco Ruijer, Portfoliomanager für Hartwährungsanleihen bei ING Investment Management. Ruijer erwartet erst bei einem nochmals deutlich niedrigeren Ölpreis um die 35 Dollar ernste Probleme für den Staatshaushalt.

Aktuell könne Russland über die Öl-Einnahmen seine Dollar-Schulden in den kommenden Jahren weiter bedienen. Er hält russische Anleihen deshalb für eine gute Gelegenheit. Ebenso wie kasachische Anleihen, die ebenfalls unter dem Ölpreis-Druck litten. Sie sind im ING (L) Renta Fund Emerging Markets Debt mit 5,1 Prozent sogar am höchsten gewichtet.

Von Politikern und Performance-Polstern

Der Ölpreis ist aber nur ein kleiner Aspekt in der nicht gerade einfachen Situation von Schwellenländeranleihen. Eine weitere Frage ist nämlich, wie die Zentralbanken den Markt weiter beeinflussen. Monatelang pumpte die US-Notenbank Milliarden in den heimischen Anleihemarkt und trieb Anleger damit unter anderem in die Schwellenländer. 5 Billionen Dollar sollen allein deshalb seit der Finanzkrise dorthin geflossen sein, heißt es in einer Studie.

Jetzt hat die Fed den Geldhahn zugedreht – seitdem geht bei Schwellenländeranleihen nicht mehr viel. Die Risikoaufschläge haben sich sichtlich erhöht. Doch nun hat die Europäische Zentralbank damit begonnen, die Fed-Strategie zu kopieren. Das könnte wieder für mehr Lust auf exotische Anleihen sorgen.

Andererseits haben es viele Schwellenländer in der angenehmen Geldflut versäumt, ihre Staatsfinanzen auf Vordermann zu bringen und wichtige Reformen durchzusetzen. Entsprechend begeistert nehmen Anleger nun die neue Regierung in Indien und den neuen Finanzminister in Brasilien auf. Der heißt Joaquim Levy, ist Volkswirt und kommt direkt von Bradesco Asset Management, einer Tochter der zweitgrößten Privatbank in Brasilien. Seit 1. Januar ist er im Amt und stellt einen interessanten Gegenpart zur eher sozialistisch angehauchten Präsidentin Dilma Rousseff dar. Die Vorfreude unter Investoren ist groß.

Und schließlich ist da noch die Dollar-Stärke. Die US-Währung zeigt sich angesichts der guten Wirtschaftslage und sinkender Energie-Importe in starker Form. Entsprechend schwach wirken deshalb die Währungen aus Schwellenländern, der Euro aber auch. Doch was passiert, wenn Zentralbanken in Schwellenländern unter dem Schutz der auch dort niedrigen Inflationsraten die Leitzinsen senken, um der Wirtschaft zu helfen? Das würde ihre Währungen zusätzlich schwächen, auch gegenüber dem Euro. Wer hier Sicherheit will, kauft besser Anleihen in Hartwährungen.

Eine genaue Richtung von Anleihekursen und Währungen vorherzusagen ist schwierig. Schutz bieten die aktuell zweifellos wieder ansehnlichen laufenden Renditen (siehe Chart). Auch die Erkenntnis von Pictet, dass die Währungen überdurchschnittlich viel an Wert verloren haben, hilft etwas weiter. Zumindest teuer scheinen sie nicht mehr zu sein. Damit sind Schwellenländeranleihen – trotz holperiger Aussichten – wieder eine gute Portfolio-Beimischung.