Gerechtigkeitsdebatte “Die Reichen entziehen sich nicht ihrer gesellschaftlichen Verantwortung”

Jörn Quitzau von der Berenberg Bank

Jörn Quitzau von der Berenberg Bank

Die Gerechtigkeitsdebatte ist zurück. Fünf Jahre Finanzkrise haben auch in Deutschland Spuren hinterlassen. Die Rhetorik verschärft sich, denn es wächst die Sorge, dass die Krise auch in Deutschland in einem Verteilungskampf enden kann.

Wo Schulden zu sehr drücken, ist im Gegenzug Vermögen in Gefahr. Diese Lektion haben viele durch das zyprische Rettungsfiasko gelernt. Und wieder steht die Frage im Raum, wie die Kosten der Krise möglichst gerecht verteilt werden können.

Damit aber nicht genug, die Diskussion geht zunehmend ins Grundsätzliche. Die Einkommens- und Vermögensverteilung wird in Frage gestellt. Am Beispiel von Managern, Sport- und Showstars wird die Frage gestellt, ob Spitzengehälter (noch) zu rechtfertigen sind. Gehaltsobergrenzen als Maßnahme gegen Gehaltsexzesse werden in der Debatte salonfähig.

Auf beiden Seiten des Meinungsspektrums werden dabei zuweilen kaum haltbare Argumente vorgetragen. So hat die Finanzkrise der extrem liberalen Position, der Staat solle sich am besten ganz aus der Wirtschaft heraushalten, die Grundlage entzogen. Die Regierungen mussten auf dem Gipfel der Finanzkrise – als das System zu kollabieren drohte – Banken, Konjunktur und damit letztlich auch das Vermögen und die Sparguthaben aller Bürger retten. Staaten müssen solide finanziert sein, um in der Not zur Stelle sein zu können.

Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums wird dagegen eine Reihe von Vorwürfen erhoben, die an die deutschen Grundsatzdebatten der siebziger und achtziger Jahre erinnern. Solch ein Meinungsklima droht einer Politik den Weg zu ebnen, die die mühsam zurückerworbene Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ernsthaft gefährden könnte.

Die aufgeheizte Stimmung steht auch im Kontrast zur derzeit komfortablen Situation der deutschen Wirtschaft, die sich durch niedrige Inflation, eine zunehmende Beschäftigung und einen Überschuss im Haushalt des Gesamtstaates auszeichnet. Deshalb lohnt ein kurzer Blick auf einige Argumente.

Entziehen sich Reiche ihren gesellschaftlichen Pflichten?

Die These, Reiche würden sich mehrheitlich ihren gesellschaftlichen Pflichten entziehen, ist durch Fakten nicht gut belegt. Die obersten fünf Prozent der Einkommenspyramide, das sind Steuerpflichtige mit Jahreseinkünften von mehr als 92.000 Euro, steuerten im Jahr 2011 41,5 Prozent zum gesamten Einkommensteueraufkommen bei. Das ist etwas mehr als im Jahr 2007, als dieser Anteil bei 40,3 Prozent lag.

Die obere Hälfte der Steuerpflichtigen erwirtschaftete 94,6 Prozent des Einkommensteueraufkommens. Das Gemeinwesen wird also zu einem sehr großen Teil von den Besserverdienenden finanziert. Wenn sich Einzelne erfolgreich vor der Steuer verstecken, ist dies ein grober Verstoß gegen das Prinzip horizontaler Steuergerechtigkeit. Es ist aber nichts, was eine stärkere vertikale Umverteilung rechtfertigen würde.

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Der gesellschaftliche Beitrag der Reichen geht über die Rolle als Steuerzahler hinaus: Vermögen werden immer häufiger in Stiftungen eingebracht und dienen dann meist direkt gemeinnützigen Zwecken.

Ende vergangenen Jahres gab es in Deutschland rund 19.500 rechtlich selbständige Stiftungen, knapp ein Drittel davon verfolgt soziale Zwecke, ein weiteres Drittel die Themen Bildung und Erziehung sowie weitere gemeinnützige Zwecke.

Mit dem philantropischen Projekt „The Giving Pledge“ versuchen Microsoft-Gründer Bill Gates und der Investor Warren Buffett von den USA aus, „Superreiche“ dazu zu bringen, einen großen Teil ihres Vermögens wohltätigen Zwecken zur Verfügung zu stellen.

Darüber hinaus ist auch ein Wandel im Anlageumfeld sehr vermögender Personen zu beobachten. Neben der Erwartung einer finanziellen Rendite wird bei Investments vermehrt auch ein Beitrag zur Lösung von sozialen oder ökologischen Problemen gewünscht.

Unter dem Stichwort Impact Investing ist ein neuer Trend auszumachen, der eine Art Brücke zwischen Spenden und Stiften auf der einen, sowie gewinnmaximierenden Investitionen auf der anderen Seite schlägt. Diese Art von Investments geht oft mit einer geringeren erzielbaren Rendite einher. Insgesamt ist es also ein Zerrbild, dass sich die Reichen von gesellschaftlichen Pflichten verabschiedet haben.

Sind hohe Einkommen ungerechtfertigt?

Vergütungsexzesse in Teilen des Finanzsektors haben die alte Debatte über Verteilungsgerechtigkeit neu angefacht. Da im Vorfeld der Finanzkrise allzu oft vermeintliche Wertschöpfung honoriert wurde, die sich im Rückblick als illusionär herausgestellt hat, stehen die Entlohnungsregeln des Finanzsektors zu Recht auf dem Prüfstand.

Doch die Debatte hat sich längst auf alle möglichen Berufsgruppen ausgeweitet. Im Fokus stehen zwar Spitzenmanager, Spitzensportler und Showstars, aber es wird zunehmend auch generelles Unverständnis für Ungleichheit bei den Einkommen laut.

Die vorgetragenen Argumente sind dabei keineswegs neu: So wird immer wieder die Bezahlung von Krankenschwestern in Relation gesetzt zu Managergehältern. Dass Gesundheits- und Pflegeberufe wertvollere Arbeit leisten, als es in ihrer Bezahlung zum Ausdruck kommt, steht außer Frage. Die vergleichsweise schlechte Bezahlung entspricht aber zu einem guten Teil dem gesellschaftlichen Wunsch, dass Gesundheitsleistungen bezahlbar bleiben sollen. Das drückt auf die Löhne. Dies ließe sich ändern. Aber nur um den Preis höherer Beitragssätze für die Krankversicherungen.

In der Verteilungsdebatte darf zudem nicht übersehen werden, dass Märkte vor allem Knappheit honorieren. Hohe Einkommen sind nicht nur das Ergebnis geleisteter Arbeit, hohe Einkommen signalisieren auch, dass die produzierten Waren und Dienstleistungen für die Verbraucher aktuell einen besonders hohen Wert haben. So gesehen ist das Einkommen der Lohn dafür, anderen genutzt zu haben. Wohlstand ist im Regelfall ein Indiz dafür, dass jemand anderen zuvor etwas Gutes getan hat.

Der mediale Hebel als Reichmacher

Dennoch gehen manches Mal die Relationen verloren. Wenn zum Beispiel Sportler und Showstars Millionengagen einstreichen, dann liegt es nicht daran, dass sie so viel mehr oder härter arbeiten als der Rest der Bevölkerung, sondern dass sie von sogenannten medialen Hebeln profitieren.

Sie können ihre Arbeit über die Medien ohne zusätzlichen Aufwand an Millionen von Zuschauern verkaufen. Der Markt honoriert nicht nur Leistung, sondern auch Glück und Zufall. Durch den progressiven Steuertarif wird ein Teil dieser Glücksdividende abgeschöpft.

Hat sich durch die Krise nichts geändert? Wird die Elite verschont?

Die Kosten der Krise trage die breite Masse, während sich die Elite schadlos halte – so lautet ein gängiges Vorurteil. Zudem hätten die Verantwortlichen die Krise unbeschadet überstanden.

Das ist in dieser Form nicht richtig: Wohl kaum eine Branche hat einen so großen Reputationsschaden erlitten wie der Finanzsektor. Weltweit haben die Besitzer der Banken, also deren Aktionäre, große Teile des Wertes ihrer Bankaktien verloren. Zahlreiche Top-Manager und andere Manager mussten ihre Büros räumen.

Zudem spricht die Beschäftigungssituation im Bankensektor für sich: Als 2007 der seit mehreren Jahren anhaltende Arbeitsplatzabbau gestoppt zu sein schien, machte die Finanzkrise alle Hoffnungen zunichte. Wenn im Mai die Zahlen für 2012 veröffentlicht werden, werden wahrscheinlich weitere Arbeitsplatzverluste dokumentiert. Banken und ihre Mitarbeiter haben die Krise also alles andere als unbeschadet überstanden.

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Unrichtig ist auch, dass Vermögende von den Folgen der Krise verschont bleiben. Die Krise hat den risikolosen Zins, von dem es sich traditionell gut leben ließ, pulverisiert. Die Realverzinsung für zehnjährige Bundesanleihen ist seit der Jahrtausendwende von über vier Prozent auf zeitweilig deutlich unter null Prozent gefallen (siehe obigen Chart).

Zudem ist die Volatilität an den Finanzmärkten drastisch gestiegen. Anleger sind also viel größeren Verlustrisiken ausgesetzt als vor der Krise. Die Finanzkrise hat neue Realitäten geschaffen. Wenn es überhaupt Gewinner in dieser veränderten Welt gibt, dann sind es diejenigen, die in den vergangenen Jahren in Humankapital, also in die eigene Arbeitskraft, investiert haben.

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Ausblick: Wachstum statt Verteilungskampf

Kein Zweifel, die Marktwirtschaft funktioniert nicht perfekt und die Einkommensverteilung ist nicht immer gerecht und oftmals nicht gut vermittelbar. Offensichtliche Fehlentwicklungen sollten aber gezielt bekämpft werden.

So ist die – bis zu fünf Jahren – verzögerte Auszahlung bestimmter Boni im Bankensektor sachgerecht. Leistung wird somit erst dann entlohnt, wenn sie sich als nachhaltig erwiesen hat. Außerdem wirken die neuen Vergütungsregeln übermäßiger Risikofreude der Bankmanager entgegen und tragen damit zu einer stabileren wirtschaftlichen Entwicklung bei.

Gezielte Korrekturen sind besser als Rundumschläge wie zum Beispiel allgemeine Steuererhöhungen, die die Leistungsbereitschaft von Arbeitnehmern und die Investitionsbereitschaft von Unternehmen generell hemmen.

Niedrige Steuern und die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 haben das Wachstum nach Deutschland zurückgebracht. Seit 2005 ist das gesamte Steueraufkommen um mehr als 30 Prozent gestiegen, nachdem die rot-grüne Bundesregierung die Steuersätze auf breiter Front gesenkt hatte (siehe obige Abbildung).

Deutschland steht vor erheblichen fiskalischen Anstrengungen, denn der öffentliche Schuldenberg sollte in den nächsten Jahren deutlich reduziert werden. Der Schuldenabbau wird am besten durch Wachstum, nicht aber durch höhere Steuern auf breiter Front gelingen.

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Ein steuerpolitisches Mittel, Wachstum und (Steuer-)Gerechtigkeit gleichzeitig zu erhöhen, bleibt dennoch: Steuerschlupflöcher können geschlossen werden.

Nach der weiten Abgrenzung des Subventionsberichtes des Kieler Instituts für Weltwirtschaft erreichten die Steuervergünstigungen im Jahr 2012 ein Niveau von gut 50 Milliarden Euro.

Würde der Abbau von Steuervergünstigungen konsequent angegangen, bräuchte niemand über Steuererhöhungen nachzudenken. Stattdessen wären sogar Steuersenkungen möglich.

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