Corona scheint an den Börsen längst abgehakt: Der marktbreite S&P 500-Index ist seit Januar 2020 um 26 Prozent nach oben geklettert. Auch der Schwellenländer-Aktienindex MSCI Emerging Markets ist um 24 Prozent gestiegen und sogar der japanische Nikkei-Index hat sein Kursniveau von 1989 erreicht.
Diese Zahlen lassen vermuten, dass die Corona-Krise weit hinter uns liegt. Doch genau das ist es, was vielen Investoren ein mulmiges Gefühl bereitet. Denn: Die Finanzmärkte scheinen sich von der Realität abzukoppeln. Wir haben einige rationale Erklärungen für dieses Marktverhalten gefunden: Denn die Zusammensetzung der Indizes spiegelt das Wirtschaftsgefüge um uns herum nur unvollständig wider.
Der US-Börsenindex ist nur ein Beispiel dafür. Dieser weist eine historisch hohe Konzentration an Kapitalisierungen auf, die meist mit dem Technologiesektor verknüpft sind. Ebenso lässt sich die Performance von Risikoanlagen durch die geld- und fiskalpolitische Unterstützung in noch nie da gewesenem Umfang erklären. Die Maßnahmen haben viele der großen Volkswirtschaften widerstandsfähiger gemacht und damit die Zahl der Insolvenzen begrenzt. Die Auswirkungen der zweiten und dritten Welle sind daher wirtschaftlich betrachtet weit weniger bedeutsam als die der ersten. Das ist insbesondere beim produzierenden Gewerbe zu beobachten, welches sich nahezu überall in der Expansion befindet.
Aufholjagd beginnt
Der Erfolg der Impfstoffe und der Beginn der Impfkampagnen hat den risikoreichsten Anlagen Aktien und Rohstoffen neuen Auftrieb verschafft. Innerhalb weniger Monate ist ein großer Teil der Performance-Lücke zwischen zyklischen und defensiven sowie zwischen Substanz- und Wachstums-Werten geschlossen worden. Stellt sich nun die Frage: Liegt die Aufholjagd hinter uns? Ist die Erholung der Volkswirtschaften bereits eingepreist?
Die Beobachtung vergangener Entwicklungen zeigt: Solange sich die Märkte in einer Phase der wirtschaftlichen Erholung, begleitet von steigenden Zinsen, befinden, sollten Anleger weiterhin auf zyklische und Substanzwerte setzen. Die Gewinndynamik wird sich beschleunigen und den defensiveren und wachstumsorientierten Teil des Marktes weit hinter sich lassen.
An den Finanzmärkten wird die wirtschaftliche Erholung vorweggenommen, dabei hat diese noch nicht wirklich begonnen – vor allem in Europa. Der Übermut, den wir seit März 2020 bei bestimmten Papieren gesehen haben, könnte sich nun auf die traditionelleren wertorientierten und zyklischen Branchen auswirken. Auch anderenorts reiht sich Allzeithoch an Allzeithoch: Der Bitcoin-Preis hat sich seit März 2020 mehr als versechsfacht, die Tesla-Aktie hat sich im gleichen Zeitraum verzehnfacht, während Kupfer sich verdoppelte, um nur einige Beispiele zu nennen.
Investoren sollten mit einigen Überraschungen rechnen, da die wirtschaftliche Erholung stark und rasch sein wird. Sowohl die Inflation als auch die Zinssätze könnten vorübergehend die Erwartungen relativ vorsichtiger Verbraucher übertreffen und zu einer Outperformance von Vermögenswerten, Regionen und Sektoren führen, welche traditionell davon profitieren. Europäische Papiere bleiben in diesem Zusammenhang eine gute Wahl, ebenso wie der Bankensektor und rohstoffbezogene Werte.
Bevorstehende Risiken
Mit welchen Risiken werden wir noch konfrontiert? Zum einen ist der Wettlauf zwischen Impfung und neuen Virusstämmen noch nicht gewonnen, zum anderen könnten weitere Lockdowns die wirtschaftliche Erholung bremsen. Mit Blick auf die kommenden Monate bleibt jedoch das größte Risiko: Die Erwartung eines Ausstiegs aus der geld- und fiskalpolitischen Unterstützung. Die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken und die Kontrolle der Zinserhöhungen sind essentiell, um 2022 in eine normalere Wachstumsphase einzutreten – ohne größere Volatilität.