Zurückhaltende Ergebnisprognosen Deutsche Unternehmen leisten sich gefährliches Understatement

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Aus Sicht des Managements ist es die dominante Strategie, zu Beginn des Geschäftsjahres eher vorsichtige Prognosen an den Markt zu geben, die im Laufe des Geschäftsjahres zugunsten realistischerer Aussagen angehoben werden, falls absehbar ist, dass der implizit enthaltene „Ergebnispuffer“ nicht vollständig benötigt wird. Auf diese Weise werden die Erwartungen der Kapitalmarktadressaten bewusst niedrig gehalten, um dann später durch ein Übertreffen die gewünschten Aktienkursreaktionen hervorzurufen.

Um zu überprüfen, inwiefern die Unternehmenspraxis tatsächlich einer solchen Kommunikationsstrategie folgt, sollen im weiteren Verlauf des Beitrags die im Zeitraum 2005 bis 2015 von den deutschen im HDAX gelisteten Konzernen abgegebenen Prognosen eingehend untersucht werden, wobei ein besonderer Fokus auf dem Geschäftsjahr 2015 liegen soll.

Die Unternehmensstichprobe besteht aus allen zum 31.12.2015 im Dax, Mdax und Tecdax vertretenen Unternehmen, die im Untersuchungszeitraum 2005 bis 2015 durchgängig über eine Notierung im Prime Standard verfügten und somit quartalsweise einen Lagebericht nach den Vorgaben des deutschen Handelsrechts erstellen müssen. Da dies nicht für alle Unternehmen der entsprechenden Indizes zum Stichtag 31.12.2015 der Fall ist, reduziert sich das Sample auf 90 Unternehmen.



Die Managementprognosen wurden aus den Prognoseberichten der Geschäfts- und Quartalsberichte entnommen. Es wurden all jene Prognosen erhoben, die quantifiziert oder zumindest quantifizierbar sind. Rein qualitative Aussagen, die seitens des Regulators mittlerweile ohnehin nicht mehr als ausreichend erachtet werden, wurden bei der Analyse nicht berücksichtigt, da diese aufgrund ihres teils schwammigen Charakters nicht überprüfbar sind.

So wird sich der Wahrheitsgehalt der Aussage, man erwarte „ein zufriedenstellendes Geschäftsjahr“ kaum überprüfen lassen, da die Vorstellungen darüber, was als „zufriedenstellend“ bezeichnet werden darf, individuell sehr unterschiedlich sein dürfte.

Prognosen mit schwammigem Charakter

Die betrachteten 90 Unternehmen haben im Untersuchungszeitraum insgesamt 6.038 Einzelprognosen zur erwarteten Umsatz- und Ergebnisentwicklung abgegeben (Abbildung 1). Nachdem es während der Finanzkrise zu einem deutlichen Rückgang in der Prognosetätigkeit der Unternehmen kam, nahm die Prognoseaktivität seitdem wieder stetig zu. Im vergangenen Berichtsjahr 2015 konnten mit insgesamt 730 Einzelaussagen zur erwarteten Umsatz- und Ertragsentwicklung so viele Prognosen wie nie zuvor innerhalb des Untersuchungszeitraums erfasst werden.

40,0 Prozent aller im Untersuchungszeitraum identifizierten Prognosen bezogen sich auf die Umsatzentwicklung und 60,0 Prozent auf verschiedene Ergebnisgrößen. Unter den Ergebnisprognosen ist der Trend zur Verwendung nicht-standardisierter Zwischenergebnisgrößen wie Ebit und Ebitda ungebrochen. Ihr Anteil ist seit Beginn des Untersuchungszeitraums im Jahr 2005 kontinuierlich gestiegen.

Tätigt ein Unternehmen eine Aussage zum erwarteten Entwicklung des Konzerngewinns (E, für Earnings), so sind diese Aussagen oftmals mit dem Zusatz „vor Sondereffekten“ versehen, was die Nachvollziehbarkeit für externe Adressaten beeinträchtigt. Die Unternehmen nutzen die Hintertür der „Sondereffekte“, um gewisse Aufwand- und Ertragskomponenten bewusst miteinzubeziehen beziehungsweise außen vor zu lassen.

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Hinsichtlich des Präzisionsgrades der Prognosen zeigen sich zwei Trends (Abbildung 2). Zum einen werden Prognosen im unterjährigen Verlauf präzisiert, was angesichts des sich verbessernden Kenntnisstandes des Managements nicht verwundert (Abbildung 2, links). Machen zu Beginn des Geschäftsjahres komparative Prognosen (MinMax), bei denen Vorjahreswerte als Unter- beziehungsweise Obergrenze der Prognose fungieren, knapp die Hälfte der identifizierten Prognosen aus, so geht dieser Anteil in Q3 auf circa ein Drittel zurück.

Zum anderen zeigt sich im langfristigen Verlauf ein ähnlicher Trend. Während zu Beginn des Beobachtungszeitraums komparative Prognosen klar vorherrschten, hat ihre Popularität zugunsten von Intervallprognosen über die letzten 10 Jahre klar abgenommen (Abbildung 2, rechts), was auch durch die strengeren Vorgaben an die Berichterstattung seitens des Regulierers zu erklären ist. Der Anteil letzterer stieg in dieser Zeit von circa 30 Prozent auf über 50 Prozent.