Starten wir mit einer kleinen Statusabfrage: Wie gut harmonisieren nachhaltige Geldanlage und Hochvermögende derzeit?
Yvonne Brückner: Auf einer Skala von 1 bis 10 würde ich alles in allem wahrscheinlich 4 Punkte vergeben.
Warum nur 4 Punkte?
Brückner: Der Nachhaltigkeitsbegriff wird im öffentlichen Diskurs inflationär gebraucht und ist ganz generell nicht verbindlich definiert. Viele Hochvermögende verstehen in der Konsequenz unter Nachhaltigkeit einen ideologisch geprägten, nicht aber einen ökonomisch rational begründbaren Terminus. Zudem sind ältere Now Gens häufig in den wirtschaftlichen Erfolgsmustern der vergangenen Jahrzehnte verhaftet und wollen auch deshalb nicht alles auf den Kopf stellen. Wenn Hochvermögende sich nachhaltiger Geldanlage öffnen, dann sind es entsprechend häufig Next Gens mit vergleichsweise weniger Entscheidungshoheit, die sich engagiert für eine Transition der Wirtschaft einsetzen möchten. Ich sehe da also ein deutliches Altersgefälle. Und alles in allem viel Luft nach oben.
Warum sollten sich denn auch ältere Hochvermögende für das Thema interessieren?
Brückner: Aus Eigeninteresse. Dass die schon angesprochenen ökonomischen Erfolgsmuster der vergangenen in den kommenden Jahrzehnten nicht funktionieren, das zeigen uns diverse Anhaltspunkte deutlich: Umweltindikatoren oder auch gesellschaftliche Verschiebungen wie das Wahlverhalten stellen auch für Hochvermögende wesentliche Risikofaktoren dar. Eine ökonomische und gesellschaftliche Transition liegt im Interesse hochvermögender Persönlichkeiten und Familien. Nachhaltigkeit ist also kein primär ideologisches Spielfeld, sondern Nachhaltigkeit ist ein kernrelevanter ökonomischer Erfolgsfaktor.
Viele Vermögensinhaber arbeiten aber auf Vermögensebene ja mit Dienstleistern zusammen. Wie müssen die dieses Thema platzieren?
Brückner: Ein Asset Manager oder Multi Family Officer sollte für ein Erstgespräch mindestens zwei Variablen beachten: zum ersten das Alter des Gesprächspartners, das ihn der Now oder Next Gen zuordnet. Zum zweiten die Vermögensgröße, die über die Möglichkeiten der Anlagen entscheidet. Liegen die Vermögen unterhalb der Milliarden-Marke, spielt die Risiko-Perspektive tendenziell eine größere Rolle, liegen die Vermögen oberhalb der Milliarden-Marke spielt die Inside-out-, also Wirk-Perspektive eine gleichberechtigte Rolle. Diese zwei Variablen liefern einen ersten Hinweis darauf, wie defensiv oder offensiv die Dienstleister im Gespräch vorgehen können.
Was wäre eine offensive Herangehensweise auf Vermögensebene?
Brückner: Eine offensive Herangehensweise drückt sich häufig in selektiven Private-Equity- und auch Venture-Engagements aus, die auf bestimmte transitionsrelevante Themen einzahlen. Das kann mit einer expliziten Orientierung an den 17 SDGs der Vereinten Nationen einhergehen, muss es aber nicht. Gesellschaftliche Stabilität kann etwa auch hierzulande befördert werden, wenn ausreichend Menschen als Konsumenten genug Zahlungskraft besitzen und langfristig eine breite Inlandsnachfrage befeuern. Ein Vermögen könnte also so eingesetzt werden, dass es Geschäftsmodelle fördert, die zum Beispiel Digitalisierung und künstliche Intelligenz stabilisierend nutzen, um diese Zahlungskraft zu erhalten. Die ökologische Komponente dagegen spiegelt unter anderem die Energiewende wider, weshalb auch hier Kapital entsprechend gezielt eingesetzt werden kann. Dieser Ansatz würde bedeuten, dass Hochvermögende den Wandel aus einer Inside-out-Perspektive mitgestalten.
„Wer Nachhaltigkeit komplett außer Acht lässt, geht ein erhebliches zusätzliches Risiko ein, das nicht mit Rendite vergütet wird.“
Und wenn sie gar nicht mitgestalten, also eher eine defensive Nachhaltigkeitsstrategie nutzen wollen?
Brückner: Viele Hochvermögende sind in der Tat der Meinung, dass die Transition vor allem Aufgabe der Regierungen ist - und sie sich dann erst danach dementsprechend positionieren müssen. Der erste, defensive und schon genannte Ansatzpunkt für Dienstleister ist: Wer Nachhaltigkeit komplett außer Acht lässt, geht ein erhebliches zusätzliches Risiko ein, das nicht mit Rendite vergütet wird. Daher sollten selbst an Nachhaltigkeit thematisch nicht interessierte Vermögensinhaber aus Rendite-Risiko-Überlegungen heraus die Risikodimension Nachhaltigkeit nicht komplett ausblenden.
Wie wirkt sich diese Risikodimension denn konkret aus? Die Unklarheit rund um den Nachhaltigkeitsbegriff haben Sie ja selbst bereits angeführt.
Brückner: Die Risikodimension setzt sich aus Bestandteilen wie Reputations- und Performancerisiken zusammen: Investments in Waffenhersteller oder Unternehmen, die gegen international anerkannte Arbeitsnormen verstoßen, sind zum Beispiel für gemeinnützige Stiftungen ein Reputationsrisiko, Investments in die umweltschädlichsten Versorger für jeden Investor ein Rendite-Risiko. Wenn künftig bei mangelhafter Nachhaltigkeitsleistung Kapitalabzug seitens institutioneller Investoren oder Auftragsverluste seitens relevanter Abnehmer drohen, dürften fast alle Hochvermögenden mit unternehmerischem Hintergrund verstehen, dass es mindestens keine Vorteile bringt, in diese Firmen investiert zu sein. Insofern ist Nachhaltigkeit kein ideologischer Wahn, sondern eine konkrete wirtschaftliche Kernrationale. Ist ein defensiver Impuls bei den Familien gesetzt, lässt sich das Thema bei Bedarf weiterentwickeln.
Family Officer, Produktgeber, andere Akteure: Wer muss diesen Impuls überhaupt bei den Vermögensinhabern auslösen?
Brückner: Eigentlich sind alle der genannten Akteure mehr oder weniger dazu verpflichtet. Finanzdienstleister müssen ohnehin Nachhaltigkeitspräferenzen abfragen und haben darüber hinaus auch eine Verpflichtung, Aufklärungsarbeit ob der Risiken zu leisten. Noch deutlicher gilt das für den Family Officer: In seiner idealtypischen Definition ist er der Interessenswahrer des Vermögensinhabers. Und wenn ein Family Officer auf der einen Seite um die Chancen, aber vor allem auch um die Risiken bei Nachhaltigkeit weiß, ist er eigentlich qua Definition dazu verpflichtet, den Vermögensinhaber darüber zu informieren. Tut er das nicht, wird er seiner treuhänderischen Verpflichtung gegenüber Prinzipal und Familie nicht gerecht.
Sie sagen „eigentlich“. Warum tun sich Family Officer schwer, das Thema dann wirklich anzusprechen?
Brückner: Viele Vermögensinhaber haben auf dieses Thema schlicht keine Lust. Vergleichbar ist das mit dem Thema Sterbevorsorge. Auch darauf haben Vermögensinhaber häufig keine Lust, auch bei diesem Thema müssen Family Officer aber auf Vorkehrungen drängen. Nur fürchten viele Family Officer um die unbelastete Vertrauensbeziehung zu den Vermögensinhabern, die Beziehung zwischen den Familienmitgliedern und auch um ihre eigenen Interessen. Insofern gibt es schon Bedenken und hier und da gewisse Verzögerungstaktiken – auf der anderen Seite merken wir aber, dass unter Family Officern mit Finance-Hintergrund durchaus die Einsicht besteht, dass sie mittelfristig nicht aus ideologischen, sondern eben aus Risikomanagement-Gründen nicht um das Thema Nachhaltigkeit herumkommen. Und wo einmal Ausschlusskriterien oder ein moderates ESG-Kriterienset implementiert sind, trifft man auch auf mehr Offenheit vonseiten der Vermögensinhaber. Wir erleben in der Begleitung von Familien und ihren Family Offices die Hürde, Nachhaltigkeit zu thematisieren, als problemlos überwindbar. Mehr noch: Das Thema kann auf die lange Sicht die Beziehung sogar stärken.
Was wäre also Ihr Appell an Family Officer?
Brückner: Sensibilisieren Sie für die ökonomische Relevanz von Nachhaltigkeit und machen Sie klar, dass dieses Thema schon rein aus Eigeninteresse heraus nicht übergangen werden sollte oder übergangen werden darf. Und informieren Sie sich zum Thema, um selbst kompetenter Ansprechpartner für die Vermögensträger zu sein. Hier unterstützen auch wir sie gern.
Warum ist das wichtig?
Brückner: Weil Menschen dazu neigen, nur Themen aktiv anzusprechen, in denen sie sich auch wirklich auskennen. Und natürlich müssen Family Officer auch sprechfähig sein, wenn spezifische Nachfragen vom Prinzipal kommen. Natürlich können für eine erste Sondierung auch Dritte als externe Experten hinzugezogen werden – dann wird bei Misserfolg das Verhältnis von Family Officer zu Vermögensinhaber weniger belastet als bei einer direkten Ansprache, die als reine Initiative des Family Officers wahrgenommen wird.
„Der Family Officer muss unter Umständen auch verschiedene Perspektiven moderieren, die dann in Teilvermögens- oder angepassten Gesamtstrategien münden können.“
Vorausgesetzt, diese erste Sensibilisierung für das Thema ist von Erfolg gekrönt: Wie muss sich ein Portfolio verändern?
Brückner: Ob es letztlich Umschichtungen braucht, lässt sich nicht pauschal vorhersagen. Das Minimum wäre sicherlich, das liquide Vermögen mittels einer ganzheitlichen ESG-Analyse zu durchleuchten, um Negativausreißer aufzudecken und eliminieren zu können. Dieser Ansatz, Transparenz zu schaffen, lässt sich auch auf das illiquide Portfolio ausweiten. Allerdings ist hier die Datenlage deutlich limitierter. Es ist aufwändiger, Klarheit herzustellen. Doch auch dieser Aufwand kann sich lohnen. Die Transparenzschaffung kann dann natürlich dazu führen, dass auf einer oder beiden Ebenen neue Anlagerichtlinien verabschiedet werden. Dafür muss der Family Officer unter Umständen auch verschiedene Perspektiven moderieren, die dann in Teilvermögens- oder angepassten Gesamtstrategien münden können. In Mandaten ist der Anpassungsaufwand sicher höher als bei Anlagen in ETFs, für die es ja meist ESG- oder SRI-Alternativen gibt. Und: Die Transition verlangt natürlich aktive Veränderung, die sich am ehesten in Private-Equity-Portfolios oder allgemeiner über außerbörsliches Beteiligungskapital umsetzen lässt. Unsere Beobachtung ist: Wer sich mehr für Nachhaltigkeit interessiert, der verändert die Gewichtung innerhalb der strategischen Asset Allocation weg von liquiden und hin zu illiquiden Anlagen.
Also Impact Investments?
Brückner: Ja und nein. Bei Hochvermögenden wird Impact Investing wohl vorerst ein Nischen- und Liebhaberthema bleiben, wobei es etwa bei Stiftungen infolge der Stiftungsrechtsreform durchaus eine größere Rolle spielen könnte. Ein Kernproblem: Es besteht viel Unsicherheit betreffend die Notwenigkeit, zugunsten der Impact-Erzielung Einbußen in der finanziellen Rendite zu akzeptieren. Was mit einer unzureichenden Differenzierung verschiedener Arten von Impact zu tun hat. Und: die Frage der Wirkungsmessung ist weiterhin unbeantwortet oder nicht einheitlich beantwortet. Es ist schwerlich möglich, die finanzielle und die nicht-finanzielle Wirkung im Aggregat zu betrachten. Diese Begriffs- und Transparenzprobleme sorgen derzeit noch weithin für Zurückhaltung.
Wirkungsmessung ist das eine. Wo sehen Sie weitere Verbesserungsmöglichkeiten auf Produktebene?
Brückner: Die Vergleichbarkeit nachhaltiger Anlagen bleibt ein großes Problem. Regulierungen nach SFDR-Artikel 6, 8 und 9 bringen ein gewisses Maß an Transparenz, aber erlauben keine Aussage darüber, wie die Nachhaltigkeitsleistung eines Fonds wirklich ausfällt. Und am Markt gängige Siegel können das Problem nicht lösen. Im Gegenteil: Oft verursachen sie Zusatzaufwand, denn es gilt, zunächst die Kriterien der Siegel zu verstehen. Auch für unterschiedliche Mandate erhalten Kunden oft unterschiedliche, kaum vergleichbare Reportings betreffend Nachhaltigkeitscharakteristika. Das macht es schwer, sich informationsbasiert und zielgerichtet für oder auch gegen bestimmte nachhaltige Investments zu entscheiden. Und weil Hochvermögende keinem Investitionszwang unterliegen - anders als institutionelle Investoren - führt das oft dazu, dass aktive Veränderungsentscheidungen vertagt oder vermieden werden. Die Branche braucht Standards, Vergleichbarkeit.
Und selbst wenn sie einen Standard findet: Die Hochvermögenden haben doch auch individuelle Wünsche?
Brückner: Hypothetisch gibt es sicher auch das passende Angebot für jede Nachfrage, aber sie finden sich derzeit nicht.
Wie lässt sich die Brücke schlagen?
Brückner: Ich habe auch keine triviale Lösung für das Problem. Aber wir leben in der Zeit von Technologie und Big Data, vermutlich lassen sich schon in fünf Jahren unter deren Nutzung effizient Produkt-Kunden-Beziehungen finden. Natürlich gibt es auch jetzt Dienstleister, die nach ihren eigenen Standards Vergleiche aufstellen - aber die verursachen Transaktionskosten in rasch signifikant fünfstelliger Höhe, die wiederum die eigentlich nicht schlechtere Rendite von nachhaltigen Investments schmälern. Und das verleitet dann wieder einige Vermögensinhaber mit Vermögen von unter einer Milliarde Euro dazu, lieber mit der Informationsasymmetrie zu leben und erst einmal weiterzumachen wie bisher. Das hat ja häufig auch sehr gut funktioniert.
Welche Rolle spielen die Anbieter von Nachhaltigkeitsratings?
Brückner: Aktuell wird sich oft einfach auf das teure, aber intransparente Rating des Marktführers verlassen. Das ist nicht optimal, für viele Family Offices oder Investoren aber pragmatisch. Ich sehe die Ratinganbieter deshalb aktuell eher als Teil des Problems als als Teil der Lösung. Diese Anbieter veröffentlichen Ratings, deren Zustandekommen für die Nutzer nicht oder nur unter sehr großem Aufwand nachvollziehbar ist. Wenn der Regulator nun aber diese Unternehmen zu einer Veröffentlichung ihrer Methoden anhält, wie es ja der Fall ist, und noch mehr Daten öffentlich und optimaler Weise in einheitlichen Formaten verfügbar werden – Stichwort CSRD – dann lässt sich die neben Rendite, Risiko und Fungibilität für Investments maßgebliche vierte Dimension Nachhaltigkeit auch besser quantifizieren. Und die Transaktionskosten werden deutlich fallen. Wenn diese Situation in fünf bis acht Jahren eintritt, werden wir dieses Gespräch so nicht mehr führen müssen. Die Risiken, sich nicht mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen, sind aber schon heute größer als die Herausforderungen, die dieses Thema mit sich bringt. Ich würde dazu raten, einfach mal anzufangen – im vollen Wissen, dass die Lösungen noch nicht perfekt sind.
Über die Interviewte:
Yvonne Brückner leitet Resfutura, ein Institut für unternehmerische Zukunftsstrategien. Brückner hat unter anderem in einer Studie das Verhältnis von Vermögensinhabern zu Nachhaltigkeit untersucht. Zudem ist sie auch Initiatorin des ersten und bislang einzigen Verbands für Family Offices im deutschsprachigen Raum.