Vernachlässigtes Potenzial Wo bleibt eigentlich das S in ESG?

Arnaud Ahlborn ist einer von zwei Geschäftsführern der Industria Wohnen

Arnaud Ahlborn ist einer von zwei Geschäftsführern der Industria Wohnen: Der Manager sieht Potenzial im sozialen Wohungsbau Foto: Industria Wohnen

ESG ist in der Immobilienbranche aktuell das Thema schlechthin. Kaum eine Veröffentlichung oder Diskussionsrunde kommt ohne die drei Buchstaben aus. Allerdings muss man rasch feststellen, dass sich 95 Prozent aller Fragen um ökologische Aspekte beziehungsweise den Buchstaben E drehen. Meistens geht es dann um den CO2-Fußabdruck, Ökostrom, Ersetzen von Ölheizungen, Dämmung und Isolierung, Fotovoltaikanlagen auf den Dächern etcetera.

Deutlich weniger Beachtung finden dagegen die sozialen Kriterien. Einer der Gründe ist, dass der Kausalbezug, der Zusammenhang zur Immobilie dort oft nicht so eindeutig ist. Bei Heizung, Strom und Dämmung ist die Verbindung von Immobilie und Klima dagegen klar. Immobilien sind für 40 Prozent der aktuellen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Bei den S-Kriterien steht hingegen oft eher der Mieter beziehungsweise sein Geschäft im Blickpunkt. Im Bereich der Gewerbeimmobilien ist beispielsweise die Aufstellung von Negativlisten ein verbreiteter Ansatz. Demzufolge werden Büroflächen nicht an Waffenhersteller, Tabak- und Alkoholproduzenten oder vergleichbare Unternehmen vermietet.


Ein ähnlicher Schritt ist, dass nur noch an Mieter vermietet wird, die bestimmte Sozialstandards einhalten – beispielsweise Unternehmen, die nach Tariflohn bezahlen. Im Einzelhandelssegment wäre es denkbar, nur noch an Bioläden oder sogenannte „Unverpacktläden“ zu vermieten und Ketten auszuschließen, die in Billiglohnländern unter nicht nachprüfbaren Standards produzieren lassen. Weitere Möglichkeiten sind der Bau und die Vermietung von Sozialimmobilien – beispielsweise von Pflegeheimen, Kindergärten und Krankenhäusern.

Das meiste Potenzial für soziale Kriterien bietet der Wohnbereich

Der Ansatz mit der vielleicht größten gesellschaftlichen Relevanz ist jedoch der Wohnbereich. Wohnen gilt bereits seit Jahren als „soziale Frage unserer Zeit“ (Horst Seehofer) und wer in den vergangenen Jahren in einer deutschen Großstadt mit einem begrenzten Budget eine bezahlbare Wohnung gesucht hat, kennt das Problem. Eine mögliche Antwort auf diese Herausforderung ist gefördertes Wohnen. Wichtig zu wissen ist dabei, dass der geförderte Wohnungsbau von heute nicht vergleichbar ist, mit dem sozialen Wohnungsbau früherer Jahre. War der soziale Wohnungsbau in der Vergangenheit bestimmt von Kostenmiete und sehr langen Laufzeiten, stehen heute individuelle Mietentwicklungen und zeitlich begrenzte Förderlaufzeiten im Vordergrund.

Üblicherweise liegen die Laufzeiten der Förderung von Sozialwohnungen heute zwischen 15 und 25 Jahren. Während dieser Spanne wird die Miete moderat an die ortsüblichen Mieten gemäß Mietspiegel angepasst. Parallel hierzu werden die Fördermittel schrittweise reduziert. Die sukzessive Mietanpassung entspricht in der Regel der allgemeinen Einkommensentwicklung. Die Wohnungen werden nur an Mieter vermietet, die bei Einzug einen Wohnberechtigungsschein nachweisen können. Die Mietpreise sind künstlich niedrig festgesetzt und liegen deutlich unter dem Marktniveau. In der Praxis bewegen sie sich derzeit zwischen 6,50 und 9,00 Euro pro Quadratmeter kalt im Monat.