Fiskalische Freigiebigkeit Wird die US-Staatsverschuldung zum Risiko für die Anleihemärkte?

Bernhard Matthes von der BKC: „Die US-Regierung solle sich nicht in die Selbsttäuschung begeben, dass ein unstillbarer Appetit für US-Staatsschulden vorhanden sei.“

Bernhard Matthes von der BKC: „Die US-Regierung solle sich nicht in die Selbsttäuschung begeben, dass ein unstillbarer Appetit für US-Staatsschulden vorhanden sei.“ Foto: Bank für Kirche und Caritas

Zum Jahresende 2023 erreichte die US-Verschuldung gemessen an der Wirtschaftsleistung einen neuen Höchststand von 123 Prozent. Zuletzt stieg die Gesamtverschuldung auf 35,3 Billionen US-Dollar (per Juni 2024). Die Zweifel, inwieweit sich die Vereinigten Staaten auf einem langfristig tragfähigen Kurs befinden, sind berechtigt.

Für viele Beobachter ist der US-Schuldenrausch im Grenzbereich des Vertretbaren. Selbst Profiteuren der waghalsigen Schuldenpolitik kommen inzwischen Zweifel. So warnte John Waldron, Vorstandmitglied von Goldman Sachs  jüngst, die US-Regierung solle sich nicht in die Selbsttäuschung begeben, dass ein unstillbarer Appetit für US-Staatsschulden vorhanden sei. Vielmehr müsse man sich sorgen, dass der Verschuldungspfad nicht mehr nachhaltig sei und den Reservewährungsstatus gefährde.

Mahnendes Beispiel ist die Beinahe-Schuldenkrise Großbritanniens im Herbst 2022 nach Vorlage des Budgets durch Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss. Damals führte die fiskalische Freigiebigkeit auf bereits sehr hohem Gesamtverschuldungsniveau auch in einem Land mit der Möglichkeit zur Verschuldung in eigener Währung zu raschen, panikartigen Verkäufen an den Bondmärkten. Der ungeordnete Zinsanstieg konnte von der Notenbank nur mit Mühe und Not abgefangen werden.

Risiken für US-Staatsanleihen

Die USA selbst wähnen sich dem Anschein nach weit entfernt von einer möglichen Schuldenkrise. Doch ist die zuletzt vorgenommene Verkürzung der Laufzeiten neu ausgegebener Schuldpapiere durch das US-Finanzministerium ein erstes Indiz für die begrenzte Bereitschaft und Aufnahmefähigkeit des Marktes für länger laufende Staatsschulden. Die verkürzten Laufzeiten erhöhen die Risiken, gehen sie doch mit einem steigenden Refinanzierungsbedarf einher. Gleichzeitig verteuern die über die vergangenen Jahre gestiegen Zinsen die Zinslast erheblich.

Mit ihrem intensiven Einsatz von Sanktionen und Sanktionsdrohungen haben die Vereinigten Staaten zudem die ausländische Nachfrage nach ihren Staatsanleihen dauerhaft und strukturell beschädigt. Einst als sicher und risikofrei wahrgenommenen US-Staatspapieren haftet nun der Makel an, dass Inhaber willkürlich enteignet werden können. Die Nachfrage von Überschussländern in Asien oder den Golfstaaten nach US-Staatsanleihen ist wenig überraschend im Rückzug begriffen.

 

Ergänzend zu den politischen Risiken scheint es auch aus ökonomischer Abwägung heraus für ausländische Käufer wenig attraktiv, in einen Anleihemarkt zu investieren, der auf dem aktuell hohen Verschuldungsniveau wohl über lange Zeiträume hinweg negativer Realzinsen bedürfen wird, um die Schuldentragfähigkeit einigermaßen gewährleisten und eine fortlaufende reale Entschuldung bewerkstelligen zu können.

Mit dem Privileg der Weltreservewährung und konkurrenzlos liquiden Märkten in US-Treasuries kann der Status Quo möglicherweise auch ohne Kriseneintritt noch eine Zeitlang aufrechterhalten werden. Doch sind die Risiken aus den aufgebauten Ungleichgewichten klar zuungunsten von –insbesondere langlaufenden – Festzinsanlagen verteilt. Mögliche Turbulenzen an den US-Anleihemärkten würden mit hoher Wahrscheinlichkeit global ausstrahlen und auch die Euro-Rentenmärkte in Mitleidenschaft ziehen.

Auch in Europa keine Bereitschaft zum Schuldenabbau

Kaum besser ist die Situation der öffentlichen Finanzen in weiten Teilen Europas einzuschätzen. Eine Bereitschaft zum nachhaltigen Schuldenabbau ist in der Eurozone nicht erkennbar, auch hier konterkariert expansive Fiskalpolitik die Bemühungen einer monetären Straffung. Die vereinbarten Schuldenregeln der EU wurden über die vergangenen 20 Jahre weitgehend ignoriert. Es dominiert eine verbreitete Inkaufnahme unsolider Staatsfinanzen, der keine wirksamen Korrektivmöglichkeiten gegenüberstehen. Neuerliche Staatsschuldenkrisen sind ein relevantes Risiko. Daher scheint die dauerhafte Finanzierung von stetig steigenden Sozialausgaben, höheren Rüstungsausgaben und „Green Deals“ kaum im Bereich des realistisch Möglichen, schon gar nicht bei höheren Zinskosten.

Keine geordnete Rückabwicklung von Schuldenexzessen

In diesem Kontext sei an die Erkenntnisse aus den Arbeiten von Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff („This Time is Different“) erinnert. Historisch finden sich keine Beispiele, in denen eine geordnete Rückabwicklung von Schuldenexzessen möglich war. Immer, wenn zu lange über die Verhältnisse gelebt wurde und daraus nicht tragfähige Kredit- und Verschuldungsblasen resultierten, setzte früher oder später ein Vertrauens- und Kontrollverlust ein, der im Ergebnis oft in ungeordneten Szenarien wie Hyperinflation, Zahlungsausfall oder komplettem Wertverlust der Währung mündete.

Das nach wie vor wahrscheinlichste Szenario für den realistischen Pfad des früher oder späten nötigen Schuldenabbaus ist die reale Entwertung durch Inflation. Sämtliche Alternativen (Sparen, Reformen, Steuererhöhungen, Zahlungsausfall) sind politisch unbequem. Finanzielle Repression und Inflation stehen jedoch den Interessen von Anleiheinvestoren entgegen. Neue Runden von Anleihekäufen und der Druck frischen Geldes werden sehr wahrscheinlich zur de facto Monetarisierung der Staatsschulden führen.  

Anleger, die dennoch im Festzinsbereich engagiert sein wollen oder müssen, sind in Zeiten anhaltend hoher Fiskaldefizite (und den Staaten „hilfsbereit“ zur Seite stehender Notenbanken) mit kürzeren Restlaufzeiten grundsätzlich risikoärmer investiert. Inflationsindexierte Anleihen sind grundsätzlich ein Instrument, das partiellen Schutz bieten kann.

Über den Autor:
Bernhard Matthes leitet seit 2007 das Asset Management der Bank für Kirche und Caritas (BKC) in Paderborn und ist unter anderem verantwortlich für den Stiftungsfonds BKC Treuhand Portfolio. Darüber hinaus betreut er Stiftungen und kirchliche Institutionen im Rahmen von Spezialfonds- und individuellen Vermögensverwaltungsmandaten.
 
 

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