private banking magazin: Die Gründung des Finvia Family Offices sorgte 2020 für viel Aufsehen. Laut Slogan sind sie das fortschrittlichste Family Office. Mutig, oder?
Christian Neuhaus: Ein gewisser Mut gehört als Unternehmer dazu. Vor allem aber stellen wir beim Vergleich mit bestehenden Multi Family Offices fest, dass deren Angebot teilweise überholt ist. Heutzutage kann man Kunden nicht mehr klarmachen, dass sie nur monatlich einen Vermögensbericht bekommen, und das dann mit zwei Wochen Verspätung zum Monatsultimo. Die Kundenerfahrungen und -bedürfnisse haben sich weiterentwickelt. In anderen Industrien ist es längst gang und gäbe, dass die Dienstleistungen ständig verfügbar und über mehrere Kanäle zu erreichen sind. Diesen Kundenerlebnissen müssen Family Offices gerecht werden.
Gleichzeitig sind dort viele Prozesse allein durch die Größe sehr analog. Allerdings geht man mit analogen Prozessen immer auch operationelle Risiken ein. Andersherum kann man, wenn man die internen Prozesse wie wir größtenteils automatisiert, die Dienstleistung eines Family Offices auf eine höhere qualitative Ebene hieven. Ich kann mit dem Kunden über Kanäle kommunizieren, die er als modern empfindet und damit seinen Kundenbedürfnissen mehr entsprechen.
Es geht ihnen um die Darreichung der Family-Office-Dienstleistung. Aber was ist mit dieser an sich?
Neuhaus: Das ist der weitere Punkt. Wir sind überzeugt, dass in Deutschland nicht nur Vermögen jenseits von 50 Millionen Euro komplex sind, sondern auch jene mit 5 oder 10 Millionen Euro. Bei Letzteren gibt es aber kaum ein Angebot der Finanzindustrie, wenn es um das Orchestrieren der verschiedenen Vermögenssilos wie Unternehmensbeteiligung, Immobilien, die verschiedenen Vermögensverwalter und das Thema Vermögensübertrag in die nächste Generation geht. Dadurch, dass wir modernste Technik nutzen, ist es uns möglich, die Dienstleistungen eines Family Offices mehr Kundengruppen anzubieten.
Torsten Murke: Ein Teil der Professionalisierung der Family Offices ist ja auch, dass deren Nachfrage zunehmend institutionell wird. Große Familien verhalten sich bereits wie institutionelle Anleger, haben ähnliche Strukturen, investieren mittels eines Ansatzes, den man sonst aus dem Asset-Liability-Management kennt. Aktiva werden den Liquiditätserfordernissen und Zahlungsverpflichtungen gegenübergestellt. Der institutionelle Investor will abends wissen, wo er nach Schluss der Märkte steht. Das wollen vermögende Familien und deren Family Offices auch. Heißt: Als Dienstleister muss ich jederzeit in der Lage sein an jedem Ort – Familien sind heute weit über den Erdball verteilt – einen transparenten Vermögensausweis zu bieten. Und das im ständigen Abgleich mit der strategischen Vermögensallokation. Nichts anderes als das Asset-Management der Institutionellen.