Solange Clermond von Candriam „Wir können nur verwalten, was sich messen lässt“

Solange Clermond wechselte 2016 aus dem Private Banking der ING in Luxemburgzu Candriam.

Solange Clermond wechselte 2016 aus dem Private Banking der ING in Luxemburg zu Candriam.

private banking magazin: Was bereitet Ihnen am meisten Sorgen: die Lieferketten in China, die hohe Inflation, eine gestraffte Geldpolitik oder der Krieg in der Ukraine?

Solange Clermond: Die gesamte Situation ist besonders, weil alles zur gleichen Zeit passiert. Aktien und Staatsanleihen sind gleichzeitig im Minus. Sowas geschieht nicht oft. Eine ähnliche Situation gab es das letzte Mal 1994 in den USA: Die Fed straffte ihre Geldpolitik drastisch. Das verlangsamte den Konjunkturzyklus – am Ende hat es sich aber gelohnt. Ende der 1990er-Jahre gab es dann wieder Wachstum. Am Ende wird eben doch immer alles gut.

Das beruhigt. Nur: Was sollten Investoren in der Zwischenzeit tun?

Clermond: Lieber in Multi Asset und aktiv gemanagte Produkte investieren. Wieso? Stellen Sie sich vor, Sie investieren jetzt in einen US-Aktienfonds. Dieses Universum hat zwar in den vergangenen Jahren gut performt, ist aber global gesehen einfach zu klein, um mit dem derzeitigen viel größeren Wirtschaftswandel klarzukommen. Mit Multi Asset klappt das besser als nur mit Anleihen, Krediten oder US-Aktien.

Warum das aktive Management? Breite ETFs waren aufgrund ihrer Kostenvorteile in jüngster Zeit gefragt.

Clermond: In solch besonderen Situationen braucht es Spezialisten für eine aktive Selektion – gute Spezialisten. Und es kommt natürlich auf jeden einzelnen Asset Manager selbst an, ein guter Spezialist mit einem Mehrwert für Investoren zu sein. Ein ETF kann quantitative Kriterien relativ einfach abbilden, aber eben nicht qualitative Kriterien, wie sie bei Artikel-9-Fonds benötigt werden.

Wie geht ein guter Spezialist vor, wenn Aktien und Anleihen gleichzeitig keine Erträge liefern?

Clermond: Zunächst akzeptiert er, dass es insgesamt weniger Wachstum gibt. Aber es gibt noch genug Möglichkeiten, um die Situation zu meistern: Schwellenländer beispielsweise sind interessant, weil China etwa den Boden erreicht haben dürfte. China ist eines der wenigen Länder, bei dem es noch eine expansive Geldpolitik gibt. Auch defensive Sektoren wie das Gesundheitswesen oder Basiskonsumgüter kommen infrage. Der Telekommunikationssektor ist dagegen zu verschuldet – und mit höheren Zinsen wiegen diese Schulden schwerer.

Ist Ihnen also eine Welt mit niedrigen Zinsen lieber oder eine Welt nach einer möglichen Zinswende?

Clermond: Das kommt drauf an. Für meinen Hauskauf ist Ersteres besser, für mein Sparkonto Letzteres (lacht). Aus Investmentsicht: Bei niedrigen Zinsen wird das Wachstum angekurbelt. Das hat in den vergangenen zehn bis zwölf Jahren Unternehmen wie Amazon oder Netflix geholfen, ohne die ich nicht mehr leben möchte. Dies wäre vermutlich nicht der Fall gewesen, wenn die Zinsen viel höher gewesen wären. Mittlerweile hat sich das Blatt aber gewendet. Mit höheren Zinsen müssen wir wieder mehr auf die Qualität achten.

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Die Fed hat die Zinswende eingeläutet, die Europäische Zentralbank könnte folgen. Gelingt der Kurswechsel?

Clermond: Die entscheidende Frage ist, ob die Fed bei der Geldpolitik eine sanfte Landung schafft oder ob es eben doch eine Bruchlandung wird. Die Definition von sanfter Landung umfasst dabei nicht nur die Geldpolitik und Preisstabilität an sich, sondern auch die Verhinderung einer tiefen Rezession.

Was verändert die Zinswende auf der Anleiheseite einer Multi-Asset-Strategie?

Clermond: Bei Staatsanleihen ist neben Einschnitten auf der Wachstumsseite natürlich auch die Inflation entscheidend. Vor diesem Hintergrund haben wir die durchschnittlichen Durationen bei US-Papieren jüngst erhöht – obwohl wir bei Candriam eigentlich eher niedrige Durationen einsetzen. In Europa werden ähnliche Schritte zeitversetzt folgen. Letztendlich müssen aber mehrere Faktoren analysiert werden: Die Reaktion der Zentralbanken ist wichtig, aber auch die Situation in China ist entscheidend. Die Zero-Covid-Politik funktioniert nicht. Wenn das Wachstumsziel erreicht werden soll, muss sich die chinesische Zentralbank etwas Kluges einfallen lassen.

Während in China das Thema Corona akut bleibt, ist es hier eher der Krieg ...

Clermond: ... der den aktuellen Wirtschaftszyklus beschleunigt hat. Wenn es den Krieg nicht gegeben hätte, wäre auch die Problematik in China nicht so entscheidend. Der Krieg hat die Inflationstendenzen verstärkt – und wir haben bisher nicht einmal alles gesehen. Denn woher soll auf einmal Weizen kommen?