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Governance-Expertin im Interview „Wir drücken unsere Unzufriedenheit aus“

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Sie haben regionale Unterscheide beim Thema Vielfalt angesprochen. Gibt es diese auch beim Thema Unternehmensführung insgesamt?

Winner: Ja, wir sind auf 71 Märkten tätig und es gibt erhebliche Unterschiede. Diese berücksichtigen wir auch in unseren Regeln für die Stimmabgabe. In Japan liegt der Fokus zum Beispiel auf strategischen Kreuzbeteiligungen. Das ist spezifisch für das Land. In Europa ist Diversität schon seit vielen Jahren ein Thema. Es gibt verschiedene Quoten in verschiedenen Ländern, wie viele Frauen im Vorstand vertreten sein müssen. Das ist anders als in den USA. Deswegen stimmen wir uns eng mit unseren Investmentteams vor Ort ab, um unsere Prozesse auf dem neuesten Stand zu halten.

Sie haben Ihr Team in Europa jüngst verstärkt. Ist das ein Zeichen, dass das Thema Unternehmensführung künftig noch mehr Gewicht bekommt?

Winner: Ja, das ist so. Wir wollen Stewardship noch stärker in unseren Investmentprozess integrieren. Mit Jen Sisson als Head of Stewardship für die Region Europa, Naher Osten und Afrika haben wir jetzt noch eine stärkere Stimme und können weiteren Organisationen beitreten. Unser Team in der Region Asien/Pazifik ist zum Beispiel jüngst dem 30%-Club in Japan beigetreten, der sich für mehr Vielfalt in der Unternehmensführung einsetzt. Jen wird uns helfen, unsere Themen nach vorne zu bringen.

Während der Corona-Pandemie war es schwierig, direkt mit den Verantwortlichen der Unternehmen in Kontakt zu treten. Wie hat das Ihre Arbeit verändert?

Winner: Die Pandemie hat viele Herausforderungen mit sich gebracht, aber auch neue Möglichkeiten. Digitale Kommunikationsmittel wie Zoom haben sich etabliert. Und da niemand gereist ist, haben sich mehr freie Termine ergeben. Unser Engagement war auf jeden Fall nicht geringer, die Gespräche haben sich aber etwas verändert. Der Fokus hat sich in Richtung sozialer Themen verlagert. Pandemierichtlinien, wie man mit Beschäftigten und Stakeholdern umgeht: Das waren ebenso substanzielle Themen wie psychische Gesundheit und Kinderbetreuung. Ich denke, allen ist bewusst geworden, dass es bei Nachhaltigkeit nicht nur um die Umwelt geht.

Sie sagten, dass soziale Themen in den Vordergrund gerückt sind. Werden sie auch nach der Pandemie prägend bleiben?

Winner: Ja. Wir haben Unternehmen während der Pandemie eine Reihe von Fragen gestellt: Wie haben sie die Zusammenarbeit gemanagt? Welche Veränderungen haben Sie während der Pandemie in die Wege geleitet, von denen Sie denken, dass sie die Pandemie überdauern werden? Die Antworten reichten von einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten bis hin zu einer Abkehr von der typischen Fünf-Tage-Arbeitswoche. Außerdem ist das Verständnis gewachsen, dass Leute auch zu Hause produktiv arbeiten. Flexibilität ist auf jeden Fall auf dem Vormarsch.

Besonders interessant ist aber, dass sich auch die Recruiting-Anstrengungen verändert haben. Wenn nicht alle an einem Ort arbeiten müssen, kann man wesentlich besser Talente aus anderen Regionen rekrutieren. Das wäre vorher vielleicht nicht so einfach möglich gewesen. Denn: Nicht jeder möchte in London oder auch hier New York leben – selbst wenn ich als New Yorkerin mir das kaum vorstellen kann, weil es die schönste Stadt der Welt ist. Aber wenn eine Firma dort ihren Sitz hat, hat sie vorher vielleicht Talente verpasst, die nicht dort leben wollen. Deswegen ist das jetzt eine großartige Chance für Unternehmen. 

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