Aus der CFP-Praxis Wie Genogramme bei der Beratung von Familien helfen

Vater und Sohn schauen in die weite Landschaft North Dakotas

Vater und Sohn schauen in die weite Landschaft North Dakotas: Für die Generationenberatung gibt CFP und MLP-Berater Mitja Ganz Tipps. Foto: Imago Images / Cavan Images

Ob beim fachlichen Austausch oder bei der Einbindung von Rechtsanwalt, Notar und Steuerberater: Mir fällt regelmäßig auf, welch enormen Nutzen eine detaillierte Familienübersicht – im Fachjargon auch „Genogramm“ genannt – für die Generationenberatung stiften kann. Überraschend häufig wird allerdings auf die Verwendung des Modells verzichtet.

Das liegt möglicherweise auch daran, dass die Komplexität und der daraus entstehende Mehrwert unterschätzt werden. Kein Wunder, würden doch wahrscheinlich die meisten intuitiv behaupten, dass sie in der Lage sind, ihre eigene Familie innerhalb weniger Minuten aufzuzeichnen und den jeweiligen Mitgliedern die wesentlichen Eigentumsverhältnisse zuzuordnen.

 

Doch viele Leserinnen und Leser werden bei dieser Beschreibung die Stirn kräuseln: Sie ahnen, wie komplex eine solche Darstellung werden kann, besonders bei Familienverhältnissen im Patchwork-Schema oder bei unterschiedlichen emotionalen Bindungen, inklusive eventuell vorhandener Vollmachten, Testamente, Patientenverfügungen oder Eheverträge im Familienverbund. Allein diese Skizzierung kann bereits über eine Stunde in Anspruch nehmen.

Beginnt man nun noch die Assets genau aufzugliedern, stellt sich die Frage nach der genauen Vermögenszuordnung und eventuell auch dem Zeitpunkt von Schenkungen oder Käufen, um steuerliche Fristen zu kennen und zu nutzen. Im Genogramm können außerdem noch zahlreiche weitere Aspekte beleuchtet werden, wie die Sachwertquote zur Bekämpfung der Inflation, Schwankungsbreiten zur Risikosteuerung oder kapitalgebundene versus liquide Assets in der Vermögensstruktur.

Das zeigt: Eine solche Übersicht ist nicht schnell mal eben angefertigt und außerdem alles andere als banal in ihrer Aussagekraft – höchste Zeit also zum Umdenken!

Praxisbeispiel: Familie Helfreich

Um die Theorie besser zu verdeutlichen, habe ich Ihnen einen Praxisfall mitgebracht. Meine Kundenfamilie Helfreich besteht im Kern aus dem Ehepaar Helfreich, beide Ende 40, und ihren drei Söhnen. Er ist niedergelassener Facharzt und sie arbeitet in der Praxis mit, die hervorragend läuft. Seit Niederlassung darf sich Herr Helfreich über steigende Gewinne und aktuell etwa 850.000 Euro Brutto-Jahresgewinn freuen. So ist über die Jahre ein Immobilien- und Anlagenportfolio entstanden, in das nun nach und nach auch die nächste Generation eingebunden werden soll.

Die repräsentative Praxisimmobilie gehört Frau Helfreich, die damit erhebliche Mieteinnahmen erzielt. Herr Helfreich hat außerdem eine Schwester, mit der er zwei Mehrfamilienhäuser geerbt hat. Sohn Tom war liiert und hat eine Tochter, lebt aber nun getrennt von Mutter und Kind. Sicher konnten die meisten Leserinnen und Leser anhand der Beschreibung die Familie gedanklich visualisieren. Anschließende Fragestellungen können aber herausfordernd und zeitintensiv sein. Beginnen wir also zunächst mit einer simplen Skizze der Kernfamilie:

Abbildung 1: Genogramm der Kernfamilie Helfreich

Abbildung 1 MLP
Abbildung 1: Genogramm der Kernfamilie

Die Übersicht kann dann in einem nächsten Schritt um die erweiterte Familie – also Eltern, Geschwister und Enkelkinder – ergänzt werden (siehe Abbildung 2). Schon allein dieses Genogramm hilft dabei, die Familienkonstellation und erste mögliche Fragezeichen zu erkennen. Beziehungen können farblich markiert und damit schnell greifbar gemacht werden. Grün bedeutet „ideal“, gelb „neutral, eingeschränkt“ und rot „gestört“.

Die gestrichelte Linie zwischen Tom und Lisa zeigt an, dass die beiden getrennt sind. Da Opa Helfreich bereits leider verstorben ist, ist er im Genogramm ausgegraut. Außerdem ergänzt ist der jeweilige Status zu Testament (T), Vorsorgevollmacht (VoV) sowie Patientenverfügung (PV). Auf einen Blick wird ersichtlich, dass es etliche nicht vorhandene (rot markiert) oder zu prüfende, eventuell veraltete rechtliche Regelungen (gelb markiert) gibt.

Ampelsystem offenbart Handlungsbedarf

Vielen wird erst bewusst, dass auch jüngere Menschen Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen benötigen, wenn sie im Krankenhausflur stehen und Informationen zum Zustand ihres verletzten volljährigen Kindes erfragen möchten. Mit diesem einfachen Ampelsystem ist für die Familie aber sofort sichtbar, dass bei ihren Kindern Handlungsbedarf besteht.

Abbildung 2: Genogramm der erweiterten Familie mit Kennzeichnung rechtlicher Regelungen

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Abbildung 2: Genogramm der erweiterten Familie mit Kennzeichnung rechtlicher Regelungen

Kommen wir nun zu einem weiteren sehr spannenden Teil, dem Vermögen und der Liquidität der Familie (siehe Abbildung 3). Das Vermögen ist hier für die Kernfamilie mit knapper Auflistung nach Anlageklassen dargestellt. Für das Ehepaar Helfreich ist jeweils das eigene und die Hälfte des gemeinsamen Vermögens ermittelt, um Störfaktoren wie nicht ausgenutzte Freibeträge, zum Beispiel im Erbfall, zu erkennen.

Die Gliederung des Vermögens in die drei Töpfe Kapitalrücklage (orange), Kapitalanlage (rot) und Kapitalbindung (blau) bringt wichtige Erkenntnisse zur freien Liquidität. Im Fall der Helfreichs ist sie aufgrund gerade erfolgter Steuernachzahlungen recht gering und sollte in nächster Zeit im Blick behalten werden.

 

Auch die Perspektivenvielfalt kann mithilfe des Genogramms wunderbar nachvollzogen werden. So kann beispielsweise, je nach Bedarf, die Position der Ehefrau, eines Kindes oder der Eltern eingenommen werden. Hier wird klar, dass in einem „Katastrophenfall“ wie dem Versterben der Eltern Max und Susi sowie ihres ältesten Sohns Tom (zum Beispiel bei einer gemeinsamen Reise), Enkelin Ida Sorglos erben würde.

Da Tom über kein Testament verfügt, wäre bis zu Idas Volljährigkeit automatisch ihre Mutter Lisa die entsprechende Vertreterin – was vermutlich zu einer schnell überforderten Erbengemeinschaft mit Denis und Nils führen würde. Apropos Erbengemeinschaft: Agnes und Max haben bisher als GbR zwei Mehrfamilienhäuser, die nahezu wertgleich sind. Würde das aktuell gute Verhältnis gestört, wären in der notwendigen Einstimmigkeit in der Erbengemeinschaft Herausforderungen zu vermuten.

Abbildung 3: Genogramm mit Kennzeichnung rechtlicher Regelungen und Liquidität/Vermögen

Abbildung 3 MLP
                                                       Abb. 3: Genogramm mit Kennzeichnung rechtlicher Regelungen und Liquidität/Vermögen

Im konkreten Fall hat das Genogramm zu mehreren Überlegungen geführt:

  • Erstens könnte die Familie mithilfe eines Rechtsanwalts ihre rechtlichen Regelungen überprüfen bzw. ergänzen – besonders die Vollmachten der Kinder und das Testament von Max und Susi in Hinblick auf ihre Enkeltochter Ida.
  • Zweitens können Max und Agnes in Betracht ziehen, ihre Erbengemeinschaft zu trennen, je nachdem, ob die beiden Mehrfamilienhäuser in Familienbesitz bleiben sollen und welche Pläne Agnes für die Zukunft hat. Beispielweise wäre eine Übertragung an Tom, Denis und Nils denkbar. Hier sollte für minderjährige Erben über eine Testamentsvollstreckung nachgedacht werden.
  • Drittens sollten auch die finanziellen Aspekte des Paars nicht außer Acht gelassen und wieder mehr Liquidität gebildet werden. Das Genogramm entwickelte sich über Monate, wenn nicht sogar über Jahre hinweg zum gemeinsamen „Arbeitsbuch“ und zur Sammlung und Visualisierung aller Fragestellungen und Themen – so konnte ich meine Kundenfamilie nicht nur sprichwörtlich, sondern ganz buchstäblich in den Mittelpunkt der Beratung stellen. 

Mitja Ganz
                       Mitja Ganz
                         © MLP

Über den Autor:

Mitja Ganz ist Certified Financial Planner (CFP) und seit 2000 für MLP als Berater in Bayreuth sowie Hof tätig. Im Schwerpunkt berät er Freiberufler zu allen relevanten Finanzthemen. Seit 2008 nimmt er am Wettbewerb „Finanzberater des Jahres“ des Fachmagazins Euro teil – jedes Mal hat er es in die Top 50 geschafft und war 13 Mal sogar unter den zehn Besten. 

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