Fusionsfieber im genossenschaftlichen Bankensektor in Deutschland: Fast monatlich machen Nachrichten zu angedachten, vollzogenen oder geplatzten Übernahmen zwischen Volks- und Raiffeisenbanken und Co. die Runde.
2023 ging die Zahl der genossenschaftlichen Institute laut Bundesbank um gut fünf Prozent auf 697 zurück, 2022 bereits in ähnlicher Größenordnung. Zwischen 2019 und 2023 verschwanden jährlich zwischen 26 und 45 Institute durch Fusionen vom Markt.
Damit spielt der Geno-Sektor eine entscheidende Rolle bei der Konsolidierung der deutschen Bankenlandschaft, denn die M&A-Dynamik ist hier ungleich höher als im Sparkassen- und privaten Bereich.
Fusionen erreichen eine neue Dimension
Während die Dynamik quantitativ betrachtet durchaus hoch bleibt, erreicht sie qualitativ gerade ein neues Niveau. Denn in den vergangenen Jahren waren es in der Regel regional direkt benachbarte Institute, die sich zusammenschlossen oder dies zumindest beabsichtigten.
Inzwischen schauen die Banken bei der Suche nach geeigneten Kandidaten deutlich über den regionalen Tellerrand hinaus. Beispielsweise haben die Volksbank Mittelhessen und der VR-Bankverein Bad Hersfeld-Rotenburg aus Nordhessen einer Fusion zugestimmt. Die BB Bank aus Karlsruhe und die PSD Berlin Brandenburg, die mehrere hundert Kilometer voneinander entfernt liegen, bereiten ebenfalls ihren Zusammenschluss vor.
Vielfältige Interessengruppen schaffen ein komplexes Umfeld
Die Dynamik dürfte auf absehbare Zeit hoch bleiben, zeigt eine Umfrage des Genoverbandes unter Bankvorständen. Gleichzeitig werfen Fusions- und Übernahmepläne bei den einzelnen Beteiligten eine Vielzahl an Fragen auf:
- Mitarbeitende sorgen sich beispielsweise um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze.
- Kunden – im Fall der Geno-Banken gleichzeitig auch Mitglieder – sind verunsichert, was die künftige Versorgung mit den gewohnten Dienstleistungen und Produkten angeht. Sie fragen sich möglicherweise auch, ob Verträge weiterhin Bestand haben.
- Hinzu kommt angesichts der engen örtlichen sowie organisatorischen Verflechtung die Politik als wichtige Interessengruppe. Landräte, Oberbürgermeister, Kreis- und Stadträte wollen die Versorgung mit Bankdienstleistungen sowie Arbeitsplätze in ihrem Zuständigkeitsbereich sichergestellt wissen. Gleichzeitig möchten sie Volks- und Raiffeisenbanken und Co. als tragende Säulen vieler sozialer und sportlicher Aktivitäten vor Ort erhalten.
- Medien in ihrer Funktion als Multiplikatoren nehmen all diese Fragen auf, verstärken sie und hinterfragen die grundsätzliche Sinnhaftigkeit der Fusionsvorhaben.
Es handelt sich also nicht nur um ein Umfeld mit vielen unterschiedlichen Interessengruppen, sondern diese sind teils auch sehr spezifisch – bedingt durch die Struktur der Geno-Banken. Mögliche Fragen und Vorbehalte dieser Gruppen vorauszudenken und in jeder Phase des Transaktionsprozesses zu adressieren, ist für eine erfolgreiche Umsetzung entscheidend.
Alle Interessengruppen in allen Prozessphasen adressieren
Zwar ist jede Transaktion anders. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es insbesondere mit Blick auf eine glaubhafte Kommunikation wiederkehrende Herausforderungen sowie bewährte Lösungsansätze gibt. Dazu zählen unter anderem folgende Aspekte, gegliedert nach Phasen im Transaktionsprozess.
Vorbereitung:
Nur wer seine Interessengruppen kennt, kann diese richtig adressieren. Daher sollte eine umfassende Analyse den Ausgangspunkt bilden, um die relevanten internen und externen Gruppen sowie deren Bedürfnisse zu kartieren.
Vor allem bei den Geno-Banken gehören hierzu auch die politischen Entscheider vor Ort und deren Anliegen, unter anderem Bargeldversorgung, Filialdichte, Arbeitsplätze und Sponsorings.
Hinzu kommt im Rahmen der Due-Diligence-Prüfung auch eine kulturelle Betrachtung der Organisationen – inklusive Analyse der internen Veränderungsbereitschaft einschließlich potenzieller Hürden, um einen wirksamen Veränderungsprozess zu entwickeln.
Überzeugendes Narrativ entwickeln
Auf Basis dieser Gesamtschau heißt es im nächsten Schritt, ein Narrativ zu entwickeln. Ziel dessen ist, die strategische Sinnhaftigkeit des Fusionsvorhabens darzulegen und dafür überzeugende Belege anzuführen. Die Argumente gilt es auf die einzelnen Interessengruppen individuell anzupassen, um jeweils insbesondere die Vorteile für Kunden, Mitarbeitende und regionale Öffentlichkeiten zu betonen. Neben den Inhalten sind hier auch die individuelle Form und Sprache entscheidend, um die Botschaften glaubhaft zu platzieren.
Welche Wirkung bei den jeweiligen Zielgruppen – intern und extern – erzielt werden soll und auf welchem Weg dies geschehen soll, wird vorab genau definiert.
Ein Zeitplan mit konkreten taktischen Maßnahmen, zuständigen Sprechern, geeigneten Kommunikationswegen und -formaten sowie klaren Verantwortlichkeiten dient dabei als Fahrplan, um die Kommunikationsstrategie wirksam umzusetzen.
Hierzu zählen hauptsächlich nach innen gerichtete Aktivitäten, um das Engagement der Führungskräfte und Mitarbeitenden zu fördern. Auch Kanäle für Fragen und Feedback, um mögliche Unsicherheiten ansprechen zu können, gehören dazu.
Ankündigung:
Entscheidend ist, den laufenden Geschäftsbetrieb über die Ankündigung hinaus sicherzustellen. Daher kommt es in dieser Phase auf eine konsistente, orchestrierte Kommunikation an – mit besonderem Schwerpunkt auf dem Management politischer Interessengruppen, Führungskräfte- und Mitarbeiterinformation sowie Medienaktivitäten.
Inhaltlich sollte im Fokus stehen, die Geschäftsaussichten und Vorteile insbesondere für Kunden beziehungsweise Mitglieder und Belegschaft zu vermitteln.
Wichtig dabei ist, ergebnisoffen zu kommunizieren, sprich die Transaktion nicht bereits als in trockenen Tüchern („Done Deal“) zu positionieren. Denn dass es am Ende doch nicht zum Abschluss kommt, ist keine Seltenheit.
Insofern sollte die Kommunikation in dieser Phase keine allzu überschwängliche Euphorie, sondern eher eine dosierte positive Aufbruchstimmung verbreiten.
Vollzug und erste 100 Tage:
Der Austausch mit zentralen Interessengruppen, vornehmlich mit politischen Interessengruppen sowie Führungskräften und Mitarbeitenden, sollte auch nach der Ankündigung unbedingt fortgesetzt werden.
Dabei hilft ein Integrationsfahrplan inklusive messbarer Meilensteine, Verantwortlicher und Botschafter beider Unternehmen. Zudem gilt es, eine gemeinsame Zielkultur für beide Unternehmen zu skizzieren.
Den Führungskräften kommt dabei und bei der Umsetzung des Zielbildes eine zentrale Rolle zu. Damit sie dem gerecht werden können, sind Trainings essenziell, die den Managern ihre eigene Rolle und die Erwartungen an sie verdeutlichen, was die Unterstützung im Integrationsprozess sowie die Begleitung des Kulturwandels angeht.
Mit Blick auf die Mitarbeitenden ist eine fortlaufende interne Veränderungskommunikation inklusive regelmäßiger Dialogangebote wichtig.
Integration:
Auf dieser Basis geht es dann daran, den Integrationsfahrplan umzusetzen und den Kulturprozess zu initiieren, der das Führungsteam sowie die Mitarbeitenden einbindet. Fortschritte im Zuge der Integration sollten regelmäßig gegenüber internen und externen Interessengruppen kommuniziert werden.
Parallel dazu gilt es, das fusionierte Unternehmen zu profilieren und das neue, kombinierte
Führungsteam bei relevanten Entscheidungsträgern und in Medien zu positionieren.
Dem „Harvard Business Review“ zufolge verfehlen gemäß diversen Studien 70 bis 90 Prozent aller Integrationsprojekte in Unternehmen die geplante Kapitalrendite. Die Hauptgründe dafür sind mangelhafte Integrationsprozesse und kulturelle Differenzen, die nicht ausgeräumt werden. Kommt es dann noch zu Marktverwerfungen, können die beteiligten Unternehmen durch die intern nicht bewältigten Aufgaben schnell in die Defensive geraten.
Dies gilt auch für genossenschaftliche Häuser. Die Tatsache, dass diese in der gleichen Region beheimatet sind, bedeutet noch lange nicht, dass sie vergleichbare Organisationskulturen besitzen. Vielmehr gibt es auch unter den Genossenschaftsbanken einer Region dahingehend teils ganz unterschiedliche Prägungen.
Politische und unternehmerische Aspekte sollten gesamthaft betrachtet werden
Andere Transaktionsvorhaben werden gar nicht erst vollzogen, sondern vorher abgebrochen. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen meist in den Geschäftsmodellen, in der Kundenbasis und in den Vertriebsschwerpunkten. Auch Aspekte wie zu unterschiedliche strukturelle Aufstellungen oder Vorstellungen in Bezug auf die künftige Organisation, Infrastruktur oder Gremienbesetzung sind denkbar.
Was auch immer die genauen Gründe im Einzelnen sein mögen: Sie sind oftmals eine Melange aus objektiven ökonomischen und subjektiven Aspekten. Dementsprechend ist eine sorgfältige Prüfung der Finanzen, Geschäftsmodelle und Kundenstrukturen entscheidend, genauso wie eine tiefgreifende Analyse der Kultur beider Unternehmen und der Dialog zu künftigen Verantwortungsbereichen.
Fusionsabsagen sollten keine verbrannte Erde hinterlassen
Trotz sorgfältiger Anbahnung inklusive Interessenvermittlung kommt es auch im Geno-Sektor vor, dass die Parteien sich am Ende doch nicht handelseinig werden. Angedachte Fusionen abzusagen, ist delikat, denn mitunter sind bei entscheidenden Interessengruppen bereits Erwartungen geweckt worden. Daher braucht es auch dann eine professionelle Kommunikation, die drei Ziele im Blick hat:
- erstens die Glaubwürdigkeit der beteiligten Institute zu schützen.
- Zweitens keine Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der Häuser in eigenständiger Aufstellung aufkommen zu lassen.
- Und drittens keine verbrannte Erde zu hinterlassen, denn dies könnte künftige Fusionsvorhaben belasten oder gar verbauen.
Darüber hinaus ist bei genossenschaftlichen Instituten zu bedenken, dass diese in der Öffentlichkeit nicht isoliert betrachtet werden, sondern als Teil des Geno-Sektors. Es sollte also viertens darum gehen, negative Abstrahleffekte zu vermeiden.
Darüber hinaus gilt grundsätzlich: Werden Fusionsgespräche beendet, ist eine abgestimmte Kommunikation beider Parteien in den meisten Fällen einer separaten vorzuziehen – auch wenn dies mit einem Ringen um die Deutungshoheit und die bessere öffentliche Wahrnehmung einhergeht.
Fazit
Erfahrungen aus bisherigen Transaktionsvorhaben bei Geno-Banken zeigen, dass hier bezüglich Kommunikation und Management des Veränderungsprozesses Optimierungspotenzial herrscht. Dieses bietet sich in allen Phasen des Transaktionsprozesses, von der Vorbereitung über die Ankündigung und den Abschluss bis hin zur nachgelagerten Integration.
Im Vorfeld gilt es, die Interessen der relevanten Stakeholder genau zu kartieren und kulturelle Aspekte in die gegenseitige Prüfung einzubeziehen. Zentral ist eine umsichtige Kommunikationsstrategie, die über die bloße Ankündigung hinaus vorausplant und unterschiedliche Szenarien beziehungsweise Ergebniskonstellationen berücksichtigt.
Darüber hinaus sollte das Narrativ nicht nur wirtschaftliche Aspekte abdecken, sondern auch regionale Interessen und Interessen der Mitarbeitenden adressieren. Vor allem sollte es nicht absolut klingen, sondern Flexibilität für den Verhandlungsprozess und das Ergebnis der Fusionspläne erhalten.
Quellen:
Statista und Harvard Business Review
Über die Gastautoren:
Carolin Amann ist Managing Director und Leiterin Financial Services im Bereich Strategische Kommunikation bei FTI Consulting in Deutschland. Sie berät deutsche Unternehmen vom KMU bis zum DAX-Konzern sowie internationale Unternehmen in allen Aspekten der strategischen Kommunikation und CxO-Positionierung, Finanzkommunikation und Investor Relations.
Carsten Lootze ist Senior Director im Bereich Strategische Kommunikation bei FTI Consulting in Deutschland. Der ehemalige Finanz- und Wirtschaftsjournalist ist spezialisiert auf integrierte Kommunikation für Finanzdienstleister. Sein Fokus liegt auf Unternehmens- und Führungskräftepositionierung, Produktkommunikation und Vertriebsunterstützung.