Diskussion um Staatsverschuldung Wie ein Fondsmanager die Modern Monetary Theory erfand

Christoph Kind

Christoph Kind: Der Investmentchef von Marcard, Stein & Co. klärt über die Anfänge der Modern Monetary Theory auf. Foto: Marcard, Stein & Co.

Es kommt nicht oft vor, dass ein ehemaliger Hedgefondsmanager zum Ideengeber der politischen Linken wird. Doch Warren B. Mosler, der mit seinen unorthodoxen Theorien vor mehr als 25 Jahren die Grundlagen der sogenannten Modern Monetary Theory (MMT) schuf, ist ein in vieler Hinsicht ungewöhnlicher Zeitgenosse. Die starke Ausweitung der globalen Staatsverschuldung zur Bekämpfung der Pandemiefolgen sehen manche als Beweis, dass die Ideen der MMT inzwischen salonfähig geworden sind. Tatsächlich aber lehnt die große Mehrheit der akademischen Ökonomen die MMT ab und kann dafür auch triftige Gründe ins Feld führen. Der MMT gebührt trotzdem der Verdienst, die Diskussion über die Grenzen der Staatsverschuldung neu entfacht zu haben.

Wer sich auf den amerikanischen Jungferninseln von St. Croix nach St. Thomas begeben will, kann dafür den 30 Meter langen Katamaran benutzen, der 2017 vom US-Amerikaner Warren B. Mosler als Passagierfähre entworfen wurde. Der 71-jährige hat sich in St. Croix zur Ruhe gesetzt und kann auf ein abwechslungsreiches berufliches Leben zurückblicken. 1985 hatte er in den USA seine eigene Automobilfirma Mosler Automotive gegründet und die Sportwagen Consulier GTP und Mosler MT900 entwickelt. Bereits ab 1982 war er als Hedgefonds-Manager tätig und handelte mit Anleihen und Derivaten.

Mosler hat einen Undergraduate-Abschluss als Ökonom und war als Hedgefondsmanager vor allem daran interessiert, wie das Zusammenspiel von Geld- und Fiskalpolitik in der Praxis funktioniert. Weitgehend unbelastet von gängigen ökonomischen Theorien versuchte er die Zusammenhänge zu analysieren und musste feststellen, dass seine Erkenntnisse im Widerspruch zur gängigen Auffassung stehen. Er schloss sich daher 1996 einem Netzwerk von unorthodoxen Ökonomen an, die sich im damals gerade entstehenden Internet austauschten. Sein auch heute noch lesenswerter Aufsatz mit dem Titel Soft Currency Economics wurde im Online-Forum Post Keynesian Thought kontrovers diskutiert und bildete den Ausgangspunkt dessen, was heute als Modern Monetary Theory bezeichnet wird.

Ein Staat kann sich durch reine Geldschöpfung finanzieren

Nach dem Amtsantritt von US-Präsident Bill Clinton im Jahr 1993 lag der Fokus der Fiskalpolitik in den USA auf dem Abbau staatlicher Schulden, obwohl die Arbeitslosigkeit in Folge der Rezession in den frühen 1990er Jahren noch relativ hoch war. Mosler attackiert in seinem Papier die Auffassung, dass ein hoher Schuldenstand die Ausweitung der Staatsausgaben verhindert. Wenn der Staat sich nicht weiter verschulden wolle, kann er nach der traditionellen Sichtweise nur das ausgeben, was er durch Steuern einnimmt. Dieses Argument gilt nach Mosler jedoch nicht in einer „Soft Currency“-Wirtschaft, wo das Geld nicht an Gold oder andere Waren gekoppelt ist. Unter diesen Umständen führt eine nicht durch Steuern finanzierte Erhöhung der Staatsausgaben zu einer Erhöhung der Überschussreserven bei den Geschäftsbanken und damit zu einer direkten Ausweitung der Geldmenge. Durch die Emission von Staatsanleihen oder die Erhöhung von Steuern können diese Überschussreserven wieder abgebaut werden – müssen sie aber nicht. Der Staat kann sich auch durch reine Geldschöpfung finanzieren.

Aus Moslers Sicht verschwimmen so die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik. Durch An- oder Verkäufe von Staatsanleihen lässt sich die Geldmenge steuern, und zwar unabhängig davon, ob die Zentralbank dies durch Offenmarktgeschäfte betreibt oder der Staat durch die Emission oder den Rückkauf von Staatsanleihen. Dies ist der Grundgedanke der Modern Monetary Theory (MMT), deren prominenteste Vertreterin aktuell Stephanie Kelton ist.  Ähnlich wie Mosler sieht sie ihre Auffassung der staatlichen Budgetrestriktion nicht als ideologisches Konzept, sondern als eine schlichte Beschreibung der Realität. Und sie versucht klarzustellen, dass ihre Theorie nicht die Grundlage einer unlimitierten Staatsverschuldung ist. In einem Interview mit Mark Levinson formuliert sie dies so: „Wenn ich das Projekt der MMT in einem einzigen Satz beschreiben müsste, würde ich sagen, dass es darum geht, eine künstliche Budgetbeschränkung durch eine reale Inflationsbeschränkung zu ersetzen. Es gibt also Grenzen. Aber die Grenze ist nicht ein vorgegebenes numerisches Niveau oder ein Prozentsatz des Budgets. (…) Das Limit ist die Auswirkung der Ausgaben. Nicht die Ausgaben selbst und nicht das Defizit – die Grenze ist die Inflation. Das ist für MMT von zentraler Bedeutung.“