Arme Anleger Wie der Abstieg vom Staatschuldengipfel gelingen kann

Hans-Jörg Naumer von Allianz Global Investors

Hans-Jörg Naumer von Allianz Global Investors

Die finanzielle Repression ist mittlerweile in aller Munde. Weltweit drehen die Zentralbanken ihre Geldhähne immer weiter auf. Die Anzeichen für einen Abstieg von den Schuldenbergen mit dieser lautlosen Form der Entschuldung mehren sich.

Aber: Kann der Abstieg vom Schuldengipfel wirklich gelingen?  Eine Simulation am Beispiel der Staatsschulden der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten von Amerika verdeutlicht, welcher Weg vor uns liegen kann.

Die Staatsschulden Deutschlands lagen Ende 2012 bei über 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Damit gehört die Bundesrepublik zu den Musterknaben des Euroraums, aber auch sie verletzt das Maastrichter Schuldenkriterium von maximal 60 Prozent deutlich. Es bleibt einiges zu tun, um die Verschuldungssituation zu verbessern.

Kann die finanzielle Repression dabei helfen?

Der Mechanismus ist einfach: Wächst eine Volkswirtschaft stärker als die auf den öffentlichen Schulden liegende Zinslast, dann kann sie aus den Schulden herauswachsen.

Klingt zu schön, um wahr zu sein. Unschön ist nur der – bei eingeschränkten Wachstumsmöglichkeiten – wohl dazugehörende niedrige, um nicht zu sagen im Idealfall negative Realzins (das heißt nach Abzug der Inflation).

Wann also wurde Deutschland die Schuldenobergrenze des Maastricht-Kriteriums von 60 Prozent wieder erreichen? Und: Wann könnte dies für die USA der Fall sein? Die USA liefern übrigens den historisch bedeutsamsten Beleg für eine „erfolgreiche“ finanzielle Repression: Da sie längst an der Schuldenobergrenze angekommen sind, wird in einem weiteren Schritt auch für sie die Wirkung dieser lautlosen Entschuldung untersucht.

Variante 1:

Beispiel Deutschland. In einem ersten Schritt werden folgende Annahmen unterstellt:

  • Ein zukünftiges, langjähriges (strukturelles) Wachstum von 1,5 Prozent pro Jahr,
  • eine durchschnittliche Rendite auf die Staatsanleihen über alle Laufzeiten von 2 Prozent und
  • ein ausgeglichener Primarhaushalt – das heißt ein öffentlicher Haushalt, bei dem lediglich die staatlichen Ausgaben den Einnahmen gegenübergestellt werden, ohne Zins- und Tilgungsleistungen zu berücksichtigen.

Konkret für Deutschland knüpfen 1,5 Prozent BIP-Wachstum an den Durchschnitt der vergangenen Jahre an. Dabei werden die zwischenzeitlichen Boom-Jahre ausgeklammert, da mit einer Wiederholung dieser Wachstumsraten gerade im Kontext der Entschuldung kaum zu rechnen ist.

Die durchschnittliche Rendite liegt über der aktuellen Rendite für 10-jahrige Bundesanleihen (Stand: Mai 2013). Zu einem Teil wird dies der Rendite von Anleihen mit längerer Laufzeit (und höherer Rendite) geschuldet. Zum überwiegenden Teil wird aber unterstellt, dass es zumindest zu einer ansatzweisen Normalisierung der Magerrenditen über die Jahre kommen kann – dann wenn sich zum Beispiel die Lage im Euroraum mehr und mehr stabilisiert.

Im historischen Kontext wäre diese Rendite aber immer noch niedrig. Zum Vergleich: Wird als Messlatte ein langfristiger, investiver Realzins entsprechend dem realen (!) Wachstum – also 1,5 Prozent pro Jahr – unterstellt und dazu die Inflation von 2,5 Prozent addiert, um zum nominalen Zins zu gelangen, dann läge die langfristige, nominale (!) Rendite eigentlich bei 4 Prozent statt bei 2 Prozent. Von finanzieller Repression konnte also unverändert gesprochen werden.

Am Rande bemerkt: Die Untersuchung berücksichtigt nicht den Fall real übertroffener Inflationserwartungen – im „Idealfall“ einer finanziellen Repression, in der die Inflation nicht per steigender Lohnforderungen, Einkaufspreise oder einem Durchschlag auf die Zinslast zumindest zum Teil weitergegeben werden kann. – Dennoch werden zwei weitere Inflationsszenarien untersucht.  

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Unter den gegebenen Annahmen ist die Schuldenobergrenze von 60 Prozent bei einer Inflationsrate von 2 Prozent – dem Stabilitätsziel der Europäischen Zentralbank – im Jahr 2033 erreicht (siehe Tabelle und Schaubild).  

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Steigt die Inflation auf 4 Prozent, dauert es nur bis 2021. Steigt sie auf 6 Prozent (was nicht unserer Erwartung entspricht), dann lediglich bis 2018.

Variante 2:

Steigt die durchschnittliche Zinsbelastung auf 3 Prozent, dann dauert es bei einer Inflation von 2 Prozent deutlich länger: bis zum Jahr 2075! Ein Inflationsanstieg auf durchschnittlich 4 Prozent pro Jahr verkürzt diese Zeitspanne dramatisch: auf das Jahr 2025. Bei 6 Prozent Inflation wird das Ziel 2019 erreicht.

Entscheidend ist also der Sprung auf über 2 Prozent Inflation. Steigt die Rendite auf 4 Prozent, wachsen die Staatsschulden bei 2 Prozent Inflation unablässig weiter an. Sie geraten außer Kontrolle. Ein Anstieg des realen Wachstums entlastet dabei auf der Schuldenseite deutlich weniger als ein Anstieg der Inflationsrate (siehe Tabelle).  

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Variante 3:

Steigt das Wachstum (bei einer durchschnittlichen Zinsbelastung von 2 Prozent) von 1,5 Prozent auf 2 Prozent, dann verkürzt sich die Rückkehr zur Schuldenobergrenze um fünf Jahre. Verdoppelt sich das Wachstum auf dann 3 Prozent, reduziert sich die Zeitspanne um weitere fünf Jahre.

Der Wachstumseffekt relativiert sich weiter, wenn die Inflation auf 4 Prozent ansteigt. In diesem Fall wird bei einer doppelt so hohen Wachstumsrate wie anfänglich unterstellt die Schuldenobergrenze lediglich zwei Jahre früher erreicht.

Die unterstellten 1,5 Prozent Wachstum im Basisszenario mögen angreifbar sein, vor allem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, die ein zurückgehendes Humankapital als einen der wichtigsten Treiber des Wachstums erwarten lasst.

Was also wäre, wenn im schlechtesten Fall gar kein Wachstum mehr generiert wurde? Bei 2 Prozent Inflation bleiben die Staatsschulden unverändert. Bei 4 Prozent dauert es bis 2028, dass sie auf 60 Prozent sinken, bei 6 Prozent bis zum Jahr 2020.

Kritisch: unausgeglichener Haushalt

Kritisch wird es, wenn bei der Betrachtung die Annahme des erreichbaren Haushaltsausgleichs aufgegeben wird – genauer gesagt, es zu einem Primärdefizit kommt. Ein Primardefizit tritt ein, wenn die Ausgaben des Staates die Einnahmen übersteigen – selbst dann, wenn die Ausgaben für Zinsen und Tilgung nicht angesetzt werden. Was also passiert bei Aufgabe dieser Restriktion (siehe Tabelle)?  

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Varianten 4 und 5:

Kommt es zu einem jährlichen Primärdefizit von einem Prozent, wird das Schuldenziel bei 2 Prozent Inflation nur in „Trippelschrittchen“ und in der fernen Zukunft erreicht.

Bei einem Primärdefizit von 2 Prozent wächst der Schuldenberg ungehindert weiter. Bei 4 Prozent Inflation und einem Primärdefizit pro Jahr von 2 Prozent wird die Schuldengrenze im Jahr 2083 erreicht. Bei 6 Prozent Inflation reduziert sich dieser lange Zeitstrahl dann aber sehr schnell auf das Jahr 2024.  

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USA: Zurück in die Zukunft?

Welches Bild zeichnet sich in den USA? Dort hat es schon einmal bestens funktioniert, vom Schuldengipfel abzusteigen. Rund 40 Jahre – von Anfang der 1940er bis Anfang der 1980er – dauerte es, die Staatsschulden von 122 Prozent in Relation zum BIP in Richtung 35 Prozent Ende der 1970er Jahre abzutragen.

Bezahlt, wenn auch indirekt durch Magerzinsen, haben dies die Gläubiger der Vereinigten Staaten, die ihr Geld in US-Treasuries investiert hatten.

Aktuell ist die Lage nur wenig dramatischer als nach dem 2. Weltkrieg. Der Schuldenberg beläuft sich auf knapp 110 Prozent. Die Schuldenobergrenze von 16,4 Billionen US-Dollar wurde erreicht.

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Wie sieht es hier mit der „lautlosen Entschuldung“ aus? Gibt es ein „Zurück in die Zukunft“, ein Anknüpfen an die Repressionsphase des vorigen Jahrtausends?

Am Beispiel der USA wurde zunächst folgendes Szenario durchgespielt: Es wird ebenfalls zunächst angenommen, dass es kein Primärdefizit gibt, sondern der Primärhaushalt ausgeglichen ist. Eine Konstellation, die die USA allerdings zum letzten Mal in 2001 erreicht hatten.

  • Das Wirtschaftswachstum wird mit real 2 Prozent im Durchschnitt der Jahre unterstellt.
  • Bei der Durchschnittsrendite werden ebenfalls 2 Prozent angenommen.
  • Das Wachstum für die USA wird somit zunächst als leicht hoher angenommen als bei der Simulation für die Bundesrepublik. Dies knüpft an das im Vergleich zu Deutschland höhere Potenzialwachstum an und lässt sich auch mit der besseren demografischen Entwicklung begründen. Bis zum Jahr 2050 wird die Bevolkerung der USA weiter wachsen.

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Variante 1:

Bei einer Inflation und einer Rendite von jeweils 2 Prozent ist eine Schuldenquote von 60 Prozent des BIP im Jahr 2042 erreicht. Steigt die Inflation auf 4 Prozent, dauert es nur bis 2027. Steigt sie auf 6 Prozent, ist das Ziel 2022.  

Variante 2:

Steigt die durchschnittliche Rendite der Staatsanleihen auf 3 Prozent, dauert es bei einer Inflationsrate von 2 Prozent bis zum Jahr 2071. Bei einem Anstieg der Inflation auf 4 Prozent kommt es zu einem deutlich beschleunigten Schuldenabbau. Die 60 Prozent sind 2032 erreicht, bei 6 Prozent Inflation bereits 2024.

Variante 3:

Wird eine unterschiedliche Entwicklung des Wirtschaftswachstums unterstellt, kommt es entsprechend zu längeren oder Kürzeren Zeitraumen des Schuldenabbaus. Kommt es zu einem Rückgang des Wachstums von 2 Prozent auf 1,5 Prozent, dauert der Schuldenabstieg bei 2 Prozent Inflation neun Jahre langer.

Bei 4 Prozent Inflation ist die Auswirkung – aufgrund des deutlich stärkeren Inflationseffektes – deutlich geringer: Die Dauer des Abstiegs verkürzt sich nur um zwei Jahre.  

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Variante 4:

Wird die Annahme aufgegeben, dass ein ausgeglichener Primärhaushalt vorliegt, steigt die Zeit, die es bei 2 Prozent Inflation braucht, bis die 60-Prozent-Schuldenquote erreicht ist, ebenfalls dramatisch:

  • Bei einem Primardefizit von einem Prozent sinkt die Schuldenquote kaum messbar.
  • Bei einem Primärdefizit von 2 Prozent bleibt die Quote unverändert.

Bei 4 Prozent Inflation und einem Primärdefizit von ein Prozent erhöht sich der Zeitraum für die Rückführung auf 60 Prozent gegenüber der Entwicklung mitausgeglichenem Primarhaushalt um sieben Jahre. Wachsen die Schulden um 2 Prozent pro Jahr, dauert es 24 Jahre langer. Bei 6 Prozent Inflation schrumpfen die Zeitraume geradezu: Es braucht dann von 2012 an gerechnet bei einem einprozentigen Primärdefizit dreizehn Jahre bis die 60-Prozent-Hürde erreicht ist. Liegt das Primardefizit bei 2 Prozent, dauert es 18 Jahre.  

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Verstehen. Handeln.

  • Während das Wirtschaftswachstum einen überschaubaren Einfluss auf die Entwicklung der Schuldenquote hat,
  • sinkt diese umso stärker, je stärker die Inflation steigt,
  • beziehungsweise je ausgeglichener sich der Haushalt entwickelt.
  • Dabei scheint die finanzielle Repression den bequemsten Weg zum Abstieg vom Schuldengipfel vorzuzeichnen – für die Staaten, nicht allerdings für die Investoren!
  • Die Untersuchung berücksichtigt nicht die Möglichkeit steigender Anleiherenditen durch steigende Inflationsraten, die die Refinanzierung der Staaten verteuert. Da aber die Zentralbanken vom „Lender of Last Resort“ („Geldgeber letzter Instanz“) zum „Buyer of Last Resort“ („Käufer letzter Instanz“) von Staatsanleihen werden, sollte das Risiko eines Renditeanstiegs überschaubar bleiben.
  • Für Anleger gilt: Wer sich gegen die finanzielle Repression wehren will, muss nach realer Rendite suchen. 

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