Digitalisierung der Finanzbranche, Teil 1 Was der digitale Wandel dem Private Banker zurückgibt

Seite 4 / 4

Wie müssen digitale Kundenerlebnisse aussehen, damit sie den oben genannten Nutzen bringen? Vorausschicken möchte ich an dieser Stelle, dass digitale Kundenerlebnisse flankiert werden müssen von analogen und persönlichen Elementen, ganz im Sinne einer hybriden Beratungsphilosophie. Um heute einen Kunden zu begeistern und motivieren, sich einem Berater ganz zu öffnen, muss man die gesamte Klaviatur der vertrauensbildenden Maßnahmen spielen. Und digitale Kundenerlebnisse gehören heutzutage unweigerlich mit dazu.

Übrigens geht die Meinung darüber, was für Dienstleistungen der Kunde will, weit auseinander, je nachdem, wen man fragt: Die Finanzdienstleister sind der Auffassung, dass ihre Kunden gar nicht so digitalaffin sind, während die Kunden angeben, dass sie sich definitiv in großem Umfang digitale Elemente in der Finanzberatung wünschen.

Aber wie muss das digitale Kundenerlebnis aussehen? Erstens muss es komplexe Finanzzusammenhänge leicht verständlich machen. Das bedeutet anschauliche Grafiken, dreidimensionale Darstellungen und Auswertungen auf Macro- und Microebene. Zweitens müssen Informationen über das Vermögen überall verfügbar sein. Unter der Überschrift mobile mindshift versteht man, dass der Kunde an jedem internetfähigen Fleck dieser Welt auf jedem Gerät und vor allem auf dem Smartphone seine Daten einsehen kann.Der Kunde muss drittens spüren, dass das, was er als Dienstleistung bekommt, individuell auf ihn abgestimmt ist und genau seine Bedürfnisse trifft. In einer Welt der maßgeschneiderten Playlists, Fitness- und Ernährungspläne darf ein Finanzangebot nicht von der Stange sein. Und der Kunde von heute hat sehr feine Antennen dafür, was standardisiert ist und was nicht.

Viertens muss der Kunde das Gefühl haben, dass der Berater nichts zu verbergen hat. Wie in einem feinen Restaurant, in dem man einen freien Blick auf die Küche hat und dort sehen kann, dass alles sauber und ordentlich zugeht und vielleicht sogar fasziniert zuschaut, wie aus hochwertigen Zutaten kleine Kunstwerke gezaubert werden. Genau so muss es mit dem digitalen Kundenerlebnis sein: Der Kunde muss zumindest die Möglichkeit haben, dem Berater jederzeit über die Schulter schauen zu können, indem er zum Beispiel schnell mal auf der Zugfahrt in seiner App durch sein gesamtes Vermögen scrollt.

Transparenz schafft Vertrauen und Vertrauen ist die Voraussetzung für jede Vertiefung der Beziehung. Schafft man es durch ein breites Angebot von Kundenerlebnissen, den Kunden nicht nur zufrieden zu machen, sondern zu begeistern, kann man als Berater auf die Poleposition in der Kunden-Beraterbeziehung vorrücken. Man kann zum sogenannten Trusted Advisor, zur primären Vertrauensperson des Kunden, aufsteigen. Dann ist es in unserem Beispiel Stefan Bauer, der ihn anruft, wenn er erfährt, dass der Verkauf seiner Firma oder eine Erbschaft ansteht, und nicht ein anderer Berater.

Er wird dem Berater Einblick in alle seine Vermögensdetails gewähren, denn er hat vor Augen geführt bekommen, dass er einen besseren Rat bekommt, wenn sein Berater alles von ihm weiß. Man hat ihm durch Kundenerlebnisse die Angst davor genommen, sich gewissermaßen auszuliefern. Dass seine Daten sicher sind und unter seiner persönlichen Hoheit stehen, muss ihm so glaubhaft gemacht worden sein, dass er keine Bedenken hat, alle Daten in einem Tresor zusammenzufassen und dem Berater den Code zu diesem Tresor anzuvertrauen. Aus dem Potential dieser Daten die eigenen Assets under Management zu steigern, ist dann nur der nächste logische Schritt.


Über den Autor:

Marco Richter, CFP, Master in Wealth Management, M.A. (EBS) und Buchautor, ist Geschäftsführer Markt und Gründer des Fintechs Wealthpilot. Zuvor war er 20 Jahre unter anderem bei der Deutschen Bank, der Bethmann Bank und zuletzt bei der Commerzbank im Wealth Management beschäftigt.
2017 wurde er mit dem Wissenschaftspreis des Financial Planning Standards Board ausgezeichnet. Im April 2019 erscheint sein neues Buch „Du bist reicher als Du denkst“, in dem er über eine „einfache Finanzplanung für Jedermann“ schreibt.

In einer dreiteiligen Artikelserie für das private banking magazin beleuchtet Richter die Digitalisierung aus drei Perspektiven: aus Sicht des Beraters, der des Kunden und schließlich von Gesetzgeber und Regulierungsbehörden. Im nächsten Teil: Wie sich Kundenerlebnisse aus Perspektive des Kunden darstellen und was man von Google und Amazon lernen kann.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?
Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen