Seit Jahrzehnten diskutieren Experten über den Befund, dass die Deutschen im Vergleich zu anderen Anlegernationen besonders risikoavers sind und vergleichsweise wenig in Wertpapiere investieren. Auch heute noch ist – trotz der beeindruckenden Entwicklung von Discount- und Neobrokern – nur etwa ein Viertel des deutschen Geldvermögens in Aktien, Fonds und anderen Unternehmensanteilen investiert, während ein sehr viel größerer Anteil auf Bankeinlagen und Versicherungen entfällt.
Sicher trifft dieser Befund nur etwas abgeschwächt auf das Vermögen der wohlhabenderen Kunden der Private-Banking-Branche zu, die aufgrund der Größe ihrer Vermögen und ihres häufig unternehmerischen beruflichen Hintergrunds eine größere Risikotoleranz und Anlageerfahrung haben. Allerdings können viele Kundenbetreuer auch in diesem Segment Anekdoten darüber berichten, wie sich manche ihrer Kunden darüber freuen, angesichts gestiegener Zinsen sechs- oder gar siebenstellige Beträge zu drei Prozent Zinsen wieder in Tages- und Festgeldern anlegen zu können.
Innovation als Ausweg für das deutsche Private Banking
Problem erkannt, Gefahr gebannt? Leider nicht so wirklich. Seit langer Zeit versuchen Vermögensberater ihre Kunden davon zu überzeugen, einen größeren Teil ihres Geldvermögens in renditeträchtigere und auf lange Sicht nicht mal risikoreichere Anlagen zu investieren. Das ist nicht von wirklichem Erfolg im Hinblick auf eine nachhaltige Veränderung der Verteilung des Geldvermögens nach Anlageklassen gekrönt.
Ein möglicher Ausweg besteht darin, Innovationen zu forcieren. Die Entwicklung von Discount- und Neobrokern zeigt eindrücklich, dass vollkommen neue Märkte im Bereich der Wertpapieranlage entstehen können. Innovationen in verschiedenen Bereichen der Kundenreise befeuern diese Märkte. Beispiele sind einfach zu bedienende Brokerage-Apps, günstige oder eine zumindest günstig erscheinende Preisgestaltung oder neuartige Financial-Education-Angebote von Finance-Influencern. So konnte zum Beispiel Trade Republic in nur vier Jahren 35 Milliarden betreutes Vermögen aufbauen.
Auf diese Weise ist ein neues Anlegersegment entstanden, das überwiegend jung, technik-affin und männlich ist. Dieses Anlegersegment gab es vor zehn Jahren noch überhaupt nicht. Die Autoren dieses Beitrags können aus ihrer Lehrtätigkeit an Hochschulen darüber berichten, um wie viel besser BWL-Studierende heute wegen ihrer eigenen Erfahrung als Anleger über aktuelle wirtschaftliche Entwicklungen informiert sind als ihre Vorgänger vor einer Dekade.
Voraussetzungen für erfolgreiche Innovationen
Die Innovationsforschung erklärt die Voraussetzungen, unter denen sich Innovationen erfolgreich am Markt durchsetzen. Klassischerweise werden fünf Kriterien betrachtet:
- Relativer Vorteil, das heißt: der Vorteil der Innovation im Vergleich zum bisherigen Finanzprodukt
- Kompatibilität, das heißt: inwieweit die Innovation zu Werten und bisherigen Erfahrungen passt
- Kundenverständnis für Komplexität, das heißt: wie leicht die Innovation umgesetzt werden kann
- Erprobbarkeit, das heißt: wie leicht die Innovation ausprobiert werden kann
- Beobachtbarkeit, das heißt: inwieweit Ergebnisse überprüft werden können
Auf das Discount- oder Neobrokerage treffen diese Voraussetzungen weitgehend zu. Es ist direkt zu erkennen, dass niedrige Trading-Kosten vorteilhaft sind. Die angebotenen Brokerage-Apps sind intuitiv gut verständlich und ermöglichen einen einfachen Einstieg in die Wertpapieranlage auch ohne umfangreiches eigenes Vorwissen. Im Videoformat dargebotene Informationsangebote von Finanz-Influencern sind einfach zugänglich und für jedermann verständlich aufbereitet.
Abgesehen vom speziellen Fall des Discount- und Neobrokerage ist es jedoch gar nicht so einfach, im Private Banking erfolgreiche Innovationen an den Markt zu bringen. Die Hauptherausforderung besteht darin, dass es sich bei der Leistung „Anlageberatung“ um ein Vertrauensgut handelt, dessen Vorteilhaftigkeit für den Anleger entweder gar nicht oder erst nach einem sehr langen Zeitraum überprüfbar ist. Fonds und Vermögensberater begründen ihre Leistung häufig mit der (Out-)Performance ihrer Produkte oder Strategien in den vergangenen Jahren oder Monaten. Wegen der Volatilität der Performance von Märkten und Strategien lässt sich der echte Erfolg jedoch erst nach Jahren und Jahrzehnten feststellen, nicht jedoch in dem Moment, in dem ein neues Produkt oder eine neue Strategie auf den Markt kommt. Ein weiterer Aspekt ist sicherlich die demografische Struktur der Private-Banking-Kunden. Sie verhindert, dass sich völlig neuartige Ansätze schnell verbreiten. Wer an einer umfassenden und detaillierten Einschätzung zum Innovationsstand der deutschen Finanzbranche interessiert ist, dem sei unser Working Paper „Warum das Innovationspotential der deutschen Finanzbranche nicht gehoben wird“ empfohlen.