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Die Welt ertrinkt in Schulden Warum ein Schuldenschnitt für den Westen auf den Tisch muss

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank: Die Schulden der Industriestaaten weltweit belaufen sich auf rund 432 Prozent der Wirtschaftsleistung. Ist ein Schuldenschnitt ein gangbarer Weg? Foto: imago images / Le Pictorium

Mark Dowding, CIO

EZB-Chefin Christine Lagarde und andere Notenbanker sowie Ökonomen lehnen einen Schuldenschnitt als Teil der Erholung von der Pandemie ab. Doch das geht an einer ganz offensichtlichen Tatsache vorbei: Wir leben in einer Welt mit vielen Schulden – aber Schulden, die von den Zentralbanken gekauft werden. Anders gesagt: Die linke Hand der Regierung schuldet der rechten Hand der Regierung eine Menge Geld.

Nun könnte man sich fast die Hände schütteln und die Schulden sind weg. Das klingt recht abenteuerlich. Aber ist es das?

Die Notenbanken können im Grunde genommen Geld drucken, indem sie die Schulden erlassen. In einer Phase mit sehr niedriger Inflation wäre dies wahrscheinlich ein Stück weit gangbar.

Viele Marktbeobachter sind der Meinung, quantitative Lockerung sei praktisch dasselbe, wie Geld zu drucken. Das trifft aber nicht zu. Stattdessen handelt es sich schlicht und einfach um die Schaffung von Verbindlichkeiten und den Ankauf von Vermögenswerten. Wenn überhaupt, dann ist es eher eine Laufzeitverlängerung. Dagegen entspräche das Konzept eines Schuldenschnitts einer massiven Lockerung der Geldpolitik – vergleichbar mit der unkonventionellen geldpolitischen Idee des „Helikoptergeldes“.

Regierungen könnten zum Beispiel Anleihen mit einer Laufzeit von 10.000 Jahren und einem Zinssatz von null begeben, die dann von den Notenbanken gekauft würden. Das wäre im Grunde genommen dasselbe.

Präzedenzfälle für Schuldenschnitte in den Industrieländern

Es gab bereits Schuldenschnitte, und zwar – das möchte ich betonen – nicht nur in Ländern wie Zimbabwe oder Deutschland während seiner Hyperinflationsphase in den 1920er-Jahren. Es hat beispielsweise auch Fälle in westlichen Staaten wie Ende der 1930er-Jahre in Kanada gegeben.

Im vergangenen Jahr hat der stärkste weltweite Konjunkturabschwung stattgefunden, den wir alle jemals erlebt haben. Zwar sollte man natürlich Vorsicht walten lassen, aber turbulente Zeiten verlangen drastische Maßnahmen. Die Geldpolitik verfügt letztlich nicht über die dafür erforderlichen Mittel und auch nicht über das dafür nötige Mandat. Würden sich jedoch einzelne Länder zu extremen Maßnahmen zur Befeuerung der Konjunktur entschließen und die Geldschleusen öffnen, könnten sie damit so genannte First-Mover-Vorteile erzielen.

Dabei ist hinzuzufügen: Wenn dieser Weg tatsächlich beschritten wird, muss es eine einmalige Sache sein, die nicht wiederholt werden darf. Das betreffende Land dürfte nicht für jeden Zweck Geld drucken und müsste vertrauenswürdig sein. Ist dies der Fall, könnte das Ergebnis sehr positiv ausfallen.

Rückzahlung der Schulden bremst Wachstum und Nachfrage

Sparpolitik ist jetzt einfach nicht die richtige Antwort – falls sie es überhaupt je war. Selbst Großbritanniens ehemaliger Schatzkanzler George Osborne, der Architekt der Sparmaßnahmen des Landes in der Zeit nach der globalen Finanzkrise, hat betont, dass die britische Regierung zur Beschleunigung der Erholung möglicherweise Kredite an kleine Unternehmen in Höhe von mehreren Milliarden Pfund abschreiben müsse.

In den vergangenen zehn Jahren war zu sehen: Im Endeffekt laufen alle Sparmaßnahmen darauf hinaus, dass die Schulden in der Zukunft über einen langen Zeitraum zurückgezahlt werden müssen. Letztlich bremst dies Nachfrage und Wachstum.

In Zeiten mit einer in vielen Ländern alternden Bevölkerung und einer sinkenden Zahl Erwerbstätiger wird dies zunehmend unhaltbar. Außerdem entsteht dadurch großer Druck innerhalb der Gesellschaft: Die Spaltung zwischen Alt und Jung wird größer, was den Zusammenhalt ernsthaft gefährdet.

Schulden einfach nicht zurückzahlen ist keine Lösung

Regierungen könnten natürlich beschließen, einen Teil ihrer Schulden einfach nicht zurückzuzahlen. Das würde jedoch immensen Schaden anrichten und hohe Kosten für das Finanzsystem verursachen. Das Ergebnis wäre für uns alle sehr unerfreulich.

Angesichts dessen, dass die Schulden der Industriestaaten vom Institute for International Finance auf inzwischen unglaublich hohe und untragbare 432 Prozent des BIP beziffert werden, wäre es allerdings unvernünftig, noch nicht einmal über einen Schuldenschnitt nachzudenken.

Wenn selbst Rentenfondsmanager den Finger in die Wunde legen und sagen, dass es auf der Welt zu viele Schulden gibt, dann muss wirklich etwas nicht stimmen. Viele EU-Länder verstoßen bereits gegen die Schuldenregeln des Maastrichter Vertrags. Und auch wenn diese Regeln bis auf Weiteres ausgesetzt sind, besteht auf dem Weg aus der Krise wenig Handlungsspielraum, solange ein Schuldenschnitt nicht Bestandteil des geldpolitischen Rüstzeugs ist.

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