Tränen der Freude, Jubelschreie, ungläubiges Staunen. „She’s like me!“ Besonders schwarze Kinder sitzen begeistert vor den Bildschirmen oder springen vor Freude auf. Die Reaktionen auf den Trailer von Disneys Arielle-Verfilmung sind viral gegangen. Worüber sich die Kinder so sehr freuen? Repräsentanz. Arielle wird von der schwarzen Sängerin und Schauspielerin Halle Bailey gespielt. Die Kinder erkennen sich wieder.
Auch schwarze Frauen können Meerjungfrau und Prinzessin sein; auch ihre Wünsche, und scheinen sie noch so unrealistisch, können sich erfüllen. Die Begeisterung hat allerdings einen traurigen Hintergrund: Repräsentanz ist die Ausnahme, nicht nur in Filmen und Serien. Auch in der deutschen Finanzbranche fehlt es oft an Vorbildern für Frauen und Minderheiten.
Das ist problematisch, denn: „You can’t be what you can’t see!“, sagt Miriam Wohlfarth, Gründerin und Vorstandsmitglied von banxware, zur Bedeutung von Vorbildern. Wohlfahrt war mit der Gründung von Ratepay 2009 zudem eine der ersten deutschen Fintech-Gründerinnen. „Vorbilder machen vor und sind Wegweiser. Sie geben uns auch die Motivation, etwas Größeres anzustreben, allein durch die Tatsache, dass sie etwas erreicht haben, was für uns noch ganz weit weg erscheint. Sie unterstützen uns dabei, eigene Ziele zu visualisieren, und zeigen uns, was noch geht“, so Wohlfahrth.
Wer divers einstellt, hilft in erster Linie sich selbst
Mit mangelnder Repräsentanz verspielt sich die Finanzbranche die Chance auf zukünftige Talente. Nur jedes fünfte Mitglied der Generation Z, deren Mitglieder zwischen 1996 und 2010 geboren wurden, würde für ein Unternehmen arbeiten, dessen Werte es nicht teilt. Das ist das Ergebnis einer globalen Studie der Marketingagentur Lewis. Zwar würden 41 Prozent für ein Unternehmen tätig sein, das weder geschlechts- noch ethnisch divers ist, aber nur, wenn es ein gutes Diversitäts- und Inklusionsprogramm hat. Über ein Drittel erwartet von der Personalabteilung, dass sie bei Inklusion- und Diversitätsbemühungen vorangeht. 29 Prozent verlangen, dass das Senior-Management dabei eine Vorbildrolle einnimmt.
Repräsentanz ist auch über die Talentsuche hinaus wichtig. Wer Frauen und Minderheiten einstellt und befördert, hilft in erster Linie sich selbst. „Diverse Teams sind innovativer und produktiver – dazu gibt es zahlreiche Studien“, sagt Martina van Hettinga, Managing Partnerin und Gesellschafterin beim Personalvermittler I-Potentials. „Zudem bilden Teams, deren Mitglieder unterschiedlichen Geschlechtern, Altersgruppen und Hintergründen angehören, die Gesellschaft besser ab. Dadurch haben sie oft ein besseres Kundenverständnis und können Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und so besser lösen. Ein Vorteil, der im Zeitalter der Kundenzentrierung gar nicht hoch genug einzuschätzen ist“, ergänzt van Hettinga. Sie ist Beraterin für Organisationsarchitektur, Führung und Recruiting und spezialisiert auf die Besetzung von C-Level-Positionen in den Bereichen Venture Capital, Private Equity und Mittelstands-Transformation.
Ihre Aussage bestätigt unter anderem die Studie „Diversity Wins – How Inclusion Matters“, für die McKinsey Daten von mehr als 1.000 Unternehmen in 15 Ländern analysiert hat. Unternehmen mit hoher Geschlechts-Diversität haben demnach eine um 25 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Ist der Vorstand ethnisch divers, liegt dieser Wert sogar bei 36 Prozent.
Das gilt aber nur, wenn Frauen und Minderheiten in Entscheidungen auch einbezogen werden. „Entscheidend ist es, dass im Top-Management möglichst verschiedene Stimmen gehört und unerwartete Fragen gestellt werden. Deshalb reicht es nicht, eine Quotenfrau zu benennen“, sagt McKinsey-Expertin Julia Sperling. „Diversität schafft keine Harmonie, sondern erfordert Energie.“
Weniger Diversität bedeutet weniger Chancen auf Erfolg
Umgekehrt ist es für wenig diverse Unternehmen der Studie zufolge auch weniger wahrscheinlich, überdurchschnittlich erfolgreich zu sein. Die möglichen Gründe dafür nennt Silke Stremlau, Vorständin der Hannoverschen Kassen und im Vorstand des Sustainable-Finance- Beirats der Bundesregierung. Homogene Teams würden sich in ihren ähnlichen Sichtweisen bestärken: „Es gibt damit einen Mangel an unterschiedlichen Perspektiven auf ein und denselben Sachverhalt, wenig diskursive Diskussionen über Herausforderungen und strategische Entwicklungen. Ich glaube, dass zu wenig unabhängiges Denken Fehlentscheidungen befördert. Produktentwicklungen finden dann auch oft nur aus dem einen Blickwinkel statt, die Multiperspektivität fehlt.“
Wie wenig divers die Finanzbranche ist, zeigen die Zahlen aus der Banken- und Versicherungsbranche, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin jährlich erhebt. Bei den 100 größten Banken in Deutschland lag der Frauenanteil in den Vorständen Ende 2021 bei 13 Prozent, bei den Vorstandsvorsitzenden bei 8 Prozent. Bei den 60 größten Versicherungen sind 13 Prozent der Vorstände und 8 Prozent der Vorstandsvorsitzenden weiblich.
Ähnlich sieht es in der Fondsbranche aus. Das Fondsfrauen-Netzwerk hat die Frauenquote der deutschen Asset-Management-Branche untersucht. In der Geschäftsleitung lag sie 2022 mit 13,7 Prozent sogar noch unter dem Vorjahreswert von 14,7 Prozent. Datengrundlage sind Zahlen der 116 Vollmitglieder des Fondsverbands BVI. Dabei zeigt sich, dass besonders rein deutsche Fondsgesellschaften mit einer Frauenquote von nur 9,2 Prozent hinten liegen. Spitzenreiter sind Gesellschaften mit Schweizer Hintergrund mit 25 Prozent.
Den Nachteil der wenig diversen Fondsbranche erläutert Anne Connelly, Geschäftsführerin der Fondsfrauen: „Sie spiegelt nicht die Lebenswirklichkeit ihrer Kunden. Stehen ausschließlich männliche Berater zur Verfügung, verschreckt das einige der weiblichen Kunden. Fehlen bei der Produktentwicklung diverse Ansichten, besteht die Gefahr, an der Zielgruppe vorbei zu entscheiden.“
Vielfalt verändert die Unternehmenskultur
Das Problem mangelnder Diversität ist bekannt. Die Europäische Zentralbank hat erst im Juli gemeinsam mit 27 nationalen Zentralbanken eine systemweite Charta zur Förderung von Gleichstellung, Diversität und Inklusion unterzeichnet. Und auch einzelne Unternehmen setzen Diversitätsprogramme um. PGIM hat im September beispielsweise eine Leiterin Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion ernannt. Die Hannoverschen Kassen haben ihren Aufsichtsrat paritätisch besetzt und achten schon im Bewerbungsprozess auf diverse Hintergründe und Nationalitäten. Parallel setzt das Unternehmen auf mehr Selbstverantwortung, weniger Hierarchie, mehr Transparenz und die Beteiligung aller Mitarbeitenden. „Auch das verändert Unternehmenskultur und fördert diverses, unabhängiges und kritisches Denken“, sagt Stremlau.
Die Hypovereinsbank hat im vergangenen Jahr ein Programm zur Förderung weiblicher Nachwuchskräfte gestartet. Bereits bei Einstellungen und in Talentprogrammen achte man auf eine 50:50-Verteilung von Frauen und Männern und begleite zudem berufliche Auszeiten und Wiedereinstieg eng. „Dazu gehören auch Führung in Teilzeit oder Führungstandems in Teilzeit und einige weitere Maßnahmen“, sagt Nasim Amini, Head of Wealth Management und Private Banking der Region München. Das ist ein guter Schritt. Van Hettinga rät Unternehmen, Arbeit flexibel zu gestalten: „Darin liegt der Schlüssel für mehr Diversität und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – gerade in Führungspositionen.“
Braucht die Branche eine Quote?
Braucht die Finanzbranche trotz dieser Bemühungen noch eine Quote? „Offensichtlich. Nicht dass ich ein großer Fan dieser bin und für mich die Persönlichkeit und Kompetenz immer im Vordergrund stehen sollten, hilft es, eine gewisse Mobilisierung zu erreichen“, sagt Barkha Mehmedagic, globale Leiterin des institutionellen Vertriebs und Group Treasury sowie Mitglied der Geschäftsleitung bei Commerzreal. Auch Stremlau hofft, dass die Quote Teams diverser und sich selbst damit überflüssig macht. Sie erwartet, dass Verantwortliche dann nicht mehr zurückwollen zu rein männlichen Teams im ähnlichen Alter und mit ähnlichen Lebensläufen. „Daher finde ich die Quote wichtig, wenn Unternehmen in ihrer Starrheit festsitzen und das Argument vorschieben, dass sie keine geeigneten Frauen finden“, so Stremlau.
Auch van Hettinga unterstützt die Quote, nachdem sie lange dachte, dass allein die Leistung über den beruflichen Erfolg entscheidet: „Doch Einblicke in viele Unternehmen haben mir schnell gezeigt, dass Ähnlichkeit im Recruiting gegenüber Andersartigkeit bevorzugt wird: Männer befördern eher Männer, Absolventen einer bestimmten Universität Bewerber aus genau dieser. Dies geschieht meist unbewusst, weshalb ich mich auch für messbare Recruiting-Kriterien in Unternehmen einsetze.“
Das Problem der wenig diversen Führungsetagen hat allerdings tiefe Wurzeln. So sagt van Hettinga: „Langfristig müssen sich Rollenbilder und klassische Erziehungsmuster ändern, damit Frauen nicht den Großteil der Care-Arbeit tragen, wenn sie eine Familie gründen.“ Hier sieht Nicole Schepanek, Geschäftsführerin und Gründerin der auf Finanzdienstleistungen spezialisierten Kapitalgesellschaft Aureus Capital, Fortschritte. Frauen und Männer würden auch beim Thema Familie immer gleichberechtigter. „Natürlich stellt sich aber immer die Frage nach der Verteilung von Aufgaben und Freiräumen in der Partnerschaft“, so Schepanek. Und auch Frauen in der Gründerszene seien in der Verantwortung, aufeinander zuzugehen. „Gerade erfolgreiche Frauen können unterstützen, indem sie sich Zeit nehmen, auf Frauen zuzugehen. Gleichzeitig rufe ich gerne Gründerinnen zu: ‚Geht auf Investoren und erfahrene potenzielle Mentorinnen zu und fragt beharrlich nach Rat‘“, sagt Schepanek.
Und auch Mehmedagic sieht Frauen teilweise selbst in der Verantwortung. Sie unterschätzen oft ihre Fähigkeiten und trauen sich zu selten, sich zu bewerben: „Oft wird eine Eier legende Wollmilchsau gesucht. Mehr Mut zur Lücke bitte, liebe Damen!“