Verlustabzug Warum Aktionäre jetzt Einspruch einlegen sollten

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Besonders sichtbar wird die unterschiedliche Behandlung dann, wenn man einen Steuerpflichtigen, der Verluste aus der Veräußerung von Aktien generiert, einem Steuerpflichtigen gegenüberstellt, der Verluste aus aktienbasierten Kapitalanlagen, die keine Aktien sind, erzielt. Während Letzterem ein Ausgleich mit Gewinnen aus anderen Kapitaleinkünften offensteht, kommt ein Ausgleich bei Ersterem nicht in Betracht. Gründe, die für eine unterschiedliche Behandlung sprechen würden, sind hier nicht erkennbar.

In seiner weiteren Begründung führt der Bundesfinanzhof mit Blick auf das sich ebenfalls aus dem Gleichheitssatz ergebende sog. Nettoprinzip ergänzend an, dass – anders als der Gesetzgeber wohl meint – nicht immer damit gerechnet werden könne, dass vorgetragene Verluste auch in zukünftigen Verrechnungsperioden zum Abzug kämen. Denn ein Verlustabzug setzt immer auch voraus, dass künftig Gewinne aus Aktiengeschäften erzielt werden. Der Bundesfinanzhof erkennt hier, dass das in der Realität aber längst nicht immer der Fall ist.

Gerade Steuerpflichtige, die in der Vergangenheit durch Aktiengeschäfte erhebliche Verluste erzielt haben, könnten sich nach Auffassung des Bundesfinanzhofs durch hier bestehende Abzugsbeschränkungen dazu veranlasst sehen, sich nicht wie gewollt aus ihren Aktieninvestitionen zurückzuziehen. Damit würde in bestimmten Fällen nicht nur ein vollständiger Nichtabzug der generierten Verluste drohen, sondern dies in gewisser Hinsicht auch das Entscheidungsverhalten der Anleger beeinflussen und damit einen Verstoß gegen die sich aus Artikel 2 Grundgesetz ergebende wirtschaftliche Betätigungsfreiheit zur Folge haben.

Haushaltsrisiko kein geeigneter Rechtfertigungsgrund

Neben dem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz erkennt der Bundesfinanzhof das in der Gesetzesbegründung angeführte „abstrakte Haushaltsrisiko“ bei massiven Abstürzen der Aktienmärkte nicht als geeigneten Grund an, um die sich besonders bei Privatanlegern auswirkenden Verlustabzugsbeschränkungen zu rechtfertigen.

Der Bundesfinanzhof stellt klar, dass es zwar dem Grunde nach nicht zu beanstanden ist, wenn auch einzelne Steuerpflichtige, die durch ihr Verhalten besondere Risiken für die öffentlichen Haushalte verursachen, in steuerlicher Hinsicht besonders belastet werden. Allerdings muss der Gesetzgeber die Rechtfertigung realitätsnah an typischen Fällen als Maßstab vor-nehmen. Die Gefahr eines drohenden Haushaltslochs stellt allerdings ein eher atypisches Risiko dar, das zudem von den hier stark betroffenen Gruppen der Privatanleger nicht verursacht wird.

Auswirkungen für Anleger

Aus Anlegersicht ist die Vorlage des Bundesfinanzhofs zum Bundesverfassungsgericht zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit der in Paragraf 20 Absatz 6 Satz 5 EStG geregelten Verlustabzugsbeschränkungen bei Aktienverkäufen zu begrüßen.

Hoffnung macht vor allem, dass der Bundesfinanzhof die Verfassungswidrigkeit der Regelung argumentativ überzeugend herleitet. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit das Bundesverfassungsgericht den Ausführungen des Bundesfinanzhofs etwas Stichhaltiges entgegenhalten kann. Insgesamt werden die Chancen, dass das Bundesverfassungsgericht hier zu einem anlegerfreundlichen Urteil gelangt daher im Allgemeinen als recht hoch angesehen.

Sollte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der Regelung bestätigen, steht den Anlegern künftig eine Verlustverrechnung mit Gewinnen aus anderen Kapitaleinkünften (zum Beispiel aus Zinserträgen) grundsätzlich offen. Eine generelle verfassungsmäßige Überprüfung von Abzugsbeschränkungen hinsichtlich anderer Einkunftsarten ist mit der Vorlage an das Bundesverfassungsgericht allerdings nicht verbunden und steht insoweit auch nicht zu erwarten.

Die Entscheidung dürfte sich auch auf die erst kürzlich durch das Jahressteuergesetz 2019 in Paragraf 20 Absatz 6 Satz 6 EStG eingeführten Verlustabzugsbeschränkungen für Termingeschäfte und (uneinbringliche) Kapitalforderungen auswirken, die sich ähnlichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sehen.

Anlegern bleibt daher anzuraten, Steuerbescheide, in denen eine Verrechnung von Verlusten aus Aktienverkäufen versagt worden ist, bis zu einer endgültigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes durch Einspruch offenzuhalten.




Über die Autoren:
Sven Oberle leitet die Steuer-Praxisgruppe Private Client Services der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Sein Team berät Familienunternehmen, vermögende Privatpersonen und Family Offices in Steuerangelegenheiten.
Meik Kranz ist Fachanwalt für Steuerrecht und in der Grundsatzabteilung von EY (National Office Tax) in Berlin tätig. Der Rechtsanwalt berät Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen in steuerlichen Angelegenheiten. Vor seinem Wechsel zu EY war er von 2017 bis 2019 bei PWC in Berlin tätig.

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