Europa wächst schneller als die USA „Es müsste zu einer Umschichtung kommen“

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Schwierige politische Verhältnisse in Europa

Die Finanzmärkte scheinen gegenüber der realwirtschaftlichen Entwicklung also resistent zu sein. Das ist ungewöhnlich. Es gibt dafür aber einen einfachen Grund. Das sind die schwierigen politischen Verhältnisse in Europa. Zu den immer noch nicht ganz aufgearbeiteten Risiken in den südeuropäischen Krisenländern kommen in diesem Jahr das Thema Brexit und das leidige Flüchtlingsproblem hinzu. Die Politik macht die wirtschaftliche Dynamik Europas zunichte. Das ist kein neues Phänomen. Das hat es auch schon früher gegeben.

Es wird jedoch nicht so bleiben, wenn nicht noch etwas ganz Überraschendes passiert. Vielmehr ist zu vermuten, dass die Geldpolitik in den USA und in Europa unter den Wachstumsgegebenheiten nicht auf so extrem unterschiedlichen Positionen bleibt. Die Federal Reserve wird einen langsameren Gang bei den Zinserhöhungen einschlagen (vermutlich nur noch eine Zinserhöhung in diesem Jahr). Die Europäische Zentralbank wird ihre Lockerung zwar nicht beenden. Sie wird vermutlich aber auch keine – oder wenn, dann nur bescheidenere – neuen Expansionsmaßnahmen beschließen.

Für die Devisenmärkte heißt das: Die wichtigste treibende Kraft für die Dollar-Aufwertung in letzter Zeit wird schwächer. Der Markt wird weniger auf die Geldpolitik schauen als auf die realen Gegebenheiten. In den USA wird der Widerstand gegen weitere Wechselkursaufwertungen stärker werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass der US-Dollar am Jahresende gegenüber dem Euro bei 1,20 steht, ist aus meiner Sicht größer, als dass er bei der Parität ist.

Fällige Strukturreformen bremsen europäische Aktien

Am Bondmarkt wird sich die Differenz der Renditen bei 10-jährigen Staatspapieren nicht ausweiten, sondern eher einengen. Sie ist historisch gesehen ohnehin sehr groß. Man muss schon in die Hochzinsphase der 80er Jahre zurückgehen, um so hohe Spreads zu finden. Theoretisch kann die Einengung der Zinsdifferenz sowohl durch eine Senkung der amerikanischen Renditen wie auch durch eine Erhöhung der europäischen geschehen. In der Praxis aber wird dies eher durch höhere Renditen hierzulande passieren, weil die Sätze hier gemessen an den Fundamentaldaten viel zu niedrig sind.

Am Aktienmarkt vermute ich, dass die Entwicklung diesseits und jenseits des Atlantiks nicht sehr unterschiedlich verlaufen wird. Die Amerikaner können wachstumsbedingt niedrigere Unternehmensgewinne durch einen schwächeren US-Dollar kompensieren. In Europa ist es genau umgekehrt. Die Aktien werden hier erst dann stärker steigen, wenn es gelingt, die fälligen Strukturreformen vor allem in Italien und Frankreich anzugehen.

Sie haben nichts verpasst. Das unterschiedliche Wachstum in den USA und Europa ist wichtig. Man muss es weiter beobachten. Aber Stand heute sollte man daraus noch kei¬ne weitergehenden Folgerungen ziehen. Wegen der politischen Risiken gibt es im Augenblick keinen Grund, Europa im Portefeuille zu übergewichten. Man sollte die Anlagen vielmehr weiter breit streuen, um gegen Überraschungen gewappnet zu sein.


Über den Autor:
Martin Hüfner ist seit 2009 Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Assenagon. Bevor er zur 2007 gegründeten Vermögensverwaltung stieß, war er Chefvolkswirt bei der Hypovereinsbank (2001 bis 2005) und der Bayerischen Vereinsbank (1988 bis 2001).

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