Vortäuschung von Sicherheit Die aktuellen Modelle des Finanzbetrugs

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Wie kommt man Fehlbewertungen auf die Spur?

Seit 2004 gibt es die Deutsche Prüfstelle für Rechnungswesen (DPR), welche die Bilanzen von börsennotierten Aktiengesellschaften stichprobenartig untersucht: aus dem Dax, MDax, SDax sowie TecDax circa alle vier bis fünf Jahre und bei anderen Unternehmen circa alle acht bis zehn Jahre. Bisher sind die Ergebnisse erschreckend: Allein 2010 waren 26 Prozent der untersuchten Jahresbilanzen mangelhaft (2013: 14 Prozent). Selbst große und bekannte Unternehmen wie Continental, Fielmann, Infineon, Metro oder die Postbank waren bei den Ertappten; Adidas und Puma wurden gleich zweimal erwischt.

Ernsthafte Konsequenzen muss außer einer Nachkorrektur des Jahresabschlusses allerdings niemand befürchten. Kleine Unternehmen können damit rechnen, dass sie aufgrund der seltenen Kontrollen jahrelang unbemerkt durchrutschen. Auch verhindert das Verfahren nicht, dass eine Firma mit bereits gefälschten Bilanzen an die Börse kommt, wie zum Beispiel 2012 der Leuchtenhersteller Hess.

Mehr Schrecken bei Finanzbetrügern verbreiten Hedgefondsmanager wie Jim Chanos, der sich mit seinem 1985 gegründeten Kynikos-Fonds auf Leerverkäufe spezialisiert hat. Dies ist eine Investmentstrategie, die in dem seit 30 Jahren laufenden Bullenmarkt eigentlich fragwürdig sein sollte, weil die Kurse generell nach oben gehen.

Chanos ist trotzdem erfolgreich. Der Grund hierfür besteht darin, dass er mit einem Analystenteam den Finanzmarkt systematisch nach potenziellen Betrugsfällen durchkämmt, um Kandidaten für seine Leerverkäufe zu finden. Dabei wurden erschreckend oft Treffer gelandet. Insbesondere am Ende der Dotcomblase wurden eine Reihe von Großunternehmen identifiziert, deren Kurse später spektakulär zusammenbrachen und deren Top-Manager ins Gefängnis mussten: Enron, Wordcom oder Tyco sind hier nur einige Beispiele.

Chanos scheut sich auch nicht, seine analytischen Erkenntnisse zu veröffentlichen und so die von ihm verfolgten Unternehmen unter Druck zu setzen. Dabei nimmt er Verleumdungsklagen und Pressekampagnen gegen ihn Kauf; am Ende hatte er fast immer recht.

Für die US-amerikanische Börse spielen Chanos und ähnlich agierende Leerverkäufer eine wichtige Rolle: Sie sind eine Art Gesundheitspolizei des US-Kapitalmarktes. Dies schaffen sie aber nur, weil sie mit den Umsätzen ihrer Fonds eine gewisse Marktmacht haben.

Investigative Journalisten oder kritische Finanzanalysten haben es dagegen schwerer, wahrgenommen zu werden beziehungsweise überhaupt ihren Job zu behalten. Der Präzedenzfall für den Umgang der Finanzindustrie mit kritischen Analysten wurde 1992 geschaffen, als UBS Terry Smith, den damaligen Chef vom britischen Unternehmensresearch, entließ. Grund war, dass Smith mit seinem Buch „Accounting for Growth“ eine Zusammenstellung von Bilanztricks veröffentlicht hatte, was einigen großen Firmen-Kunden von UBS missfiel.

Seitdem wagen es nur noch wenige Analysten bei kleineren Brokern, sich kritisch mit dem Thema Bilanzmanipulation auseinanderzusetzen. Ein Beispiel gab es im November 2013, als die Einzelhandelsspezialisten von Cantor Fitzgerald dem britischen Supermarktkonzern Tesco vorwarfen, mit dubiosen Methoden die Marge aufzublähen.

Zu diesem Zeitpunkt wurde der Report vom Markt jedoch ignoriert und blieb ohne Folgen. Als dann allerdings Unilever-Manager Dave Lewis am 1. September 2014 als erster externer Vorstandschef bei Tesco anfing, wurde ihm relativ schnell klar, dass alles noch viel schlimmer ist: Er enthüllte, dass allein im ersten Halbjahr 2014 die Gewinne um ca. 250 Millionen Pfund zu hoch ausgewiesen wurden.

Die Hintergründe werden jetzt vom „Serious Fraud Office“ untersucht, einer britischen Sonderbehörde zur Verfolgung komplexer Betrugsfälle. Aufgrund interner Ermittlungen wurden bereits acht vorherige Top-Manager freigestellt.

Michael Woodford wurde 2011 bei Olympus zum ersten westlichen Chef eines japanischen Konzern berufen. Investigative Journalisten hatten bei diesem Unternehmen über zweifelhafte Bilanzierungsmethoden berichtet, was Woodford dazu veranlasste, sich einmal genauer die alten Geschäftszahlen anzusehen. Er stieß auf unerklärliche Provisionszahlungen an Scheinfirmen in Höhe von mehreren 100 Millionen US-Dollar. Dies war für ihn Grund genug, im Verwaltungsrat eine unabhängige Untersuchung zu fordern.

Doch stattdessen wurde Woodford entlassen, weil die Angst bestand, dass der Ruf des Unternehmens und des Vorgängers Tsuyoshi Kikukawa beschädigt werden könnte. Der Brite floh in seine Heimat und initiierte dort eine Pressekampagne, die letztlich zur Aufklärung des Skandals führte. Wie sich herausstellte, dienten die dubiosen Zahlungen dazu, Investment-Verluste in Höhe von schätzungsweise 1,5 Milliarden US-Dollar zu kaschieren, die teilweise noch aus den 90er Jahren stammten und nie bilanziell anerkannt wurden.

Dieses Beispiel demonstriert, dass es möglich ist, Finanzbetrügereien mit Bilanzfälschung über Jahrzehnte zu verstecken. Weiterhin zeigt es, dass ohne massiven Druck von außen nichts aufgedeckt worden wäre. Die Verantwortlichen wären nicht vor Gericht gestellt worden, sondern würden nach wie vor auf ihren Posten sitzen.


Zum Autor: Karl-Heinz Thielmann ist der Vorstand vom Long-Term Investing Research - Institut für die langfristige Kapitalanlage.

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