Vortäuschung von Sicherheit Die aktuellen Modelle des Finanzbetrugs

Karl-Heinz Thielmann ist der Vorstand vom Long-Term Investing Research - Institut für die langfristige Kapitalanlage

Karl-Heinz Thielmann ist der Vorstand vom Long-Term Investing Research - Institut für die langfristige Kapitalanlage

Im September 2014 hat es auch Warren Buffet erwischt. Mit seiner Holdinggesellschaft Berkshire Hathaway hielt er 3,7 Prozent des britischen Supermarktkonzerns Tesco. Der Kurs der Aktie brach ein, nachdem das Management eingestehen musste, dass die Geschäftszahlen vom ersten Halbjahr mittels Bilanztricks geschönt worden waren. Der berühmteste Investor der Welt wurde durch manipulierte Unternehmenszahlen getäuscht und ist damit Opfer einer Form von Finanzbetrug geworden. Damit wurde er im Prinzip genauso hereingelegt wie in anderen Fällen ganz normale Anleger.

Finanzbetrug ist eines der großen Tabuthemen an den Kapitalmärkten. Bei jedem Fall, der auftritt, ist die Aufregung in der Fachpresse groß, doch ebbt sie meist schnell wieder ab. Nur selten gibt es ein breiteres Interesse in der Öffentlichkeit.

Stillschweigend wird davon ausgegangen, dass Finanzbetrug ein Makel des Kapitalmarktgeschehens ist, mit dem man irgendwie leben muss. Jeder Fall wird dabei als Ausnahmefall gesehen. Dass es inzwischen eine erdrückende Fülle von Ausnahmefällen gibt, scheint kaum zu beunruhigen. Nach Zusammenhängen fragt kaum jemand.

Zudem hält sich das Mitleid mit den Opfern zumeist in engen Grenzen, oft müssen sie auch noch Spott und Häme ertragen. „Gier frisst Hirn“ ist eine beliebte Schlagzeile, wenn wieder einmal bekannt wird, dass Anleger mit angeblich hochrentierlichen Investments wie Aktien, geschlossenen Fonds oder Mittelstandsanleihen aufgrund von Finanzbetrug ihr Geld verloren haben.

„Selbst schuld“ lautet nicht selten der selbstzufriedene Hintergedanke vieler Nichtbetroffener, als ob das Betrugsrisiko untrennbar mit dem unternehmerischen Risiko verbunden wäre, das man mit einer solchen Anlage meistens eingeht.

Finanzbetrug im Wandel der Zeiten: von der Gewinnvortäuschung zur Scheinsicherheit

Gerade heutzutage ist es ein völlig falscher Eindruck, Getäuschte als Opfer der eigenen Gier anzusehen: Denn der moderne Finanzbetrug versucht weniger, das Gewinnstreben des Menschen auszunutzen, als sein Bedürfnis nach Ruhe und Normalität. Bei ihm geht es vor allem darum, Kosten, Risiken oder Fehlentwicklungen für Kunden von Kapitalanlageprodukten zu verstecken. Sicherheit wird vorgetäuscht, wo in Wirklichkeit extremes Risiko ist.

Der klassische Finanzbetrug besteht im Vorspiegeln von unrealistisch hohen Gewinnen oder Gewinnmöglichkeiten, zum Beispiel durch die sogenannten Schneeballsysteme. In Hinblick hierauf sind die Käufer von Finanzprodukten – und auch die Aufsichts- sowie Strafverfolgungsbehörden – inzwischen stark sensibilisiert. Auf Renditeversprechungen im zweistelligen Bereich fällt heutzutage nur noch selten jemand herein.

Etwas anderes ist es jedoch, wenn man relativ moderate Renditen bei sehr niedrigem Risiko verspricht. Angebliche Sicherheit wird weniger kritisch hinterfragt als Gewinnprognosen, insbesondere wenn die Behauptungen von scheinbar objektiven Zahlen und Berechnungen belegt werden. Die Glaubwürdigkeit erhöht sich, wenn die Zahlen durch Wirtschaftsprüfer testiert oder mit wissenschaftlichen Methoden errechnet wurden.

Moderner Finanzbetrug bedient sich daher im Wesentlichen zweier Vorgehensweisen:

• Die unverhältnismäßig aggressive Bewertung von Umsätzen, Gewinnen und Vermögensgegenständen im Rahmen des „Fair-Value Accounting“.
• Die Verschleierung von Zusammenhängen zwischen Ertragschancen und Risiken mittels finanzmathematischer Methoden oder Kennzahlen.

Wenn Bilanzkosmetiker zu viel Make-up auftragen …


Bilanzfälschung als Methode des Finanzbetrugs ist an sich nichts Neues. Seit es Kapitalgesellschaften gibt, haben Schwindler versucht, mithilfe manipulierter Bewertungsmethoden Vermögenswerte vorzutäuschen, um überteuerte Wertpapiere zu verkaufen.

Insbesondere die Erfahrungen aus dem Börsencrash 1929 führten zur Anforderung an die Bilanzierung, ein solches Vorgehen möglichst stark zu erschweren. Daher – und auch um die generelle Risikovorsorge zu verbessern – war jahrzehntelang das sogenannte „Niederstwertprinzip“ als oberster Grundsatz für Bewertungsverfahren bei der Aufstellung von Unternehmensbilanzen zu beachten.

Hierbei werden Vermögensgegenstände in einer Bilanz grundsätzlich zu niedrigsten Wert erfasst, der entweder dem Marktwert oder den um Abschreibungen bereinigten Anschaffungskosten entspricht.

Diese konservative Methodik folgt ganz dem Vorsichtsprinzip, hat jedoch einen entscheidenden Nachteil: Sie ermöglicht es, dass Vermögenswerte bei Unternehmen versteckt werden; sich diese also „arm rechnen“. Anleger, Gläubiger und Steuerbehörden können so vom Management über die wahre Ertragskraft des Unternehmens getäuscht werden.

Als Konsequenz hieraus hat sich mit den internationalen Bilanzierungsstandards IFRS in den vergangenen Jahrzehnten eine Philosophie durchgesetzt, die als „Fair-Value-Accounting“ bezeichnet wird: Ihr Ziel ist es, in den Unternehmenszahlen einen möglichst „wahren Wert“ der Finanzlage einer Firma darzustellen.

Problem bei IFRS ist aber, dass wirklich objektive Standards zur Ermittlung von Vermögensgegenständen oftmals fehlen. Im Wesentlichen werden daher die Bewertungen – soweit vorhanden – aus Marktwerten abgeleitet. Wenn es keine Marktwerte gibt, wird nach anderen Vergleichswerten gesucht; wenn diese ebenfalls nicht vorhanden sind, muss man die Bewertung auf der Basis von finanzmathematischen Modellen durchführen.

Diese abgestufte Vorgehensweise hat sich jedoch als Einfallstor für finanzbetrügerische Methoden herausgestellt. Denn Marktwerte und Vergleichsmaßstäbe können verzerrt sein, Modelle sind manipulierbar. Dabei haben sich folgende Praktiken als besonders geeignet für die betrügerische Verfälschung von Finanzzahlen erwiesen:

• Die überhöhte Bewertung von immateriellen Vermögensgegenständen; insbesondere wegen Goodwill; Markenrechten oder der Aktivierung von Forschungsaufwendungen.
• Das Vorbuchen von Umsätzen und Nachbuchen von Kosten; insbesondere im Zusammenhang mit Geschäften mit eigenen Tochtergesellschaften oder Lieferanten.
• Die direkte Verrechnung von Verlusten mit dem Eigenkapital, ohne dass diese in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung erscheinen.
• Die heutige Aktivierung von prognostizierten zukünftigen Gewinnen.
• Die Bewertung von außerbörslich gehandelten Derivaten.