„Sozialer Sprengstoff“ Vitt, Stoiber und Steinbrück gehen auf die EZB los

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Sollte die EZB ihre ultralockere Geldpolitik dauerhaft fortführen, sehen wir mittelfristig sechs massive Gefahren:

  1. Schon jetzt mehren sich die Anzeichen für eine zunehmende Inflation. Will die EZB ihrem Preisstabilitätsziel gerecht werden, müsste sie über kurz oder lang die Staatsanleihekäufe rückabwickeln und die Zinsen behutsam erhöhen. Das könnte in den betroffenen Mitgliedstaaten schwere Verwerfungen für die Staats- und auch für die Bankenfinanzierung auslösen, wenn sie sich nicht durch entschlossene Bemühungen zur Konsolidierung ihrer Budgets frühzeitig darauf einstellen. Lässt die EZB die Inflation hingegen laufen, wären massive gesellschaftliche Verwerfungen und Verteilungsdisparitäten die Folge. Steigende Verbraucherpreise treffen vor allem weniger vermögende und einkommensschwache Menschen. Die Historie zeigt, dass vergleichbare Konstellationen sozialen Sprengstoff bergen und zu weiterer politischer Polarisierung führen können.
  2. Eine ultraexpansive Geldpolitik kann zu einer strukturellen Wachstumsschwäche führen. Dauerhafte Negativzinsen der EZB verfestigen nicht mehr wettbewerbsfähige wirtschaftliche Strukturen und verringern den Anreiz für die EU-Staaten, durch strukturelle Reformen ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.
  3. Die erfolgreiche deutsche Soziale Marktwirtschaft wird durch Staatseingriffe ausgehebelt, die zu Gewöhnungseffekten führen. Mittlerweile hat sich eine Anspruchshaltung verfestigt, dass der Staat alle wirtschaftlichen Risiken abzudecken hat und für umfassende Sicherheit verantwortlich ist, hinter die Selbstverantwortung und der marktwirtschaftliche Auswahlprozess zurücktreten.
  4. Das „Rundum-sorglos-Paket“ der EZB entmündigt die Politik, indem es die notwendige politische Prioritätensetzung in der Ausgabenpolitik untergräbt und damit letztlich zu finanzieller Überdehnung der Staaten führt.
  5. Das europäische Bankensystem wird geschwächt. Seit der Finanzkrise von 2008/2009 haben europäische Banken im internationalen Vergleich deutlich den Anschluss verloren. Gerade die Finanzkrise hat jedoch gezeigt, dass ein stabiles und international wettbewerbsfähiges Bankensystem eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine starke Positionierung des Wirtschaftsraums Europa im Verhältnis zu den großen geopolitischen Wirtschaftsmächten ist.
  6. Die EU-Kommission nimmt erstmals in großem Stil Schulden auf, die von den Mitglied-staaten gemeinsam garantiert werden. Sollten diese nicht eine einmalige Ausnahme bleiben, wird der Zusammenhalt in der Europäischen Union gefährdet. Eine Schuldenaufnahme durch die EU mit Gemeinschaftshaftung wird immer wieder zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen zwischen „armen“ und „reichen“ Mitgliedstaaten führen und die Einheit und Solidarität in Europa gefährden. Der Zusammenhalt Europas wäre im Übrigen auch gefährdet, wenn sich die EZB in einem Umfeld steigender Inflationsraten zwischen dem Ziel der Preisniveaustabilität und einer weiteren Staatsfinanzierung entscheiden müsste.

Um diesen Gefahren wirksam begegnen zu können, sehen wir als Königsweg nur die alsbaldige Rückkehr zu einer soliden, nachhaltigen Finanz- und marktwirtschaftlichen Wachstumspolitik. Wir erwarten von der künftigen Bundesregierung:

  • ein Konzept zu erarbeiten, das eine schrittweise Rückführung der Neuverschuldung und zur Wiedereinhaltung der verfassungsmäßigen Schuldenbremse vorsieht, sobald die konjunkturelle Lage es erlaubt. Eine Abschaffung der Schuldenbremse wäre auch unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit nicht akzeptabel;
  • ebenfalls im Sinne der Generationengerechtigkeit eine nationale Wachstumsstrategie zu entwickeln, die u.a. ein Belastungsmoratorium für Unternehmen und Bürger, eine international wettbewerbsfähige Steuerpolitik, eine an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientierte Klimaschutzpolitik sowie Investitionen in die Zukunftssicherung des Standortes Deutschland – konkret in Forschung, Bildung und Infrastruktur – umfasst;
  • auf europäischer Ebene eine Einhaltung der Europäischen Verträge zu verlangen, insbesondere der „No Bail-out“-Klausel (Art 125 AEUV) und des Verbots der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV);
  • sich dafür einzusetzen, dass der Europäische Wiederaufbaufonds einmalig auf die Überwindung der Corona-Krise beschränkt bleibt und keine modellhafte Dauereinrichtung wird. Die neuen europäischen Verbindlichkeiten müssen entsprechend ihren Garantieanteilen der nationalen Staatsverschuldung zugerechnet werden. Eine gesamtschuldnerische Haftung ist auszuschließen. Die Schulden sind nicht erst bis 2058 zurückzuzahlen, sondern deutlich früher, um wieder finanziellen Spielraum für die Bewältigung künftiger wirtschaftlicher Rückschläge zu schaffen;
  • auch von anderen Staaten der Eurozone eine Reformagenda zur Verbesserung bzw. Wiederherstellung der nationalen und damit der gesamten Wettbewerbsfähigkeit der Eurozone einzufordern. Die stark von der Corona-Pandemie getroffenen Länder wie Italien oder Spanien haben ein Recht auf europäische Solidarität. Aber Solidarität ist keine Einbahnstraße. Deshalb muss die Bundesregierung auf einem wirksamen Kontrollmechanismus bestehen (z.B. durch den ECOFIN-Rat oder die EU-Kommission), der sicherstellt, dass die Mittel aus dem Wiederaufbaufonds für wachstumsfördernde und nicht für konsumtive Zwecke eingesetzt werden. Nur so kann der Fonds als Brücke dienen, um der EZB den Weg aus der dauerhaften Rolle als Nothelfer zu ermöglichen;
  • sich für eine Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts einzusetzen mit dem Ziel einer höheren Effizienz, Vereinfachung und Transparenz der gesamten Verschuldung der EU-Länder, einschließlich der nationalen Anteile an der durch den Wiederaufbaufonds verursachten EU-Verschuldung.