Vier Gründe Darum werden EM-Lokalwährungsanleihen eine Renaissance erfahren

Carlos de Sousa von Vontobel

Carlos de Sousa von Vontobel: Der Emerging-Markets-Stratege beim Züricher Investmenthaus sieht gute Einstiegschancen für Schwellenländeranleihen in Lokalwährung. Foto: Vontobel

Der Erfahrung der letzten Jahre zum Trotz haben sich Schwellenländeranleihen in Lokalwährung während der diesjährigen Verkaufswelle am globalen Anleihenmarkt als besonders widerstandsfähig erwiesen. Angeführt wurde der Rückgang von zwei traditionell sicheren Häfen, Staatsanleihen aus Industrieländern und globalen Unternehmensanleihen, die um 15,3 Prozent beziehungsweise 16,2 Prozent nachgaben.

Nur Rohstoffe übertreffen Lokalwährungsanleihen

Zwar sind Lokalwährungsanleihen nicht verschont geblieben, entwickelten sich allerdings deutlich besser als die meisten anderen festverzinslichen Anlageklassen – überraschend, wenn man bedenkt, dass Russland zum Jahresende 2021 eine Gewichtung von 7,2 Prozent im GBI-EM-Index aufwies und der Wert dieser Vermögenswerte um fast 95 Prozent zurückging, als Russland Ende März aus dem Referenzindex verbannt wurde. Ohne Russland verzeichnete die Anlageklasse einen Verlust von lediglich 7,2 Prozent seit Jahresbeginn – damit sind Rohstoffe die einzige Anlageklasse, die Lokalwährungsanleihen übertreffen.

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Worin liegt die Widerstandsfähigkeit von Schwellenländeranleihen in Lokalwährung in der ersten Jahreshälfte 2022 begründet? Wird diese Situation anhalten? Vier Gründe, warum die Anlageklasse nach jahrelanger Minderrendite ins Plus drehen wird:

1. EM-Zentralbanken sind bei der Zinserhöhung weiter

Zentralbanken in aufstrebenden Volkswirtschaften haben die Zinsen zuletzt deutlich aggressiver als ihre Pendants in den Industrieländern erhöht. Bei früheren Zinserhöhungszyklen der US-Notenbank Fed folgte ein großer Teil der Schwellenländer-Zentralbanken dem Beispiel der Fed und sorgte damit für eine relativ attraktive Zinsdifferenz (Carry). Dieses Mal ist die Situation eine andere.

Die Zentralbanken der Industrieländer fahren ihre 2020 zur Abfederung der Pandemie-Folgen eingeführten geldpolitischen Unterstützungsmaßnahmen erst seit Kurzem zurück. Inzwischen herrscht Einigkeit darüber, dass diese Währungshüter bei der Inflationsbekämpfung hinterherhinken. Im Gegensatz dazu sind viele Zentralbanken aus Schwellenländern, besonders in Lateinamerika, bei den Zinserhöhungen deutlich aggressiver vorgegangen.

Grafik 2 zeigt die gewichtete durchschnittliche Zinsdifferenz zwischen den fünfzehn größten Indexmitgliedern des GBI-EM-Index und den vier größten Industrieländer-Zentralbanken (US Fed, Europäische Zentralbank, Bank of England und Bank of Japan). Die gelbe Linie zeigt, dass das Carry nach einer zweijährigen pandemiebedingten Unterbrechung, in der die EM-Zentralbanken sich analog zum üblichen Verhalten ihrer Pendants aus Industrieländern ungewohnt antizyklisch verhielten (radikale Zinssenkungen während der Pandemie zur Stimulierung der eigenen Konjunktur anstelle prozyklischer Zinserhöhungen zum Schutz ihrer Währungen wie in früheren Krisen), wieder seinen Durchschnitt von vor 2017 erreicht hat.

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2. Inflationsrate in Schwellenländer auf fast gleichem Niveau wie in Industrieländern

Die Inflation ist in Schwellen- und Industrieländern fast gleich. Die Zinsdifferenz ist also keine nominale Illusion. Die Teuerungsrate liegt in Schwellenländern tendenziell zwei Prozentpunkte über der in Industrieländern, wie der gewichtete Durchschnitt der 15 größten Länder zeigt, die mehr als 98 Prozent des Index ausmachen (Grafik 3). Aber: Zurzeit ist das nicht der Fall. Das globale Inflationsniveau ist außergewöhnlich hoch. Die Inflation ist im Durchschnitt in den Industrieländern jedoch stärker gestiegen als in den Schwellenländern.

Zum ersten Mal seit entsprechende Daten verfügbar sind, ist die Inflation in den Schwellenländern auf einem annähernd gleichen Niveau wie in den Industrieländern. Das gilt natürlich nicht für alle. Die Inflation in Lateinamerika betrug im Mai durchschnittlich 9,2 Prozent, während die vier größten Industrieländer bei 7,9 Prozent lagen. In Mitteleuropa erreichte die Inflation im Mai derweil 13,9 Prozent. In diversen lateinamerikanischen Ländern sind die Zinsen ausreichend hoch, um die höhere Inflation auszugleichen, während sie in Mitteleuropa (Polen, Ungarn und Tschechien) dafür noch nicht hoch genug sind. Aktives Management ist also bei der Investition in EM-Anleihen in Lokalwährung weiter entscheidend.

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3. EM-Währungen sind gemessen an den Fundamentaldaten günstig

Im Durchschnitt fluktuieren Schwellenländer-Währungen nach BEER-Modellen (Behavioral Equilibrium Exchange Rate) tendenziell in einer Spanne von drei Prozent Über- bis drei Prozent Unterbewertung. Aktuell sind EM-Währungen durchschnittlich um rund acht Prozent unterbewertet. Selbstverständlich kann die Unterbewertung von Währungen lang anhalten. Das hat die türkische Lira, die wir aus unserer Gesamtrechnung herausnehmen, immer wieder gezeigt. Der Grund sind wichtige Variablen wie Marktstimmung, politische Risiken und viele andere mehr, die schwierig zu modellieren sind. Zudem variieren Währungsbewertungen selbst unter Ländern der gleichen Region deutlich. Gleichwohl dürfte die aktuelle Bewertungslage der EM-Währungen Anlegern einen günstigen Einstiegspunkt in die Anlageklasse bieten.

4. Das Engagement ist gering

Nach jahrelanger Minderrendite ist das Engagement der meisten institutionellen Anleger in EM-Lokalwährungsanleihen gering oder gar nicht vorhanden. Das impliziert, dass die Anlageklasse Potenzial für große Gewinne bietet, sobald Anleger sich wieder an Schwellenländeranleihen herantrauen. Aufgrund der Rezessionssorgen in den Industrienationen und weltweit anhaltend hoher Inflation dürfte das kurzfristig zwar nicht der Fall sein. Trotzdem dürften Schwellenländeranleihen weiter widerstandsfähiger sein als die meisten anderen Anlageklassen und nach zu den ersten festverzinslichen Anlageklassen gehören, die sich erholen werden.

Eine Hauptsorge der Anleger ist die Furcht, dass die Renditen von Lokalwährungsanleihen im Falle einer Zinserhöhung in den USA sinken werden. Das ist jedoch ein Mythos, weil die Gesamtrendite der EM-Lokalwährungen nicht im Geringsten mit den US-Zinsen korreliert. Die Logik hinter diesem Glauben ist die fälschliche Annahme, dass höhere Renditen von „Safe-Haven-Anlagen“ im Falle einer Zinserhöhung durch die US-Notenbank Fed Schwellenländeranleihen weniger attraktiv machen würden. Wie aus den Grafiken jedoch ersichtlich ist, sind die Zinsen in den aufstrebenden Volkswirtschaften schneller gestiegen als in den Industrieländern, während die Inflation sich nicht schneller entwickelt hat.

Die konjunkturellen Aussichten der Weltwirtschaft haben sich eingetrübt. Dennoch deuten günstige Devisenbewertungen, eine attraktive Zinsdifferenz und geringes Anlegerengagement darauf hin, dass der Ausverkauf in der Anlageklasse EM-Anleihen in Lokalwährung verhaltener sein dürfte als in anderen Bereichen, in denen Bewertungen überzogen und das Engagement hoch ist. Aus diesem Grund dürften EM-Anleihen in Lokalwährung ihre Widerstandsfähigkeit beibehalten und sich im Bereich der Fixed-Income-Wertpapiere als Phönix aus der Asche erheben können.

Über den Autor:

Carlos de Sousa ist Stratege für Schwellenländer und Portfoliomanager beim Züricher Investmenthaus Vontobel. Zuvor betrieb de Sousa für das Analysehaus Oxford Economics thematische Forschung zu Schwellen- und Frontier-Märkten mit besonderem Schwerpunkt auf Lateinamerika.

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