Und die reine Beitragszusage hat auch nicht den besten Ruf in der Öffentlichkeit, oder täuscht der Eindruck?
Oecking: Nein, der Eindruck ist vollkommen richtig. Direkt zum Start wurde die reine Beitragszusage als Zocker- oder Poker-Rente diskreditiert. Denn vielfach wurde nicht verstanden, dass der Verzicht auf Garantie nicht gleichbedeutend ist mit dem „Risiko des Totalverlusts“. Wir sprechen hier über einen kollektiven Sparvorgang über Jahrzehnte. Dabei können Wertschwankungen über Kapitalpuffer und Anpassungsmechanismen sowie über die Zeit aufgefangen und ausgeglichen werden.
Der Verzicht auf Garantien bedeutet, dass mehr Risiken in der Kapitalanlage eingegangen werden können, das wiederum bedeutet die Chance auf mehr Ertrag und damit auf höhere Leistungen. Der entscheidende Punkt ist aber, dass die Verlust- beziehungsweise Schwankungsrisiken durch geeignete kollektive Steuerungsmechanismen erheblich gemindert werden können; ein Totalverlust ist praktisch ausgeschlossen.
Ist das angesichts dessen, was sich an den Kapitalmärkten gerade abspielt, nicht ziemlich blauäugig?
Lucius: Nein, die Aussage bleibt auch in Zeiten wie diesen richtig. Bei vielen Diskussionen über die Altersvorsorge stört mich der oftmals nur sehr kurzfristige Blick. Vielfach werden auf Grundlage tagesaktueller Entwicklungen Ad-hoc-Entscheidungen oder, was noch viel bedenklicher ist, grundlegende Einschätzungen über die zukünftige Entwicklung getroffen. Mit Blick auf die Historie kann man sagen: Die Kapitalmärkte können Rückschläge, wie wir sie im Moment erleben, grundsätzlich aufholen, aber das kann durchaus länger als ein oder zwei Jahre dauern. Ich benutze da gerne das folgende Bild: Was sich im Moment an den Börsen abspielt, ist eine extreme Wetterlage. Es blitzt, donnert, hagelt und stürmt. Das geht vorbei, irgendwann verziehen sich die Wolken und die Sonne scheint wieder.
Für uns viel entscheidender ist die langfristige Entwicklung: Die anhaltenden, wegen Corona vielleicht sogar noch weiter sinkenden Tiefzinsen, das ist eine langfristige Klimaentwicklung. Und wir dürfen die bAV wie unsere gesamte Altersvorsorge nicht kurzfristig nach dem „Wetter“ ausrichten, sondern müssen sie auf lange Sicht nach dem „Klima“ steuern. Dazu gehört auch, dass die Vorschriften und Aufsichtsvorgaben für die Pensionskassen mehr Flexibilität benötigen, um sich besser am „Klima“ orientieren zu können. Im Moment steht die stichtagsbezogene Betrachtung noch zu stark im Vordergrund. Sie schafft bei solchen „Extremwetterlagen“ zusätzliche Probleme, die sich im Zeitablauf von selbst wieder auflösen würden.
Das Interview wurde dem private banking magazin von der Deutschen Aktuarvereinigung, der berufsständischen Vertretung der als Aktuare in Deutschland tätigen Versicherungs-, Bauspar- und Finanzmathematiker, zur Verfügung gestellt. Die Deutsche Aktuarvereinigung hat anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Instituts der versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung eine Sonderausgabe seines Verbandsmagazins „Kompass“ publiziert. Die Ausgabe („Neue Impulse für die bAV“) können Sie hier als PDF-Datei herunterladen.
Über die Interviewten:
Dr. Friedemann Lucius ist Vorstandssprecher der Heubeck AG. Ferner ist er Vorstandsvorsitzender des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung (IVS) sowie vom IVS entsandtes Vorstandsmitglied der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV).
Stefan Oecking ist Partner bei Mercer, Vorstandsvorsitzender des Mercer Pensionsfonds sowie stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung.