Versicherungsmathematiker warnen „Keine Pensionskasse bleibt vom Tiefzinsumfeld verschont“

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Sie haben bereits die Rolle der Bafin als zuständige Aufsichtsbehörde angesprochen. Diese steht für ihren Umgang mit der Tiefzinssituation durchaus im Feuer der öffentlichen Kritik. Wie sehen Sie das?

Lucius: Ich halte es nicht für gerechtfertigt, die Bafin zum Prügelknaben zu machen. Die Aufsicht verfolgt durchaus eine klare Strategie, die von Augenmaß und Konsequenz geprägt ist. Sie warnt seit zwei, drei Jahren ohne überzogene Dramatisierung öffentlich, dass sich speziell die Pensionskassen in schwierigem Fahrwasser befinden.

Im Hintergrund führt sie viele, intensive Gespräche mit den Pensionskassen, nimmt dabei durchaus auf die besonderen Umstände einzelner Kassen Rücksicht, scheut sich aber auch nicht, durchzugreifen, wenn alle anderen Handlungsoptionen ausgeschöpft sind. Mit dieser Doppelstrategie wird sie nach meiner Auffassung ihrer Überwachungs- und Mahnerfunktion gerecht. Und noch ein Punkt ist mir wichtig: Keiner kann erwarten, dass die Bafin in der Öffentlichkeit Stellung zu den Problemen einzelner Kassen nimmt.

Kleiner Themenwechsel: Sie begleiten seit Jahrzehnten die bAV in Deutschland. Wie hat sich diese in Ihren Augen in der Vergangenheit verändert?

Lucius: Sie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einer Fürsorgeleistung der Arbeitgeber zu einem wichtigen Vergütungsbestandteil für die Arbeitnehmer entwickelt. In den ersten Jahrzehnten der Republik war die steuerbegünstigte Innenfinanzierung der Unternehmen über Pensionsrückstellungen ein wichtiger Faktor, dem wir auch einen Teil unseres heutigen Wohlstandes zu verdanken haben. Aber die Zeiten haben sich geändert. Pensionsrückstellungen werden auch gerne als bilanzielle „Pensionslasten“ angesehen und der Blick für die Risiken, die damit verbunden sind, hat sich geschärft.

Zunächst war es die fortschreitende Verlängerung der Lebenserwartung, dann kam der Niedrigzins. Diese Veränderungen haben den Finanzbedarf beständig immer weiter in die Höhe geschraubt. Heute sind wir an einem Punkt angekommen, wo Finanz- und Personalchefs gleichermaßen um den richtigen Weg ringen: Der Personalchef fordert die bAV als zentrales Vergütungsinstrument, der Finanzchef fordert planbare Kosten. Das hat dazu geführt, dass bAV heute zunehmend vom Beitragsaufwand her gedacht wird, weniger von der Leistung. Und die Herausforderung in Zeiten des Niedrigzinses besteht darin, aus dem Beitrag ein Maximum an Leistung herauszuholen, ohne den Arbeitgeber untragbaren finanziellen Risiken und ohne den Arbeitnehmer untragbaren Risiken hinsichtlich der Leistungshöhe auszusetzen. 

Diese Zwickmühle sollte das Sozialpartnermodell lösen, das auf reine Beitragszusagen setzt. Warum hat das bisher noch nicht funktioniert?

Lucius: Das stimmt, leider. Wir warten noch immer auf den Pilotabschluss. Aber ich bin davon überzeugt, dass das Sozialpartnermodell der bAV durchaus neuen Schwung verleihen kann. Die reine Beitragszusage hat allerdings einen großen Schwachpunkt: die Tarifbindung. Sie erweist sich als echter Hemmschuh, da die Tarifparteien in den Tarifverhandlungen bislang vielfach ganz andere Themen im Blick haben. Sicherlich kann nicht jedes Unternehmen sein eigenes Versorgungswerk gründen – dafür braucht es Branchenlösungen – aber das starre Korsett des Sozialpartnermodells ist auch nicht förderlich.

Nach meiner Überzeugung hätte man wagen sollen, die Ausgestaltung auf betrieblicher Ebene zuzulassen und den Tarifpartnern ein Vetorecht einzuräumen. Denn die Betriebspartner kennen die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Arbeitgeber vor Ort am besten. Kollektive Regelungen auf dieser Ebene haben sich in der bAV vielfach bewährt und in den allermeisten Fällen praktikable und gut funktionierende Lösungen hervorgebracht.