Herr Voß, welchen Einfluss hat ESG, beziehungsweise Impact auf die Kapitalanlage der Nürnberger Versicherung?
Jürgen Voß: Der Einfluss ist inzwischen grundlegend und kommt aus drei verschiedenen Richtungen. Zum ersten kann niemand mehr leugnen, dass es eine ökonomische Bedeutung für unsere Kapitalanlagen gibt – im ESG-Umfeld. Es gibt eine faktische Notwendigkeit für Manager von Kapitalanlagen, sich um die Risiken zu kümmern. Die Maßnahmen der Unternehmen werden Einfluss auf ihre Bewertung haben. Der zweite Punkt schließt sich an, hat für uns aber eine eigene Bedeutung: Die Aufsichtsbehörden haben das Thema sehr stark aufgegriffen. Damit kommt zur ökonomischen auch die regulatorische Einflusssphäre. Die Berichtspflichten werden in den kommenden Jahren noch weiter ausgeweitet. Und drittens hat sich die Erwartungshaltung unserer Kunden geändert. Das darf ein Kapitalanleger nicht vergessen. Speziell in der Lebensversicherung gibt es einen hohen Anspruch der Kunden an die Verwaltung ihrer Gelder.
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Herr Voß, welchen Einfluss hat ESG, beziehungsweise Impact auf die Kapitalanlage der Nürnberger Versicherung?
Jürgen Voß: Der Einfluss ist inzwischen grundlegend und kommt aus drei verschiedenen Richtungen. Zum ersten kann niemand mehr leugnen, dass es eine ökonomische Bedeutung für unsere Kapitalanlagen gibt – im ESG-Umfeld. Es gibt eine faktische Notwendigkeit für Manager von Kapitalanlagen, sich um die Risiken zu kümmern. Die Maßnahmen der Unternehmen werden Einfluss auf ihre Bewertung haben. Der zweite Punkt schließt sich an, hat für uns aber eine eigene Bedeutung: Die Aufsichtsbehörden haben das Thema sehr stark aufgegriffen. Damit kommt zur ökonomischen auch die regulatorische Einflusssphäre. Die Berichtspflichten werden in den kommenden Jahren noch weiter ausgeweitet. Und drittens hat sich die Erwartungshaltung unserer Kunden geändert. Das darf ein Kapitalanleger nicht vergessen. Speziell in der Lebensversicherung gibt es einen hohen Anspruch der Kunden an die Verwaltung ihrer Gelder.
Inwieweit berücksichtigen Sie bislang Artikel 6,8 und 9 in der Kapitalanlage?
Voß: Die Diskussion dreht sich um die Frage, welche Kriterien dauerhaft erfüllt sein müssen, um das gesamte Sicherungsvermögen nach Artikel 8 oder sogar Artikel 9 konform zu verwalten. Was Artikel 9 betrifft, so gibt es hier – stand heute – noch viele Unsicherheiten. Insgesamt sehe ich die Artikel 9-Konformität als extrem ambitioniert an. Unser Portfolio muss diversifiziert sein und viele Anforderungen erfüllen. Deshalb ist eher Artikel 8 das Ziel. Auch hier ist jedoch noch unklar, wie die Vorgaben der Regulatoren auf Dauer sein werden. In anderen regulatorischen Umfeldern war zu beobachten, dass die Anforderungen über die Jahre sukzessive immer weiter erhöht wurden. Deshalb kann ich heute auch keine Aussage darüber treffen, in welchem Jahr wir vollständig Artikel-8-fähig sein werden.
Was bedeutet das für Sie?
Voß: Der Zielzustand der Portfolien und der Zeitpunkt der Erreichung ist eine schwierige Frage, die wir viel diskutieren und die wir noch nicht final beantwortet haben. Es ist aber klar, dass unser Portfolio jedes Jahr nachhaltiger wird und die Schritte, mit denen wir vorwärtskommen, sind deutlich.
Lässt der Regulator ihre Branche da ein Stück weit im Stich?
Voß: Es gibt einen klaren Konsens in der Versicherungsbranche, dass auch der Regulator auf die ökologischen Entwicklungen reagieren muss. Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage muss gegangen werden und auch wir werden diesen Weg mit Überzeugung mitgehen und unterstützen. Wünschen würde ich mir dazu aber unter anderem, dass die einzelnen Regulierungsinitiativen abgestimmter und durchdachter erfolgten, siehe beispielsweise die zeitliche Abfolge von Transparenz- und Taxonomie-Verordnung. Auch gibt es Verordnungen, zu denen zunächst die technischen Regulierungsstandards fehlen, oder Termine werden kurzfristig verschoben. Das geht alles auf Kosten der Planbarkeit, die wir in unserer täglichen Arbeit benötigen.
Haben Sie ein Beispiel?
Voß: Wir müssen nun erstmals über die Taxonomiefähigkeit unserer Kapitalanlagen berichten. Wir haben aber noch keine Ist-Angaben, weil unsere Berichtspflicht zeitgleich mit der, der Unternehmen beginnt, von denen wir die Daten benötigen. Das kann nicht funktionieren. Wenn keine Ist-Angaben vorhanden sind, dürfen auch keine Schätzungen verwendet werden. Unterm Strich bedeutet das: wir müssen berichten, aber es gibt im Wesentlichen nichts zu berichten.
Wir sehen unsere Berichtspflicht und erkennen diese voll und ganz an, aber wir können sie momentan nur formal und nicht inhaltlich erfüllen. Auch für die kommenden Jahre gibt es viel offene Fragen. Dazu kommen natürlich die Unternehmen aus den USA oder Asien, welche der Transparenzverpflichtungen in Europa nicht unterliegen. Da sind wiederum nur Schätzungen möglich.
Seriös lässt sich derzeit also nicht sagen: Unser ganzes Portfolio ist Artikel 8?
Voß: Nein, wie gesagt, es ist ein Weg mit Unwägbarkeiten dorthin. Und wir müssen aufpassen, dass wir auf diesem Weg nicht in den Verdacht des Green Washing geraten.
Inwiefern?
Voß: Sollte die Artikel 8 Fähigkeit festgestellt und kommuniziert worden sein und geht diese Eigenschaft später wegen einer Verschärfung bei den aufsichtsrechtlichen Vorgaben verloren, steht der Verdacht im Raum, dass die zuvor kommunizierte Artikel 8 Fähigkeit nicht berechtigt war, dass also Green Washing vorliegt.
Wie sieht ihre Strategische Asset Allokation heute aus und wie soll sie sich mittelfristig entwickeln?
Voß: Als erstes geht es für uns um die Frage, wie viele Substanzwerte und wie viele festverzinsliche Anlagen im Portfolio sind. Ein Lebensversicherer hat traditionell den Großteil in festverzinslichen Anlagen. Wir haben viele Verträge, die nicht so zinssensitiv sind, beispielsweise Einkommensschutzprodukte. Wir können deshalb etwas anders vorgehen und haben eine relativ hohe Quote an Aktien, Private Equity, Infrastruktur-Equity und Immobilien. Unterm Strich machen diese Werte bei uns aktuell knapp 25 Prozent aus. Hier ist ein weiterer Ausbau Richtung 30 Prozent geplant.
Wann hat die Nürnberger Versicherung damit angefangen, diesen Anteil zu erhöhen?
Voß: Als ich 2017 die Verantwortung für die Kapitalanlagen übernommen habe, waren wir in diesem Bereich bereits bei knapp 20 Prozent. Unsere Strategie dahinter ist sehr langfristig ausgelegt. Innerhalb der festverzinslichen Allokation haben wir auch einen relevanten Anteil an Unternehmensanleihen und werden diesen zunehmende durch Private Debt ergänzen. Da wir unsere zukünftigen Cashflows sehr genau kennen, können wir uns illiquide Analgen erlauben und so Illiquiditäts- und Komplexitätsprämien erzielen.
Sie investieren ausschließlich über externe Asset Manager in Private Debt. Was müssen diese für sie mitbringen?
Voß: Der Prozess sieht bei uns so aus, dass wir uns eine nach der anderen Sub-Asset-Klasse genau ansehen. Private Debt ist ja ein weites Feld – Immobilien, Infrastruktur, Corporate Debt, Distressed Debt um nur einige zu nennen. Immobilien und Infrastruktur sind derzeit in unserem Blickpunkt. Der Asset Manager muss fachliche Expertise und einen guten Track Record vorweisen können. Dazu kommt, dass wir die in Aussicht gestellte Zielrendite auch ökonomisch verstehen wollen. Können wir das nicht, wird der Asset Manager nicht beauftragt - auch, wenn er uns eine sehr hohe Rendite in Aussicht stellt. Das heißt nicht, dass wir auf Rendite verzichten, diese steht ja erstmal nur auf dem Papier. Weitere Themen sind für uns die Gebührenstruktur und der breite Marktzugang.
Worauf müssen Sie bei ihren Anlagen achten?
Voß: Wir sind als großer Lebensversicherer ein Investor, der stark auf seine Passivseite schauen muss – Stichwort ALM. Wir sind also nicht vollkommen frei auf der Aktivseite, insbesondere bei der Währung gibt es Einschränkungen, da unsere Verbindlichkeiten zu annährend 100 Prozent in Euro denominiert sind. Laufzeiten- und Verbindlichkeiten-Strukturen spielen eine Rolle. Da wir ein großer BU-Versicherer sind, haben wir aber mehr Freiheiten und auch die Möglichkeit weniger Fixed-Income-lastig anzulegen.
Sie favorisieren Immobilien-Debt. Durch Basel III könnten hier große Anlagechance von bis zu 270 Milliarden Euro für Institutionelle entstehen. Wie schätzen sie das ein, auch im Bezug auf Dry Powder?
Voß: Ob unterm Strich tatsächlich 270 Milliarden Euro stehen, das kann ich nicht beurteilen. Der genannte Effekt findet aber statt. Selbstverständlich gibt es aber auch abseits der Banken viele Investoren, die auf der Suche nach Rendite zu überschaubaren Risiken sind. Von daher sind durch Basel III mit Sicherheit Möglichkeiten entstanden. Aber auch die Nachfrage steigt.
Und steigt der Preisdruck?
Voß: Ja, das merken wir. Die große Nachfrage nach renditeträchtigen Anlagen führt dazu, dass die Rendite sinkt. Weil das Angebot nicht im gleichen Maße steigt wie die Nachfrage.
Diversifikation, beispielsweise nach Asien könnte helfen. Eine Studie der Frankfurt School of Finance besagt allerdings, dass Institutionelle Investoren aus Deutschland – wegen des Home Bias - auf Rendite verzichten. Fühlen Sie sich angesprochen?
Voß: Das ist die erwähnte Limitierung der wir unterliegen. Wir müssen eine weitgehende Währungskongruenz auf Aktiv- und Passivseite sicherstellen. Je nach Risikoappetit kann man als Unternehmen vielleicht 5-10 Prozent davon abweichen. Das nutzen wir auch aktiv, teilweise unter Währungsabsicherungen. Nahezu alle Benchmarks, nach denen wir investieren sind international. Nur in wenigen Fällen tun wir das nicht, wenn beispielsweise eine Chance-Risikoüberlegung oder eine Marktzugangserwägung dagegenspricht.
Würden Sie sich wünschen, dass es die Währungsbelegenheit nicht gibt, oder halten Sie diese für einen vernünftigen Rahmen?
Voß: Unter dem Aufsichtsregime Solvency II ist das keine strenge Regelung. Für die Versicherer, die Solvency II unterliegen, gilt ja die Anlagenverordnung nicht mehr. Wir müssen unter dem Strich ausreichende Solvenzquoten ausweisen, das ist die Herausforderung. Damit haben wir insgesamt mehr Freiheiten als früher. Wir als Nürnberger haben sehr gute Solvenzquoten und werden diese zukünftig nutzen, um noch mehr in ertragreiche Assetklassen zu investieren.
Das klingt nach einer komfortablen Situation…
Voß: Ja, bei den Substanzwerten machen wir das, wie gesagt, bereits seit Langem. Jetzt können wir überlegen, ob wir bei den Währungen, oder auch bei anderen Assetklassen mehr Risiken nehmen. Tendenziell ist das auch vom Zinsniveau abhängig. Bei höheren Zinsen ist die Risikotragfähigkeit von Versicherern höher.
Sind Sie mit Solvency II zufrieden?
Voß: Bei der europäischen Regulierung gibt es fortlaufend eine Weiterentwicklung. Einige dieser Entwicklungen sind hilfreich, einige weniger. Unter dem Strich bleibt für uns Versicherer eine Herausforderung, wirklich immer alle Vorschriften im Detail zu kennen und einzuhalten. Unter anderem bindet das auch sehr viele Ressourcen. Hatte eine Versicherung früher vielleicht 10 Aktuare, hat sie heute 30 oder 40.
Nichts desto trotz ist mein Eindruck, dass die Branche sich sehr gut an das Aufsichtsregime gewöhnt hat, die allgemeine Sinnhaftigkeit des Ganzen nicht anzweifelt und ihr Geschäftsmodell gut steuern kann. Da bei uns das Geschäftsmodell stark auf Risikoprodukten beruht, bringt Solvency II für uns viele Vorteile. Im alten Solvenz-Modell wurde unser Geschäftsmodell nicht ausreichend gewürdigt.
Solvency II, Inflation, oder Taxonomie – was wird Sie mittelfristig am meisten beschäftigen?
Voß: Eine Priorisierung fällt hier nicht einfach. ESG und die Taxonomie werden derzeit stark diskutiert. Klimaschutz durch entsprechendes Investieren der großen Anleger, das wird uns für eine sehr lange Zeit begleiten und das mit einem Einfluss, den man nicht überschätzen kann. Trotzdem sind für einen Versicherer natürlich die Zinsentwicklung und die Inflation weiterhin sehr bedeutsam. Und Solvency II bildet das ab, ist der Rahmen der dafür gespannt ist.
Macht das Thema ESG Sie zu einem aktiveren Shareholder?
Voß: Unser Ansatz ist, dass wir uns eine umfassende ESG-Policy für die Kapitalanlage aller Versicherer innerhalb der Nürnberger Versicherung vorgegeben haben. Diese hat den Anspruch, in alle Schritte des Investment-Prozesses den Nachhaltigkeitsgedanken zu integrieren. In der Umsetzung ist das selbstverständlich nicht von heute auf morgen vollständig zu erreichen. Gerade bei den illiquiden Assets, also im Immobilienbereich und bei Private Equity sind wir derzeit dabei, ganz konkret festzulegen, wie der Investmentprozess ausgestaltet sein muss. Nur so können wir die Nachhaltigkeit in unseren alternativen Portfolios sukzessive erhöhen.