Vernachlässigte Beratungsthemen, Teil 1 Warum Patientenverfügungen ins Kundengespräch gehören

Ulrich Welzel ist Experte und Trainer für die Themen Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

Ulrich Welzel ist Experte und Trainer für die Themen Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

Ein Großteil der vermögenden und sehr vermögenden Kunden haben keine Verfügungen und Vollmachten für den Fall der Fälle. In der lebensphasenbegleitenden Finanzplanung ist es die Pflicht des Beraters die Kunden darauf anzusprechen. Das setzt voraus, dass sich Berater im Thema bestens auskennen.

Der Fall

Es ist das Jahr 2010, der Fall eine wahre Begebenheit: Walter F. (66) findet seine Frau Luise (67) nach einem Herzinfarkt im Wohnzimmer, wo sie schon 15 Minuten gelegen haben muss. Er ruft sofort den Notarzt, der seine Frau ins Krankenhaus einweist. Im Krankenhaus fällt seine Frau ins Wachkoma.

Walter F. bittet die behandelnden Ärzte, keine lebensverlängernden Maßnahmen einzuleiten. Seine Frau hat immer mündlich deutlich gemacht, dass sie nicht leiden und so nicht sterben will. Eine unterschriebene Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht haben Walter und Luise F. immer rausgezögert, in der Hoffnung, dass nichts passiert.

Der Arzt bittet Walter F. und seine anwesende Tochter (42) aus dem Krankenzimmer zu gehen. „Da Sie keine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht vorlegen können, haben Sie hier nichts zu sagen.“

Wütend auf den Arzt und betroffen, dass er seiner Frau nicht helfen kann, wendet sich Walter F. an einen Anwalt. Es dauerte noch zwei Jahre, in denen Luise F. nicht mehr aufwachte, bis die Maschinen abgestellt wurden und sie friedlich versterben konnte.

Das Fazit von Walter F.: „Hätte ich gewusst, was da auf mich zukommt, hätten wir eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht ausgefüllt oder ich hätte den Notarzt fünf Minuten später geholt.“

Alltägliche Situation

Die geschilderte Situation oder eine ähnliche erleben viele Familienangehörige. Wer bei Betroffenen nachfragt, ob in der Bankberatung das Thema Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht jemals angesprochen wurde, bekommt sehr oft ein Nein zu hören.

Bei einer Umfrage auf dem private banking kongress in München im April 2015 wurden 90 Certified Financial Planner (CFPs), Stiftungs- und Erbrechtsspezialisten gefragt, ob sie selber im Besitz einer Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sind. 72 Prozent gaben an, selber nicht vorgesorgt zu haben. Wer als Berater bereits heute biometrische Risiken seiner Kunden absichert, sollte sich inhaltlich mit dem Thema beschäftigt haben.

Ab dem 18. Lebensjahr benötigt jeder Bundesbürger eine eigene Patientenverfügung. Volljährige dürfen keine Entscheidungen für andere volljährige Menschen treffen. Das gilt sowohl für Ehepartner wie auch für volljährige Kinder. Bis zum 18. Geburtstag sind Kinder automatisch über die Eltern abgesichert.

Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Neurologie erleiden in Deutschland jedes Jahr 250.000 Menschen einen Schlaganfall. Der 24. Deutsche Herzbericht spricht von 212.914 Herzinfarkten und die Deutsche Krebshilfe geht von 490.000 Neuerkrankungen pro Jahr aus. Nicht jeder Fall führt automatisch zum Tod.

Was regelt die Patientenverfügung?

Für den Fall, dass eine Person ihren Willen auf Grund von Erkrankungen nicht mehr wirksam erklären kann, gilt die Patientenverfügung als schriftliche Vorausverfügung.

Die Patientenverfügung ist Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes und dokumentiert den Willen des Patienten. Der Betroffene entscheidet, für den Fall einer schweren Krankheit oder eines schweren Unfalls über zukünftige medizinische Behandlungen. Auch die Einstellung zu lebensverlängernden Maßnahmen wird klar geregelt.

Gerade in schwierigsten Fällen, wenn der unmittelbare Sterbeprozess noch nicht begonnen hat, ist es sinnvoll die Einstellung zur Beendigung von Sonderernährung zu kennen. Speziell geschulte Ärzte und erfahrene Pfleger begleiten den Sterbeprozess.

Für Ärzte, Bedienstete von Krankenhäusern und Pflegeheimen, Angehörige, Bevollmächtige und Betreuer ist der in der Patientenverfügung geäußerte Wille verbindlich und dient somit als Hilfestellung.

Eine Missachtung der Patientenverfügung wird vom Gesetzgeber als Körperverletzung gewertet und ist strafbar. Im Patientenverfügungsgesetz (Paragraf 1901a Bürgerliches Gesetzbuch) ist die Rechtswirksamkeit und Verbindlichkeit geregelt. Die Befolgung der Wünsche ist nach geltendem Recht keine verbotene aktive Sterbehilfe.

Die Patientenverfügung muss klar, genau und unmissverständlich formuliert sein. Die Wertvorstellungen zu Leiden, Krankheit, Sterben, Verlust von Wahrnehmung und Kommunikation, Behinderung und Tod werden dokumentiert.

In einer gesonderten Erklärung wird die Einstellung zur Organspende beschrieben. Weltanschauliche und religiöse Einstellungen finden genauso Berücksichtigung und werden auf einem Beiblatt handschriftlich hinterlegt. Diese Art der Erklärung dient der größeren Glaubwürdigkeit und findet bei Ärzten und Pflegern eine hohe Akzeptanz.

Spezielle Formen der Patientenverfügung sind sinnvoll, wenn es sich um sterbenskranke Kinder, Hochbetagte oder Schwersterkrankte wie ALS-Patienten handelt. Hier ist es notwendig, dass ein Arzt den Beratungsprozess mit begleitet.

Eine notarielle Beurkundung ist grundsätzlich nicht notwendig. Bei Verlust der Schreibfähigkeit, bei Blindheit, Immobiliengeschäften, Handelsfirmen, Darlehensaufnahmen ist es sinnvoll und notwendig, einen Notar hinzuzuziehen. Das hat den Vorteil, dass die Einsichts- und Geschäftsfähigkeit mit überprüft werden kann. Es kann sinnvoll sein, wenn erste kognitive Veränderungen bekannt sind. Für den Notar ist es als Laie sehr schwierig, abzuwägen ob der Klient im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist und ob er das Für und Wider im Moment überschaut.