Nachdem Vertreter verschiedener politischen Parteien in den vergangenen Jahren immer wieder eine Reform der erbschaftsteuerlichen Begünstigung von Unternehmensvermögen bis hin zu ihrer vollständigen Abschaffung gefordert haben, wird sich nun auch das Bundesverfassungsgericht mit der Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit auseinandersetzen. Dessen Beurteilung könnte weitreichende Folgen haben.
Aktuelle Vorschrift: hundertprozentige Verschonung von Betriebsvermögen
Die erbschaftsteuerliche Begünstigung der Übertragung von Betriebsvermögen gibt es schon lange. Sie reicht in die 1990er Jahre zurück. Die Begünstigungsvorschriften wurden aber seither fortlaufend modifiziert und zuletzt durch die Erbschaftsteuerreform 2016 deutlich eingeschränkt. Grund der Reform war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 17. Dezember 2014, mit dem die damaligen Regelungen zur Betriebsvermögensverschonung in Teilen für verfassungswidrig erklärt wurden.
Die derzeitigen Begünstigungsvorschriften finden sich in §§ 13a –13c, 19a und 28a ErbStG. Sie sehen unter bestimmten Voraussetzungen sogar auf dem Papier eine bis zu hundertprozentige Verschonung von Betriebsvermögen vor, um die Unternehmensnachfolge zu erleichtern und insbesondere Arbeitsplätze zu sichern. Unternehmenserben beziehungsweise -nachfolger sollen durch die (teilweise) Begünstigung vor einer zu hohen Liquiditätsbelastung geschützt werden.
Politische Reformdiskussionen – Einigung nicht in Sicht
I. Wahlprogramm und Koalitionsvertrag
Die dargestellte erbschaft- und schenkungsteuerliche Begünstigung von Betriebsvermögen wird auch nach der letzten Reform im Jahr 2016 höchst kontrovers diskutiert. So wurde in den vergangenen Jahren der Ruf nach einer erneuten Überarbeitung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) immer lauter. Insofern verwunderte es nicht, dass sich nahezu alle politischen Parteien in ihrem Wahlprogramm zur Wahl des 20. Deutschen Bundestag (2021) mit dem Thema Erbschaftssteuer auseinandersetzten.
Bereits damals wurde deutlich, dass die Meinungen zum richtigen Umgang mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer im Allgemeinen und den Begünstigungsregelungen für Betriebsvermögen im Besonderen kaum unterschiedlicher hätten sein können. So kam im Koalitionsvertrag 2021 von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP keine Einigung zur Reform der Erbschaftsteuer zustande.
II. Aktuelle Bundestagsdebatte
Diese Uneinigkeit der amtierenden Bundesregierung wurde noch einmal deutlich, als es am 22. Juni 2023 in zweiter Lesung des Bundestages über einen Antrag der Linksfraktion, sämtliche Vergünstigungen für große Unternehmenserbschaften zu streichen, sowie einen Antrag der AfD-Fraktion zur vollständigen Abschaffung der Erbschaftsteuer zur Aussprache kam: Sowohl die SPD als auch das Bündnis 90/die Grünen wollen die Begünstigungen für Betriebsvermögen insbesondere die Verschonungsregelungen für Großvermögen von über 26 Millionen Euro deutlich einschränken und die Steuerbelastung durch entsprechende Stundungsmöglichkeiten mildern.
Die SPD zieht darüber hinaus zur Finanzierung der Erbschaftsteuer auch stille Einlagen des Staates in Betracht (der Fiskus würde sich dann als „stiller“ Unternehmer in das Unternehmen einkaufen, was zu einer – eventuell nur vorübergehenden – Teilverstaatlichung des Unternehmens führen würde). Demgegenüber will die FDP an den Begünstigungsvorschriften festhalten und stattdessen die Freibeträge um 25 Prozent erhöhen sowie zukünftig an die Inflation anpassen.
Die CDU/CSU fordert neben einer einheitlich niedrigen Erbschaftsteuer in Höhe von circa 10 Prozent (Flattax) eine Erhöhung der Freibeträge und schlägt vor, die betrieblichen Verschonungsregelungen auszubauen und zu vereinfachen. Die aktuelle Regierungskoalition wird sich bei einer Reform der Erbschaftsteuer nur schwer auf einen Kompromiss einigen können. Vor diesem Hintergrund ist eine alsbaldige gesetzgeberische Neuregelung der Begünstigungsvorschriften eher nicht zu erwarten.
Verfassungsmäßigkeit der Verschonungsregelungen
Auch verfahrensrechtlich kommen die erbschaftsteuerlichen Regelungen nicht zur Ruhe. So gibt es aktuell zwei Verfahren, in denen es erneut um die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Erbschaftssteuergesetzes geht:
I. Verfassungsbeschwerde
Ein Erbe hat gegen die Besteuerung seiner Erbschaft (Kapitalvermögen) geklagt, weil er das derzeitige Erbschaftsteuergesetz (in der Fassung seit Mitte 2016) wegen der ungleichen Besteuerung von Privat- und Betriebsvermögen für verfassungswidrig hält. Die Klage wurde vom Finanzgericht Münster mit Urteil vom 6. Mai 2021 (FG Münster, 3 K 3532/19) als unbegründet abgewiesen; Revision wurde nicht zugelassen. Hiergegen wandte sich der Kläger mit der sogenannten Nichtzulassungsbeschwerde, die der BFH als Revisionsinstanz jedoch ebenfalls als unbegründet abwies (Beschluss vom 17. Januar 2022, BFH, II B 49/21).
Daraufhin legte der Kläger Verfassungsbeschwerde zum BVerfG ein (Az.: 1 BvR 804/22). Auch wenn das Bundesverfassungsgericht aufgrund des konkreten Rechtsstreits vorrangig die mögliche Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruchs prüfen wird und damit keine unmittelbaren Aussagen zur Verfassungsmäßigkeit des geltenden Erbschaftsteuergesetzes treffen wird, wird von der Entscheidung dennoch eine gewisse Indizwirkung für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der erbschaftsteuerlichen Begünstigungsvorschriften ausgehen. Das Verfahren zeigt zugleich einmal mehr, wie umstritten die Regelungen sind und dass die Unterscheidung zwischen Privat- und Betriebsvermögen für steuerliche Zwecke in der Bevölkerung nicht vollkommen akzeptiert wird.
II. Normenkontrollverfahren des Freistaats Bayern
Parallel hat auch der Freistaat Bayern gestützt auf die Begründung, die persönlichen Erbschaftsteuerfreibeträge seien zu niedrig, die Steuersätze zu hoch, am 16. Juni 2023 eine „Verfassungsklage“ gegen das Erbschaftsteuergesetz erhoben. Hierbei handelt es sich um eine abstrakte Normenkontrolle, bei der die Verfassungsmäßigkeit des ErbStG vollumfänglich durch das Bundesverfassungsgericht überprüft wird. In diesem Verfahren wird dem Bundesverfassungsgericht somit die Tür geöffnet, die durch das ErbStAnpG 2016 (BGBl. I 2016, 2464) geänderten Begünstigungsvorschriften für Betriebsvermögen vollumfänglich zu überprüfen und das geltende Recht gegebenenfalls als verfassungswidrig einzustufen.
Fazit und mögliche Handlungsempfehlungen
Dass es auf Eigeninitiative der Regierungskoalition noch in dieser Legislaturperiode zu einer Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes und der erbschaftsteuerlichen Begünstigungsvorschriften kommen wird, scheint eher unwahrscheinlich. Allerdings sollte mit Blick auf die Bundestagswahlen 2025 und sich eventuell verändernder politischer Machtverhältnisse das Thema nicht aus den Augen verloren werden.
Ungeachtet dessen könnte aber auch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Verfassungsklage des Freistaats Bayern zu dem Ergebnis kommen, dass das ErbStG und die Begünstigungen für Betriebsvermögen in Teilen verfassungswidrig sind, und dem Gesetzgeber einen regulatorischen Auftrag erteilen. Diese Möglichkeit halten wir für nicht völlig ausgeschlossen.
Eine Übertragung von Betriebsvermögen unter den derzeitigen Regelungen frühzeitig in den Blick zu nehmen, ist empfehlenswert. Der Prozess für eine geordnete Nachfolge ist nicht nur steuerlich, sondern auch menschlich und inhaberstrategisch komplex. Daher gilt: je früher, desto besser.
Gleichzeitig empfehlen wir, Schenkungsverträge proaktiv zu überprüfen und gegebenenfalls dahingehend zu ergänzen, dass auch für den Fall, dass die Begünstigung von Betriebsvermögen rückwirkend für verfassungswidrig erklärt wird, ein Widerruf oder ein Rücktritt der Schenkung möglich ist.
Über die Autoren:
Sebastian Koch ist Rechtsanwalt und Senior Manager bei der Kanzlei gkn Gräfe Klümpen-Neusel, die vermögende Privatpersonen, Family Offices und Stiftungen in Steuer- und Strukturierungsfragen berät. Zuvor war er bei der Kanzlei Rittershaus in Frankfurt am Main in den Bereichen Gesellschaftsrecht und Vermögens- und Unternehmensnachfolge tätig.
Andreas Wildgruber ist Steuerberater und Manager bei der Kanzlei gkn Gräfe Klümpen-Neusel, die vermögende Privatpersonen, Family Offices und Stiftungen in Steuer- und Strukturierungsfragen berät. Zuvor war er bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO in München im Bereich Vermögens- und Unternehmensnachfolge tätig.