Vergleich von ESG-Ratings Investoren müssen präzise Nachhaltigkeitsziele formulieren

Stefan Fritz (li.) und Jakob Heidecke: In ihrem Beitrag hinterfragen die Autoren die Bewertungsansätze von ESG-Rating-Agenturen.

Stefan Fritz (li.) und Jakob Heidecke: In ihrem Beitrag hinterfragen die Autoren die Bewertungsansätze von ESG-Rating-Agenturen. Foto: GLS Bank

ESG-Rating-Anbieter nehmen eine wichtige Rolle am nachhaltigen Kapitalmarkt ein. Mit ihrem Bestreben, die sozialen und ökologischen Leistungen von Unternehmen zu bewerten, animieren sie diese zu höherer Transparenz. Dadurch nehmen sie die Rolle als Sparringspartner ein und zeigen Unternehmen auf, wie sie ihre Performance in den Bereichen zielgerichtet verbessern können.

Zudem entwickeln die Agenturen kontinuierlich ihre Methodiken weiter und schärfen somit das allgemeine Verständnis von Nachhaltigkeit am Markt. Mit ihren unterschiedlichen Ansätzen zeigen sie auch, dass Nachhaltigkeit vielfältig und eine differenzierte Betrachtung von Unternehmen notwendig ist.

Agenturen orientieren ihre Dienstleistungen an Marktbedürfnissen

Allerdings haben die Bewertungsansätze der Agenturen Schwächen. Die erste ergibt sich aus der Struktur des ESG-Rating-Marktes. Die einstmals bunte Landschaft von ESG-Rating-Agenturen ist zu einem Oligopol vier großer Anbieter geworden.

Die Unternehmen befinden sich in US-amerikanischer Hand; zwischen ihnen herrscht ein massiver Preiskampf. Um wirtschaftlich bestehen zu können, müssen die Agenturen bestimmte Standardleistungen erbringen, die von ihren Kunden, also Investmentgesellschaften, Versicherungen, Pensionsfonds, etc. erwartet werden. Dies sind insbesondere quantitative Nachhaltigkeitsinformationen zu Unternehmen großer Börsenindizes, die in (komplexen) Scoring-Modellen dargestellt werden. Damit können Investoren die Nachhaltigkeitsleistungen ihrer eigenen oder extern gemanagten Fonds gegenüber Benchmarks vergleichen und veranschaulichen.

Bevorzugung großer, indexgelisteter Konzerne

Große Unternehmen werden aus diesem Grund regelmäßig auf ihre Nachhaltigkeit überprüft. Sie haben häufig ein internes Berichtswesen aufgebaut, mit dem sie umfangreich über ihre ESG-Leistungen Auskunft erteilen. Kleinere, teils sehr nachhaltige Unternehmen verfügen selten über die Kapazitäten, um sich mit den komplexen ESG-Reporting-Anforderungen auseinanderzusetzen. Sie werden auch seltener von Agenturen beachtet – und falls doch, aufgrund der fehlenden Datengrundlage schlechter bewertet. Am Markt gibt es daher immer wieder Stimmen, die auf eine positive Verzerrung von ESG-Ratings für große Unternehmen hinweisen.

Viele Portfoliomanager sind aufgrund ihrer Ausbildung zahlenaffin. Häufig sind sie sowohl für die Nachhaltigkeit als auch für die ökonomische Performance des Portfolios zuständig. Daher sind sie bestrebt, dass ihr Portfolio Titel enthält, die sowohl unter ökonomischen Grsichtspunkten als auch in Bezug auf ESG-Scorings hohe Bewertungen aufweisen. 

Die Folge ist, dass Investoren eher in multinationale Konzerne investieren, die ohnehin mit Geld überschüttet werden. Kleine Unternehmen werden aufgrund eines schlechten Ratings, aber auch angesichts mangelnder Handelbarkeit ihrer Aktien oder zu hohem finanziellen Risiko seltener nachgefragt. Sie müssen um jeden Investor kämpfen, ganz gleich wie nachhaltig ihr Geschäftsmodell ist. So ist es dazu gekommen, dass viele kleine Unternehmen kaum Finanzierungsoptionen am Kapitalmarkt haben, obwohl immer mehr Kapital in sogenannte Nachhaltigkeits-, ESG-, SRI-, Impact-, SDG- und Low-Carbon-Fonds fließt.