Verkehrte Welt Venture Capital in Europa: Investoren aus Übersee führen oft Finanzierungsrunden an

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Zugleich bietet das europäische Ökosystem derzeit reichlich Gelegenheiten, an Finanzierungsrunden teilzunehmen und neue Investments zu tätigen. Was das neu investierte Kapital in die europäische Techbranche angeht, wird das Jahr 2021 in die Geschichtsbücher eingehen. Über 100 Milliarden an Venture Capital und Growth Equity wurden im vergangenen Jahr neu investiert – mehr als eine Verdoppelung der Zahl des Vorjahres. Schon im Vorjahr war mit 48 Milliarden US-Dollar mehr als das Doppelte des Werts von 2016 und mehr als das Zehnfache des investierten Kapitals von 2010 erreicht worden. Auch in dieser Hinsicht ist das europäische Ökosystem aus unserer Sicht in eine exponentielle Entwicklung eingetreten.

Zugleich hat Europa damit einige der strukturellen Schwächen seines Wagnis- und Wachstumskapitalökosystems ausgemerzt, die besonders groß waren. So waren vor 2005 fehlende Finanzmittel und das Fehlen einer hinreichend breiten Risikokapitalkultur ein strukturelles Hindernis für den Erfolg. Die Verfügbarkeit von Kapital hat seither jedoch mit Blick auf alle Investitionsphasen zugenommen, einschließlich der Frühphase, der Wachstumsphase und der Zeit unmittelbar vor dem Börsengang.

Wachstumsfinanzierungen waren der Bereich, in dem viele Europa den größten Nachholbedarf attestiert hatten – und genau hier hat Europa in den vergangenen Jahren die größten Zuflüsse verzeichnet: Die Finanzierung in der Wachstumsphase ist um das Fünffache gestiegen, während die Finanzierung in der Frühphase in der gleichen Zeit nur um das 2,3-fache zugenommen hat. Auch im Jahr 2021 wurde das Wachstum der investierten Summen weitgehend von größeren Finanzierungsrunden (250 Millionen US-Dollar und mehr) getragen, deren absolute Anzahl in den letzten 12 Monaten per Ende Dezember 2021 um das Zehnfache gestiegen ist. Somit entfallen inzwischen 33 Prozent des gesamten weltweit in Wachstumsunternehmen investierten Kapitals bei Finanzierungsrunden bis zu fünf Millionen Euro Volumen auf Europa, was wir als sehr positives Zeichen werten.

Ein wachsender Anteil der Wertschöpfung findet abseits der Börsen, an Private Markets, statt.

Zum Vergleich: Die USA kommen auf 35 Prozent. Ein wesentlicher Faktor, der das europäische Ökosystem von demjenigen vor zwei Jahrzehnten unterscheidet, ist die enorme Verbreiterung und Vertiefung des Marktes. Wir haben inzwischen zahlreiche Venture Capital-Firmen von Weltrang mit signifikanten Engagements in Europa und der Markt bietet für alle Investitionsphasen ein gutes Kapitalangebot. So haben nicht zuletzt führende US-Firmen wie Sequoia, General Catalyst, Bessemer, Battery und andere – nach Europa expandiert, um Zugang zu den Chancen hier vor Ort zu haben. Diese Expansion signalisiert nach unserer Auffassung eine hohe und marktbreite Zuversicht, dass die Stärke des europäischen Ökosystems kein Strohfeuer ist, sondern wahrscheinlich Bestand haben wird.


Die verbesserten Finanzierungsbedingungen für Wachstumsfirmen haben noch ein weiteres Thema auf die Agenda gebracht, das bei den Allokationen bedacht werden sollte. Das zunehmende Interesse globaler Investoren an europäischen Wachstumsfirmen und die bessere Verfügbarkeit von Kapital haben nämlich in einigen Fällen dazu geführt, dass starke Unternehmen länger warten, bis sie an die Börse gehen. Ein wachsender Anteil der Wertschöpfung findet also abseits der Börsen, an Private Markets, statt. Jüngste Zahlen deuten darauf hin, dass knapp 60 Prozent des geschätzten Gesamtwerts aller europäischen Technologieunternehmen im Besitz privater Investoren sind, darunter Risikokapital- und Private-Equity-Investoren, Gründer, Management und Mitarbeiter.