Vanguard-Experten zu Engpässen im Rentenmarkt „Nach Staatsanleihen gibt es Probleme mit Corporates“

Sara Devereux und Paul Jakubowski von der Fondsgesellschaft Vanguard.

Sara Devereux und Paul Jakubowski von der Fondsgesellschaft Vanguard.

private banking magazin: In welchem Marktsegment sind die Liquiditätsprobleme zuerst aufgetreten?

Sara Devereux: Als Erstes waren US-Treasuries betroffen. Das war sehr ungewöhnlich: Anleihen, die normalerweise zu fast identischen Konditionen gehandelt werden, hatten plötzlich unterschiedliche Preise, weil ihre Liquidität nicht die gleiche war. Sogenannte On-the-Run-Treasuries, die aktuellsten Emissionen für eine bestimmte Laufzeit, und die weniger aktuellen Off-the-Run-Treasuries drifteten auseinander. Das war das erste Anzeichen für einen Liquiditätsengpass am Markt.

Wie kommt es zu den Engpässen?

Paul Jakubowski: Der wichtigste Faktor ist Unsicherheit, denn wir haben es hier in erster Linie mit einem medizinischen Problem zu tun. Niemand weiß, wie viele Menschen sich infizieren werden und wann ein Impfstoff entwickelt wird. Niemand kann sagen, wie tief die Rezession wird und ob sich die Wirtschaft erholen kann. Bei fallenden Kursen und ungewissen Aussichten sinkt die Risikobereitschaft, das gilt auch für Banken und Liquiditätsanbieter. Das ist ganz natürlich und menschlich. Sinkt jedoch die Risikobereitschaft, lassen sich bestimmte Wertpapiere nicht mehr so leicht verkaufen.

Eng wurde der Markt aber zuerst bei den solidesten Anleihen.

Jakubowski: Liquidität ist dynamisch und besteht aus vielen verschiedenen Komponenten. Wie schnell kann man eine Transaktion abwickeln? Welche Volumina kann man zu welchem Preis handeln? Natürlich steigen in Stressphasen die Kosten, also die Transaktionskosten. Die Geld-Brief-Spannen werden größer. Für Staatsanleihen gilt: Auch wenn Anlegern die Kurse vielleicht nicht gefallen, können sie dennoch handeln. Bei Unternehmensanleihen gelten die gleichen Regeln, aber in extremerer Form. Je riskanter die Anleihen sind, desto schwieriger lässt sich ihr tatsächlicher Preis feststellen.

Welche neuen Erfahrungen kann man in der Corona-Krise am Rentenmarkt beobachten?

Devereux: In Stressphasen brauchen Unternehmen Bargeld. Sie haben keine Einnahmen wie in normalen Zeiten, müssen jedoch weiterhin ihre Mitarbeiter bezahlen. Und Banken wollen Kredite vergeben. An einem normalen Tag ist die Beschaffung von Bargeld eine sehr geordnete, fast banale Angelegenheit. Diesmal allerdings ging alles sehr schnell, und das war neu. Gleichzeitig war die Nachfrage nach Bargeld so hoch wie niemals zuvor. Händler können diese Risiken normalerweise einfach in ihren Beständen einlagern, aber dieses Mal war es einfach zu viel. Die Bilanzen sind schlicht nicht groß genug für alle diese Risiken, auch nicht vorübergehend. Deshalb mussten die Zentralbanken eingreifen und die Risiken in ihre Bilanzen aufnehmen.

Wie bewerten Sie das Handeln der Notenbanken?

Sara Devereux: Die Federal Reserve hat schnell reagiert und angekündigt, Treasuries im Wert von 500 Milliarden US-Dollar sowie hypothekenbesicherte Wertpapiere im Wert von 200 Milliarden Dollar zu kaufen. Dieses Ziel haben sie bereits erreicht, trotzdem kaufen sie weitere Anleihen. Die Fed hat das Programm einfach erweitert und gesagt: Ab heute kaufen wir Treasuries und Hypotheken in unbegrenztem Umfang. Am gleichen Tag haben sie zusätzliche Fazilitäten für Unternehmensanleihen, Kommunalanleihen und Asset-Backed Securities angekündigt. Die Fed hatte bereits eine Geldmarktfazilität eingerichtet und diese erweitert. Man setzt also ein Zeichen: „Wir tun, was auch immer nötig ist.“ Auch andere Zentralbanken haben Maßnahmen ergriffen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat zum Beispiel ein Kaufprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro für Staats- und Unternehmensanleihen angekündigt, das bis Ende des Jahres laufen soll.

Sind die Liquiditätsprobleme damit behoben?

Devereux: Nein. Der Handel mit Staatsanleihen läuft wieder besser, die Risikoaufschläge für Hypotheken sinken; jetzt gibt es dafür Probleme mit Unternehmensanleihen. Ich glaube, die Zentralbankprogramme werden funktionieren, es wird nur einige Zeit dauern. Unternehmensanleihen unterscheiden sich jedoch in mehreren wichtigen Punkten von Staatsanleihen und Hypotheken. Letztere sind staatlich garantiert. Daher war Liquidität das einzige Problem, das gelöst werden musste. Unternehmensanleihen sind dagegen mit tatsächlichen Risiken behaftet. Einige dieser Anleihen mit sehr gutem Rating leiden lediglich unter dem Liquiditätsengpass und den Handelsstörungen, andere dagegen unter reellen, fundamentalen Problemen. Zahlungsausfälle und Konkurse sind denkbar, einige Unternehmen werden womöglich nicht überleben. Hier ist die Situation also etwas schwieriger; es geht nicht nur um Liquidität, sondern auch um Bonität.