Nach dem Kurseinbruch „US-Staatsanleihen sind mittlerweile fair bewertet“

Dieter Hein

Dieter Hein

“Investors have switched from “I don’t care about volatility, I want income” to “I don’t care about income, I don‘t want volatility.” (Jeff Gundlach, Gründer von Doubleline Capital)

Korrektur der Staatsanleihen

Schon seit einiger Zeit empfiehlt BLI Anlegern, Staatsanleihen höchster Qualität zu meiden, da die Renditen noch nicht einmal die Geldentwertung kompensierten. In den vergangenen Wochen sind nun die Renditen für US-Treasuries deutlich gestiegen.

Die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe stieg seit Anfang Mai von 1,6 Prozent auf aktuell 2,9 Prozent - das entspricht einem Kursrückgang von fast 10 Prozent. Im selben Trend (wenn auch nicht so deutlich) stieg auch die Rendite der zehnjährigen deutschen Bundesanleihe von 1,2 Prozent auf fast 2 Prozent, was einer Kurskorrektur von 4,5 Prozent entspricht.

Kursverlauf der Anleihe US Treasury 1,75 Prozent 15/5/2023 seit Anfang Mai

Quelle: Bloomberg

Wie kam es zu dieser Korrektur?

Hauptanlass zu dieser für die Anleihenmärkte dramatischen Entwicklung war eine Rede des Vorsitzenden der amerikanischen Federal Reserve, Ben Bernanke, im US-Senat. Am Ende seiner Rede erwähnte er die Möglichkeit, dass die Zentralbank die Aufkäufe amerikanischer Staatsanleihen von zurzeit 80 Milliarden USD monatlich reduzieren könnte („Tapering“). Hierdurch würde die Nachfrage nach US-Staatsanleihen sinken und der Preis fallen. Die Anleger haben diese Interpretation vorweggenommen und verkauft.

Meiner Auffassung nach würde eine restriktivere Geldpolitik in der größten Volkswirtschaft die Weltwirtschaft im Allgemeinen in eine Rezession führen beziehungsweise den privaten Konsum in den USA, der sich im Wesentlichen durch billige Refinanzierungen von Immobilienkrediten speist, einbrechen lassen. Zudem ist Inflation kein Thema.

Eine Änderung der Geldmarktpolitik ist von dieser Seite also nicht erforderlich und birgt Gefahren für die Weltwirtschaft. Daher war Bernankes Bemerkung meiner Einschätzung nach vor allem ein Test, wie die Märkte reagieren, falls die Zentralbank tatsächlich einmal die Geldpolitik ändert.

Bliebe es also nur bei der Ankündigung, müsste der Markt früher oder später wieder auf das Niveau von vor der Rede zurückkommen. Die aktuelle Korrektur würde dann eine Kaufgelegenheit darstellen.

Des Weiteren sind US-Staatsanleihen eine Art Versicherung gegen eine möglicherweise drohende Krise.

Aktuelle Unruheherde

Nun sind die geopolitischen Krisen in Syrien und Ägypten seit Mai wieder aufgeflammt, und an den Finanzmärkten kam es zu einer Währungskrise in wichtigen Schwellenländern wie Brasilien, Indien, Indonesien, Korea oder Thailand. Auch in Europa wird erwartet, dass nach den Bundestagswahlen am 22. September die Diskussionen um den Euro wieder aufkommen. Trotzdem sind die Kurse der US-Staatsanleihen weiter gefallen.

Wie konnte das passieren? Hat sich strukturell an der Situation etwas geändert? Sind US-Staatsanleihen kein krisensicheres Investment mehr? Und was bedeutet das für Anlagen in Top-Staatsanleihen, nicht nur in Amerika, sondern auch in Deutschland?

Wahrnehmungsänderung

Zunächst einmal war eine gewisse Korrektur durchaus an der Zeit: Negative Realrenditen für inflationsbesicherte Anleihen sind und waren ökonomisch kaum zu rechtfertigen.

Realrendite der zehnjährigen inflationsgesicherten US-Staatsanleihe

Quelle: Bloomberg

Durch die Korrektur hat sich aber offensichtlich die Wahrnehmung von Anleihen im Allgemeinen und Top-Staatsanleihen im Besonderen dramatisch gewandelt: Obwohl sie selten über Monate hinweg ohne Verlust blieben, wurden sie in den vergangenen Jahren als quasi-risikofrei wahrgenommen.

Dies ist jetzt vorbei - und das ist auch insofern gut, als sich die Zinsen nun nicht mehr völlig unabhängig von der wirtschaftlichen Realität bewegen. Die 2,9 Prozent pro Jahr für die zehnjährige US-Staatsanleihe sind durchaus im Bereich dessen, was einige (zugegeben pessimistische) Analysten als nominales Wachstum der USA (und damit als das normale Zinsniveau für US-Staatsanleihen) für die kommenden Jahre sehen, und die reale Rendite von etwa 0,75 Prozent pro Jahr für die zehnjährige inflationsbesicherte US-Staatsanleihe liegt auf einem vernünftigen Niveau.

Aber die Wahrnehmungsänderung führte zu einer Massenbewegung der Anleger: Laut einem Bericht von Bloomberg verzeichneten Anleihen(index)fonds von 2009 bis 2012 Zuflüsse von 1.200 Milliarden US-Dolalr. Zusammen mit den (nicht zu beziffernden) Direktinvestments institutioneller und privater Anleger führte diese Massenbewegung zu historisch niedrigen Zinsen für Anleihen aller Art und entsprechend guten Performance-Zahlen der Fonds.

Nach der Korrektur von Mai waren Staatsanleihen-Fonds seit Anfang des Jahres im Minus, und offensichtlich haben die Anleger zum ersten Mal seit langem begriffen, dass Anleihenkurse auch einmal deutlich fallen können. Das führte laut der Bloomberg-Nachricht zu Abflüssen aus amerikanischen Anleihen(index)fonds in Höhe von 69,1 Milliarden US-Dollar im Juli und 30,3 Milliarden US-Dollar in der Zeit vom 1. bis 20. August. Die Anleger haben also Anleihen verkauft, was den Kursverfall erklärt.

Fundamentale Aspekte

Dabei hat diese Entwicklung nur wenig mit fundamentalen makroökonomischen Daten oder einer tatsächlichen Krisensicherheit von Staatsanleihen zu tun hat. Es stimmt, dass die Weltwirtschaft nicht mehr ganz so schlecht dasteht wie vor einem Jahr, und dass der Euro-Raum offiziell nicht mehr in der Rezession steckt.

Aber ist ein Wachstum von 0,3 Prozent im Euro-Raum im zweiten Quartal angesichts der Vergleichsquartale wirklich überzeugend? Ist eine offizielle Arbeitslosenquote von unter 7 Prozent in den USA relevant, wenn die Erwerbsquote gleichzeitig weiter fällt? In welchem Industrieland (inklusive Japan!) ist Inflation denn wirklich ein Thema? Wie schon erwähnt, fundamental gesehen liegen US-Treasuries zumindest für Wachstumspessimisten schon wieder im interessanten Bereich.

Sicherer Hafen

Vor allem aber stellt sich nach wie vor die Frage: Welche Alternativen gibt es denn wirklich zu Dollar, Gold, US-Treasuries oder Bundesanleihen, wenn es früher oder später zu einer Krise kommt?
Zugegeben: In der Finanzkrise haben wir lernen müssen, dass es keine risikofreie Anlage mehr gibt. Gerade Staatsanleihen sind nicht risikofrei. Aber wohin wird das Geld gehen, wenn es zu einem Aktiencrash oder einer anderen „richtigen“ Krise kommt?

Risiko ist eine relative Größe, und da alles andere risikoreicher ist, sehe ich als Alternative nur a) Gold, die älteste Fluchtwährung überhaupt, b) den US-Dollar (USA als weltgrößte Wirtschafts- und Militärmacht), c) US-Staatsanleihen (aus demselben Grunde) sowie d) Bundesanleihen (Deutschland als - zumindest derzeit - Anker der Stabilität in Europa).

Nun weiß per Definition niemand, wann und woher eine Krise kommt. Und es ist gut möglich, dass die Märkte bis dahin einfach dem aktuellen Trend steigender Renditen folgen könnten, aber meiner Auffassung nach sind US-Treasuries angesichts der Weltwirtschaft und des allgemeinen Krisenrisikos mittlerweile fair bewertet.

Die Situation für deutsche Staatsanleihen

Was deutsche Staatsanleihen angeht, so ist die Situation nicht so klar wie für die amerikanischen Papiere.

Bundesanleihen sind nicht im gleichen Umfang billiger (= attraktiver) geworden wie die amerikanischen Staatsanleihen. Das liegt zunächst einmal daran, dass die Europäische Zentralbank klar gemacht hat, dass sie nicht vorhat, ihre aktuelle Geldpolitik in absehbarer Zeit zu ändern. Aus europäischer Sicht ergibt das auch Sinn: Der Euroraum ist im zweiten Quartal 2013 gerade mit Mühe aus der Rezession herausgekommen, und die Lage der europäischen Banken ist bei weitem noch nicht so solide, als dass die Zentralbank wieder zu einer normalen Geldpolitik zurückkommen könnte.

Die Korrektur der deutschen Staatsanleihen scheint also lediglich eine abgeschwächte Folge der Korrektur der amerikanischen Staatsanleihen zu sein. Sind daher im Umkehrschluss deutsche Staatsanleihen – wenn auch ebenfalls etwas abgeschwächt – ein ebenso interessantes Investment wie amerikanische?

Aus fundamentalen Aspekten lautet die Antwort zunächst einmal „Nein“. Selbst Wachstumspessimisten gehen davon aus, dass das Nominalwachstum (= Inflation + reales Wachstum) in den kommenden Jahren im Euroraum höher als 2 Prozent und damit höher als die aktuelle Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe liegen dürfte. Aber die Gemengelage in Europa ist so, dass ein Anleger in seiner Analyse weitergehen muss.

Spezialfall Euro-Raum: Ausfallrisiken

Bisher haben wir deutsche Staatsanleihen als Euro-Pendant zu den US-Treasuries betrachtet. Dies ist aber nur bedingt richtig. Da im Euro-Raum – anders als in den USA - die Hoheit über die Notenpresse nicht mehr bei einem einzelnen Land, sondern bei der Europäischen Zentralbank liegt, kann ein Land – wie in Griechenland bereits der Fall - in die Situation kommen, dass es seine Schulden nicht zurückzahlen kann.

Ein Anleger muss also für das Ausfallrisiko je nach Land mehr oder weniger kompensiert werden. Ebenso muss ein Investor bei einer Anlage in Euro-Staatsanleihen das Risiko eines Auseinanderbrechens des Euro mit in seine Überlegungen einbeziehen. Diese beiden Aspekte führen dazu, dass die Renditen der einzelnen Staaten deutlich voneinander abweichen. Man kann also nicht von „den“ europäischen Staatsanleihen sprechen, sondern muss Land für Land unterscheiden.

Da Deutschland unter den großen Volkswirtschaften im Euroraum das Land mit der niedrigsten Verschuldung ist und im Moment die besten Wirtschaftsdaten aufweist, ist es plausibel, für deutsche Staatsanleihen keinen Renditeaufschlag für das Kreditrisiko zu nehmen (das kann sich im Laufe der Zeit ändern).

Dieser Status führt sogar vielmehr eher zu Renditeabschlägen, da sie praktisch die einzigen Anleihen mit diesem Status sind. Es gibt also nur ein reduziertes Angebot auf dem Markt. Des Weiteren ist es so, dass die Finanzintermediäre für immer mehr Transaktionen Sicherheiten (sogenannte „Collaterals“) verlangen (müssen) und die Marktteilnehmer dafür natürlich die beste Qualität wünschen. Und das wiederum führt dazu, dass diese Qualität noch teurer wird, das heißt Renditeabschläge zur Folge haben.

Spezialfall Euro-Raum: Aufspaltung des Euro

Was eine möglichen Aufspaltung des Euro in neue einzelne Regionen- oder Landeswährungen angeht, so ist die Lage sehr viel komplizierter. Um dieses Risiko zu bewerten, müsste man mindestens die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses, den möglichen Zeitpunkt und seine finanziellen Folgen einschätzen können. Da aber alle diese Parameter durch die Politik bestimmt werden, ist es praktisch unmöglich, ihnen einen ökonomischen Wert zuzuordnen.

Volkswirtschaftlich ist es aber offensichtlich, dass nach einer möglichen Währungsreform die neuen Währungen der sogenannten „Nordländer“ gegenüber den neuen Währungen der „Südländer“ deutlich aufwerten würden. Dies dürfte die Renditen deutscher Staatsanleihen noch weiter reduzieren.

Die Risikoprämie fällt

Als die Einschätzung dieses Risikos in der ersten Hälfte 2012 dem mehr oder weniger freien Spiel der Marktkräfte ausgesetzt war, fielen die Renditen für die zweijährigen deutschen Staatsanleihen entsprechend auf unter 0 Prozent. Im Gegensatz dazu stiegen die Renditen der spanischen zweijährigen Staatsanleihen auf (zeitweise) über 7 Prozent.

Da dieses Finanzierungsniveau für Spanien relativ bald unhaltbar und zu einem Auseinanderbrechen der politischen Währung „Euro“ geführt hätte, griffen die europäische Politik und die Zentralbank mit verschiedenen Ankündigungen und Maßnahmen ein. Seitdem fällt die Prämie für dieses Risiko kontinuierlich.

Als anschauliches Beispiel sei hier die Entwicklung der Renditedifferenz zwischen der zwhnjährigen deutschen Staatsanleihe und der zehnjährigen spanischen Staatsanleihe seit der Rede von Mario Draghi am 22 Juli 2012 aufgeführt.

Spread der zehnjährigen spanischen Staatsanleihe zur zehnjährigen deutschen Staatsanleihe

Quelle: Bloomberg

Und in der Tat ist in der öffentlichen Diskussion immer weniger von einem Ende des Euro als Einheitswährung die Rede.

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