Untergangspropheten auf dem Vormarsch Die irreführende Suche nach der nächsten Krise

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Der längste Bullen-Markt der Neuzeit oder der bisher kürzeste?

Seit der Finanzkrise sind unzählige Publikationen erschienen, die begründen wollten, warum der gerade laufende Börsenaufschwung auf tönernen Füßen steht und es mit den steigenden Kursen keinesfalls so weitergehen kann. Insbesondere in den vergangenen Wochen sind vermehrt Beiträge mit dem Thema „Der längste Bullen-Markt“ erschienen, die zeigen wollten, dass der jüngste Aufschwung bald enden sollte: Nach neun Jahren fast ununterbrochener Kursgewinne von inzwischen mehr als 300 Prozent im S&P 500 müsste doch nun endlich Schluss sein mit steigenden Notierungen.

Allerdings ist die Definition von fast ununterbrochenen Kursgewinnen entscheidend dafür, wie lange man den aktuellen Bullen-Markt terminiert. So gab es zum Beispiel in den Sommern 2011 und 2014 sowie im Frühjahr 2016 heftige Kursverluste, die nicht gezählt werden, weil ihr Minus weniger als 20 Prozent ausmachte. Nur stärkere Rückgänge als minus 20 Prozent in Bullen-Märkten früherer Perioden – wie etwa der Oktobercrash 1987 – zählen für die Vertreter der These des längsten Bullen-Marktes hingegen als eigenständiger Bären-Markt.

Der Blick auf die Langfrist-Charts des durch Robert Shiller zurückgerechneten S&P 500-Index ergibt ein besseres Bild als reine Zahlenvergleiche nach willkürlichen Trennlinien. Sie zeigen, dass es seit 1900 drei bedeutende Bullenmärkte gab, die sich zum Vergleich mit der heutigen Situation anbieten. Der Krise ab 1929 ging ein rund zehnjähriger dauernder Bullen-Markt voraus, welcher der aktuellen Aufschwungphase stark ähnelt. Hier gibt es eine Parallele bezüglich der Dauer, wenn auch noch nicht ganz vom Umfang der Gewinne – nominale Verfünffachung, reale Vervierfachung des Kurs-Index-Niveaus bis Krisenausbruch.

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 Quelle: Long-Term Investing Research

Zudem war die globale Lage damals völlig anders: Die Situation in Europa war auch nach dem Ende des Ersten Weltkrieg sehr instabil geblieben. Russland und China stagnierten durch Revolutionen und Bürgerkriege. Wertpapierbetrug und Bilanzfälschung waren vor dem Crash an der Tagesordnung und wurden später als Ursache für viele Kursmanipulationen entlarvt. Die Wirtschaftspolitik war nach Ausbruch der Krise prozyklisch und verschärfte sie. Der Börsen-Einbruch fiel entsprechend heftig aus und radierte die vorherigen Gewinne komplett wieder aus.

Beim Bullen-Markt nach der Weltwirtschaftskrise ist nicht ganz klar, wann man den Anfang zeitlich festlegene soll: beim Tiefststand 1932 oder beim Start der Nachkriegs-Rallye 1946. Klar ist lediglich, wann er endete: Ende der 60er Jahre. Und ähnlich wie heute wurde die Börse in der Endphase von wenigen, extrem hoch bewerteten Wachstumsaktien dominiert – den sogenannten Nifty Fifty – was von vielen Marktbeobachtern als untrügliches Warnzeichen interpretiert wird. Aber unabhängig davon, wann man den Beginn festlegt, so war dieser Bullen-Markt deutlich länger und die Gewinne stärker ausgeprägt als derzeit: Seit 1932 lag der Zuwachs bis 1969 im S&P 500 bei 1.800 Prozent (inflationsbereinigt:  930 Prozent). Seit 1946 betrug der Kursgewinn bis 1969  610 Prozent (inflationsbereinigt:  340 Prozent).

Der nächste Bullen-Markt begann 1978 mit dem Tiefststand während der zweiten Ölkrisen. Es folgte eine Hinwendung der US-Wirtschaftspolitik zu mehr Marktwirtschaft und konsequenter Inflationsbekämpfung. Zudem verstärkte sich die Globalisierung mit dem Niedergang des Sozialismus. Hier ist nicht ganz klar, wann er endete: mit der Internetblase 2000 oder mit dem Börsentop 2007. Trotzdem war auch dieser Bullen-Markt ebenfalls deutlich länger und die Gewinne auch stärker ausgeprägt als derzeit: Bis 2000 war der Zuwachs im S&P 500 1.550 Prozent (inflationsbereinigt:  510 Prozent). Bis 2007 betrug der Kursgewinn 1.630 Prozent (inflationsbereinigt:  430 Prozent).