Untergangspropheten auf dem Vormarsch Die irreführende Suche nach der nächsten Krise

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Der Politikwissenschaftler Daniel W. Drezner hat in seinem 2017 erschienenen Buch „The Ideas In-dustry“ eine tiefgehende Analyse darüber vorgelegt, wie im Moment die öffentliche Meinung von einer ganzen Industrie von professionellen Meinungsmachern – Journalisten, Beratern, Professoren, Forschungsinstituten, Think Tanks und weiteren – beeinflusst wird. Hierbei hat er unter anderem beschrieben, dass viele dieser öffentlichen Denker gerne einfache und aufschreckende Narrative entwerfen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dies ermöglicht, mit potenziellen Kunden, Spendern oder anderen Geldgebern ins Gespräch zu kommen. „You scare the shit out of them first. That’s what gets the clients through the front door“, heißt übersetzt: „Man muss sie erst zu Tode erschrecken. So bekommt man die Kunden zu sich ins Büro”, zitiert Drezner in seinem Buch einen dieser Meinungsmacher.

1982 stellte Andre Kostolany in einem Fernsehinterview fest: „Es sind viele Leute, die an einer Panik Interesse haben. Die Panik ist ein gutes Geschäft.“ Damals hatten die Untergangsgurus nach den ÖlkrisenJahren wieder Hochkonjunktur. Wer ihre Bücher kaufte und ernst nahm, machte nicht nur die Warner wohlhabend, sondern verpasste auch einen der größten Bullen-Märkte bei Aktien.

Finanzkrisen-Jubliläum als Anlass für neue Krisenwarnungen

Jüngster Anlass für eine neue Flut an Krisenwarnungen war das zehnte Jubiläum des Zusammenbruches von Lehman-Brothers und der darauf folgende Fast-Kollaps des globalen Finanzsystems. Eine Unzahl von Gedenkartikeln reflektierte die vergangenen Ereignisse und kam zumeist zu den gleichen Schlüssen: Diese Krise war die Ur-Katastrophe des modernen Kapitalismus und verantwortlich für aktuelle gesellschaftliche Probleme, wie den aufkommenden Populismus oder die steigende Ungleichheit. Die Aufarbeitung der Krise war unzureichend und ursächliche Risikofaktoren sind nicht entschärft. Die Gefahr einer neuen und noch katastrophaleren Finanzkrise sei hoch.

Mir allerdings scheint die Verwendung der Finanzkrise als Universal-Sündebock für Probleme wie die wachsende Ungleichheit, das Brexit-Votum oder die Wahl Donald Trumps als viel zu simpel. Die Ursachen hierfür liegen tiefer und sind viel komplizierter. Hingegen muss zugegeben werden, dass die Aufarbeitung der Finanzkrise durch Justiz, Politiker, Regulatoren und auch Ökonomen mangelhaft war. Zwar wurden Kapitalisierungsnormen und viele Verhaltensregeln verschärft. Fehlanreize blieben aber zumeist bestehen.

Die meisten der Verantwortlichen für die Krise sind ohne Strafe davongekommen und konnten sich teilweise mit riesigen Abfindungen zur Ruhe setzen. Und für die akademische Ökonomie sind es immer noch große Rätsel, wie der Finanzsektor tatsächlich funktioniert und wie er und die Realwirtschaft miteinander interagieren. Insofern erscheint es vorprogrammiert, dass wir irgendwann wieder wenig vorbereitet in eine nächste Finanzkrise hineinstolpern – die Frage scheint nur, wann sie kommt und wie schlimm sie wird. Doch müssen wir wirklich sehr große Angst hiervor haben?